"Praxisratgeber" zur "Politischen Ethik"

(hpd) Die beiden Göttinger Politikwissenschaftler Walter Reese-Schäfer und Christian Mönter wollen in ihrem Buch eine Art "Praxisratgeber" zur Anwendung "politischer Ethik" vorlegen. Zwar verdienen die zahlreichen präsentierten Beispiele sicherlich Interesse und Reflexion, doch von einer angekündigten Systematik im Sinne eines Handbuchs mit Ausführungen zu Regeln kurzer und mittlerer Reichweite kann leider nicht die Rede sein.

Einführungs- und Überblicksdarstellung zur "Politischen Ethik" gibt es mittlerweile in größerer Zahl, wobei sich der Anspruch in Inhalt und Verständlichkeit durchaus stark unterscheidet. Auch der in Göttingen Politische Theorie lehrende Politikwissenschaftler Walter Reese-Schäfer hat dazu bereits einige Monographien, seien es allgemeine Darstellungen oder Einführungen zu einzelnen Philosophen, vorgelegt. Zusammen mit seinem Mitarbeiter Christian Mönter legt er nun einen Band mit dem Titel "Politische Ethik. Philosophie, Theorie, Regeln" vor. In ihm liefert er nicht – wie andere Autoren - den gleichen Inhalt wie bisher in einer neuen Verpackung. Vielmehr beabsichtigen Reese-Schäfer und Mönter, eine Art "Praxisratgeber" vorzulegen. Sie wollen darin ohne moralisierende Überladung eine Art umgekehrten Weg gehen, "d. h. die Problemata der Praxis als Ausgangspunkt nehmen und von ihnen aus in reflexiver Analyse versuchen, eine Identifikation allgemein anwendbarer Regeln kurzer und mittlerer Reichweite zu ermöglichen" (S. 7).

Den umfangsreichsten Teil des Bandes bildet das Kapitel "Grundfragen politischer Ethik an Problemsituationen und Fällen durchdiskutiert (mit Handlungsempfehlungen für den Praktiker und Politikberater)". Einleitend heißt es dazu: "Die folgenden Analysen verstehen sich als beispielhafte Anwendungsmodelle politischer Ethik in zentralen Politikfeldern. Dabei wird immer auch kritisch-reflexiv die Anstrengung unternommen, den bequemen Fluss gängigen Moralisierens zu durchbrechen und die üblichen Heucheleien nicht als akzeptables Maß politischer Moralität zu nehmen, sondern eher als Hinweis dafür zu verwenden, wo die Probleme liegen" (S. 11) Dem folgen 22 entsprechende Abschnitte mit Ausführungen zu Aufrufen zur antikolonialen Gewalt, Begründungen des Kapitalismus, Empörungen über Korruption, Gewissensfragen bei politischen Entscheidungen, Idealisten an der Macht, Politiken der Erinnerung und Vergangenheit, Reden vom "kleineren Übel", Skandalen als Ethikfragen oder Strategien des zivilen Ungehorsams.

Das folgende Kapitel widmet sich dann noch dezidiert der Funktionsweise und Rolle von Ethikkommissionen, worin Ausführungen zu Aufgaben, Entscheidungsfindung, Mitgliedern und Zielen, aber auch zu Erfolgen und Leistungsbeurteilung solcher Institutionen enthalten sind. Und schließlich geht es noch um Gerechtigkeit als Grundprinzip politischer Ethik, politische Ethik als Tugendethik individuellen Verhaltens und politische Ethik bei der Gesetzgebung und als Institutionenethik. Hier geht es auch um die Entwicklung der Gerechtigkeitstheorie von John Rawls, wobei mit kritischem Unterton deren Transformation hin zu einem offenen "Rahmenprogramm an die Stelle des großen Entwurfs einer Gerechtigkeitstheorie aus zwei axiomatischen Grundprinzipien" (S. 202) angesprochen wird. Ziel des Bandes sollte es nach Aussage der Autoren sein, "wesentliche aktuelle, ungeklärte und aufregende Fragen einer politischen Ethik zu diskutieren und nicht zuletzt auch die Grenzen einer praxisrelevanten politischen Ethik abzustecken" (S. 219).

Diesen Anspruch konnten Reese-Schäfer/Mönter indessen nur in Ansätzen umsetzen, denn die versprochene Systematik in Richtung von Regeln und Theorien findet sich gerade in dem Band nicht. Der Großteil des Textes besteht aus den Erörterungen zu den exemplarisch genannten Themen. Die dortigen Ausführungen sind zweifellos interessant und überlegenswert. Nur wirken sie häufig allzu sehr aus dem "Stehgreif" einer kurzen Reflexion zum jeweiligen Inhalt "dahingeworfen". Insofern verwundert auch nicht, dass man thematisch hin und springt.

Häufig wirken die Texte wie ein individuelles "Abarbeiten" an anderen Autoren oder bestimmten Themen. Und dann geht es um die Höhen philosophischen Reflektierens ebenso wie um die Niederungen der alltäglichen Politik. Dies ist sicherlich interessant und unterhaltsam. Aber wer klare Aussagen zu den in der Einleitung versprochenen "Regeln kurzer und mittlerer Reichweite" in systematischer Form erwartet, wird mit und von dem Band leider doch eher enttäuscht.


Walter Reese-Schäfer/Christian Mönter: Politische Ethik. Philosophie, Theorie, Regeln, Wiesbaden 2013 (Springer VS), 219 S.


NACHTRAG am 13. August 2015: Der Rezensent beklagte die fehlende Struktur des Buches. Diese erklärt sich wohl dadurch, dass die dortigen Texte aus anderen Veröffentlichungen zusammen plagiert wurden. Darüber informiert folgender Zeitungsartikel "Sozialwissenschaftliche Fakultät der Uni Göttingen deckt Plagiatsfall auf"