Humanismus und Humanisierung

ASCHAFFENBURG. (hpd) Der siebte Band der Schriftenreihe der Humanistischen Akademie Berlin-Brandenburg ist erschienen. Darin geht es um Menschenrechte, deren Begründung, um humanistisches Recht und Humanitarismus.

 

In welchem Zusammenhang dieser Sammelband mit aktuellen Debatten über Humanismus steht besprach der hpd mit Herausgeber und Akademie-Direktor Horst Groschopp.

 

Das Buch heißt “Humanismus und Humanisierung”. Ist es nicht etwas verwegen, angesichts der vielen Unmenschlichkeiten in der Welt von heute, von “Humanisierung” zu sprechen?

Horst Groschopp: Gerade die “Vermenschlichung” der Umstände und der Menschen zu thematisieren, das ist Aufgabe des Humanismus. Humanismus ist im Verständnis der neun Autoren – leider wieder einmal alles Männer, Frauen haben ihre zugesagten Texte nicht liefern können – keine Antikepflege. Hochzeiten des Humanismus waren immer zugleich gesellschaftliche Krisenepochen, in denen die Frage nach der “Menschlichkeit” über religiöse und politische Schranken hinweg gegen Grausamkeiten gestellt wurde. Auch dieses Buch will sich einbringen in eine in den letzten Jahren zunehmende Debatte über Humanismus in dieser Lesart.

 

Und, gibt es nun Humanisierung?

Ja, aber die Antwort hängt von den Maßstäben ab. Die erfordern erstens die Klarstellung, worum es sich bei Humanisierung handelt und zweitens eine raum-zeitliche Bestimmung. Teil eins der Antwort: Wenn Humanismus die Ausbildung und Umsetzung der in den Bedeutungen von humanitas liegenden Werturteile und Prinzipien ist, dann ist Humanisierung eine historisch angelegte geistige, sozialkulturelle und politische Bewegung, die sich der “Barmherzigkeit”, “Menschenwürde” und “Menschenbildung” widmet. Daraus kommen dann die Kriterien in ihren historischen Ausformungen als Leitideen.

 

Das Ganze ist ein weites und offenes Feld und verweist auf zahlreiche Gegenstände der Praxis und der Theorie. Wandeln sich da nicht die Kriterien?

Genau dies ist der Fall, denn Antike, Renaissance und Jetztzeit unterscheiden sich enorm nicht nur zeitlich, sondern auch räumlich, denn worüber wird geurteilt … chinesische Antike … mitteleuropäische Renaissance … Afrika heute? Teil zwei der Antwort hat die je historischen und kulturellen Situationen zu berücksichtigen. Das Buch sucht nach belegbaren Konstanten in dem, was “Barmherzigkeit”, “Menschenwürde” und “Menschenbildung” über die Zeitläufte hinweg ist – Hubert Cancik geht deshalb zurück auf die “natürlichen Rechte des Menschen”, fragt nach der nichtjuristischen Begründung der Menschenrechte und verfolgt deren Gang bis hin zur “Erfindung” der Menschenrechte. Denn was das ist, wurde uns nicht offenbart … es wurde Menschen “nur” klarer, dass sie das brauchen. Die historisch gewachsenen Kriterien – von Cicero etwa 50 v.u.Z. bis zur Nationalversammlung 1789, von der Mainzer Republik 1793 bis zur UNO 1948 – werden ausgefüllt, präzisiert, “angewandt” – gerade auch anhand von je historischen “Unmenschlichkeiten”, gegen Antihumanismen.

 

Welche Belegen lassen sich für eine “Humanisierung” anführen?

Allein die Tatsache, dass die Leitideen der “Barmherzigkeit”, “Menschenwürde” und “Menschenbildung” nicht totzukriegen sind, ist der Hauptbeleg und dass immer wieder nach “Humanität” verlangt wird – und dies inzwischen auch in religiösen Denksystemen. Dieses Vererben von Werturteilen der Menschlichkeit darf man nicht gering schätzen. Humanität und schon gar nicht Humanismus sind selbstverständlich, wie die Vernichtung der europäischen Juden durch den Faschismus oder die Konzentrationslager der Roten Khmer zeigen, um nur zwei Beispiele zu nennen.

 

Was findet sich davon im Buch?

Es ist doch zum Beispiel so, dass sich eine humane Strafjustiz erst ausbilden und durchsetzen muss. Das zeigt Eric Hilgendorf in dem Band, indem er fragt, wie Humanismus und Recht sich zueinander verhielten und ob es ein “humanistisches Recht” gibt oder einmal geben kann und was das wäre. Auch hier auf diesem Feld wurde den Menschen ja nicht offenbart, dass Strafen an Leib und Leben “human” sein sollen. Der Philosoph und Jurist Thomas Heinrichs diskutiert an der Geschichte von Armenhilfe und Sozialgesetzen die Humanisierung des Staates. Der Philosoph Ralf Schöppner geht ganz anders an die Aufgabe. Er setzt “Humanisierung durch das Altern des Anderen” als Thema.

 

Aber wenn Standards gefunden sind, gelten diese dann, ist dann lediglich “Umsetzung” gefragt?

Das Errungene muss immer gesichert, ja verteidigt werden durch konkrete Subjekte – Menschen –, gegen vereinfachende Losungen anderer Menschen wie “Todesstrafe für Kinderschänder”, aber auch gegen politische Interessen – wie wir gerade erleben –, indem wir unsere informationelle Selbstbestimmung mit dem Gebrauch des Handy aufgeben, und noch gar nicht wissen, was hier Humanisierung ist. Es entstehen stets neue Fragen, wo wir erst die Antworten finden müssen, was barmherzig und menschenwürdig ist und welche Bildung wir für unsere Antworten benötigen. Im Buch behandelt der Theologe Hartmut Kreß den Streit der Ethiken in unserer Rechtsordnung am Beispiel von Suizid und ärztlicher Suizidbegleitung – ein sehr aktuelles Thema. Der Soziologe Siegfried Reck diskutiert Hinderungsgründe – man kann sagen “Verblendungen” oder gar “weltliche Glaubensannahmen” – dadurch, dass “Menschenwürde” oft wie ein “Zauberwort” genommen und oberflächlich oder wie ein Placebo eingesetzt wird. Dazu stellt er eine “Topos-Analyse” an.

 

Und Humanitarismus? Ist das Humanismus-Export?

Es ist ein relativ neues Wort, das vor allem außenpolitische Probleme reflektiert hinsichtlich der Frage, inwiefern bedürftigen Menschen in näheren oder ferneren Regionen barmherzig “humanitäre Hilfe” zu leisten ist, etwa Hilfen bei Katastrophen, in Bürgerkriegen und wie diese Ein- und Übergriffe zu unterscheiden sind von oder verbunden sind mit militärischen Interventionen, vorgeblich oder tatsächlich zur Beendigung von Menschenrechtsverletzungen. Gibt es gar einen “militärischen Humanismus” oder findet Humanismus seine Grenzen dort, wo das Militärische losgeht. Wie sieht es dann aber mit “Humanisierungen in der Kriegsführung” aus. Vor diesen Fragen kann man doch nicht kneifen. Der Literaturwissenschaftler und Publizist Heinz-Bernhard Wohlfarth nähert sich dem heiklen Thema erst einmal definitorisch und versucht eine Begriffsbestimmung.

 

Humanisierungen bedürfen der Organisation. In ihrem eigenen Text gehen Sie zurück ins Jahr 1900. Warum dies?

Ich stelle die drei berühmten Foersters vor (Wilhelm, den Astronomen; Friedrich Wilhelm, den Pazifisten und Erfinder des Begriffs “Lebenskunde”; Karl, den Gartenkünstler, den jeder Gärtner noch heute wegen seiner Stauden kennt) und deren Berliner Verein für ethische Kultur, behandle also Humanismus um 1900. Das hat ein verbandliches Motiv. Viele unserer Vereine kommen aus der sozialistischen Freidenkerei, setzen aber praktisch den bürgerlichen Humanismus um, ohne diesen radikalen konzeptionellen Bruch gedanklich zu verarbeiten – nur ein Stichwort: “weltliche Seelsorge”.

 

Der bunte Blütenstrauß der Publikationen der hauptstädtischen Humanistischen Akademie in diesem 7. Band enthält einen Aufsatz des Religionswissenschaftlers Horst Junginger über Zivilreligion. Wieso gehört er unter die Überschrift Humanisierung?

Nur auf eine Dimension will ich verweisen, nämlich auf die Frage, inwiefern sich Religionen humanisiert haben oder humanisieren und was das für zivile Folgen hat. Der Autor hat ja schon in Band 6 der Berliner Schriftenreihe über “religiösen Humanismus” geschrieben und den aktuellen “säkularen Humanismus” dazu in Beziehung gesetzt mit dem Ergebnis, dass es hier Parallelen gibt. Hier fragt er nun, ob das Konzept der Zivilreligion mögliche Erträge für den Humanismus abwirft oder ob das ein säkulares Religionsprogramm ist. Da will ich der Leserschaft das Vergnügen der Erkenntnis durch eigenes Lesen nicht nehmen, sondern auf das Buch selbst verweisen … es soll ja auch gekauft werden.

 

Die Fragen stellte Martin Bauer.

 

Horst Groschopp (Hrsg.): Humanismus und Humanisierung. Aschaffenburg: Alibri Verlag 2014, Schriftenreihe der Humanistischen Akademie Berlin-Brandenburg, Bd. 7, 177 Seiten, kartoniert, Euro 16.-, ISBN 978–3–86569–167–5

Das Buch ist auch bei unserem Partner denkladen erhältlich.