TRIER. (hpd) Das Liebesdrama „Blau ist eine warme Farbe“ von Abdellatif Kechiche gewann letztes Jahr die goldene Palme bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes. Zu Recht und zur richtigen Zeit: Der Film überzeugt durch seine sensible und berührende Darstellung einer leidenschaftlichen Liebesbeziehung.
Die 15-jährige Adèle (Adèle Exarchopoulos) ist ein ganz normales Mädchen. Sie geht zur Schule und führt mit ihren Freundinnen typische Pausengespräche über Jungs und erste Liebesgeschichten. Doch ihr Leben gerät aus den Fugen, als sie beim Überqueren der Straße Emma (Léa Seydoux), eine selbstbewusste junge Künstlerin mit offenem Lachen und blauen Haaren, zum ersten Mal erblickt. Dieser kurze aber bedeutende Augenblick wird Adèle nicht mehr loslassen.
Der Film "Blau ist eine warme Farbe" erzählt die Chronik dieser beiden jungen Frauen. Er zeichnet den Aufstieg und Fall ihrer gemeinsamen Liebesgeschichte sowie den Prozess des Erwachsenwerdens und der Identitätsfindung nach. Überwältigend sind dabei die detailverliebten Großaufnahmen, welche die Gesichter der Protagonistinnen in atemberaubende Gefühlslandschaften verwandeln. Mit einem Gespür für Details wird dabei jeder kleine Ausdruck und jede emotionale Regung wie ein Gemälde auf die Kinoleinwand gebracht.
Ohne die beeindruckende schauspielerische Leistung von Léa Seydoux und Adèle Exarchopoulos wäre diese Wirkung nicht möglich gewesen. Dies zeigt sich auch in jenen Szenen, welche die Filmschauenden mit ihrer Dauer und Explizität der Darstellung des Geschlechtsverkehrs herausfordern können. Die deutliche Form dieser Szenen enthüllt jedoch die ekstatischen Seiten der Intimität. Sie unterstreicht damit – in bewusster Inszenierung – die Ästhetik des sexuellen Aktes, welche in ihrer Individualität grobe als auch zärtliche Facetten der Leidenschaftlichkeit enthalten kann.
Dennoch sind es gerade diese Szenen, die – nicht nur wegen der Drehbedingungen – in der Kritik stehen. Der Vorwurf: Sie bedienten bloß pornographische Männerfantasien von stereotypem Lesbensex. Die Kritik mag hinsichtlich des inszenierten Charakters nicht unbegründet sein. Der Vorwurf der plumpen Pornographie ist allerdings nicht gerechtfertigt.
Durch die sich anschleichende asymmetrische Intensität der Zuneigung und die sich unterscheidenden Erwartungshaltungen zur Lebens- und Liebeskonzeption bahnen sich – trotz anfänglicher Leidenschaftlichkeit und Verliebtheit – auch bei Adèle und Emma Beziehungsprobleme an. Der jüngeren Adèle genügt ihre Berufs- und Beziehungssituation. Die vom künstlerischen Streben getriebene Emma findet sich demgegenüber mit dem Status quo nicht ab und legt größere Bedeutung in die Entfaltung der Talente. Diese unterschiedlichen Vorstellungen eines erfüllten Lebens sind auch Ausdruck der sozialen Herkunft der Protagonistinnen, welche ein elementares Motiv im gesamten Verlauf des Films darstellt.
Dem tunesisch-französischen Filmkünstler Abdellatif Kechiche gelang mit "Blau ist eine warme Farbe" eine bewegende und zugleich authentische Erzählung einer intensiven Liebesbeziehung zwischen zwei jungen Frauen, die weitgehend ohne stereotype Klischees von Homosexualität auskommt. Beide durchleben die Dramatik einer lust- und leidvollen Beziehung im Komischen wie im Tragischen, die in jeder anderen möglichen Personenkonstellation existieren kann. Der Film leistet damit einen plastischen Beitrag zum Umgang mit gleichgeschlechtlicher Liebe als Normalität – mit all ihren Höhen und Tiefen.
So kommt der Film auch inmitten hitziger Debatten über sexuelle Vielfalt gerade zur richtigen Zeit. Neben der Diskussion um den Baden-Württembergischen Bildungsplan standen auch das Coming-Out des ehemaligen Profisportlers Thomas Hitzlsperger sowie die Verschärfung der homophoben Zustände in Russland im Rampenlicht der medialen und öffentlichen Aufmerksamkeit. Dabei wurde eines klar: In der unaufgeklärten Lebenswelt vieler Menschen gehören Homo-, Trans-, Bi- und Intersexualität nicht zur Normalität. Die Unwissenheit über sexuelle Vielfalt manifestierte sich unter anderem in den Beiträgen, die man in sozialen Netzwerken lesen konnte. Dort lassen sich nicht nur peinliche Vorurteile, sondern auch beleidigende und gefährliche Ressentiments finden. Gerade deswegen ist es notwendig, dass das Projekt der sexuellen Aufklärung und der Kampf gegen Homophobie offensiv fortgesetzt werden. Solch sensible und künstlerische Filme wie "Blau ist eine warme Farbe" können dabei förderlich sein.
Trailer:
"Blau ist eine warme Farbe" („La vie d'Adèle - Chapitres 1 et 2”, Frankreich 2013), Regie: Abdellatif Kechiche, Darsteller: Léa Seydoux, Adèle Exarchopoulos, Salim Kechiouche, u.a., nach dem gleichnamigen französischen Comic von Julie Maroh.