FRANKFURT. (hpd) Jeden Freitag veröffentlicht der hpd einen Artikel zu einem Film oder einer Serie, die mit einem “humanistischen Auge” gesehen werden. Heute wird in Anbetracht des Todes von Karlheinz Deschner noch einmal an die Dokumentation “Die hasserfüllten Augen des Herrn Deschner” von Ricarda Hinz erinnert.
Der Film “Die hasserfüllten Augen des Herrn Deschner” ist eine Montage von Interviewausschnitten, die zusammen ein Streitgespräch ergeben, das so nie stattfinden konnte. Er ist bereits 1998 als Diplom-Arbeit der studierten Kommunikationsdesignerin Ricarda Hinz entstanden, wurde aber nie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gezeigt.
Ricarda Hinz berichtete in einer Filmvorführung von ihrer Methodik, kirchennahe Interviewgeber zu finden. Durch ihre katholische Sozialisation wusste sie, “wie man einen Bischof bekommt”. Sie simulierte das verunsicherte Schäflein und überraschte den Gesprächspartner erst vor Ort damit, dass es nur um Deschner gehen solle. Nach dem ersten Bischof öffneten sich die Türen von selbst. Alle Gegner Deschners hatten bekannt, nie eines seiner Bücher gelesen zu haben.
Die Gegenkritik an Deschner tritt in Gestalt vieler hochrangiger Kirchenvertreter an, darunter sowohl Bischöfe als auch prominente Laien. Ich persönlich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass fundierte Argumente der Gläubigen dem Schnitt zum Opfer gefallen sind. Aus meiner jahrzehntelangen Erfahrung als praktizierender Christ weiß ich nur zu gut, dass die Geistlichen und engagierten Laien nichts Besseres aufzubieten haben. Bei den säkularen Interviewpartnern hingegen ist oft ein Hintergrundwissen präsent, welches die Masse der Gläubigen, aber auch immer wieder die intellektuelle Redlichkeit der Theologen, zutiefst überfordert.
Zu Wort kommen beispielsweise GBS-Vorstand Herbert Steffen sowie die Philosophen Professor Birnbacher und Professor Hermann Josef Schmidt. Unter den Fürsprechern Deschners fanden sich auch die abtrünnigen Theologen Professorin Uta Ranke-Heinemann und Professor Horst Hermann.
In den Interviews bezog man sich ausschließlich auf die “Kriminalgeschichte des Christentums”. Dass Deschner auch in anderen Werken (“Und abermals krähte der Hahn”, “Der gefälschte Glaube”) die Glaubwürdigkeit der christlichen Glaubenslehre und ihrer Dogmen kritisch untersucht hat, scheint keinem der Religionsvertreter in dem Film bewusst zu sein. Auffällig war die Unbedarftheit der christlichen Laien im Vergleich zu den Geistlichen. Dieses Gefälle führe ich teilweise auf den Umstand zurück, dass viele Geistliche die Gläubigen durch Desinformation bei Laune halten.
Interessanterweise ist es ausgerechnet der greise, inzwischen verstorbene Bischof Hermann Josef Spital von Trier, der einen entscheidenden Hinweis in Bezug auf die Menschenrechte gibt, der gläubigen Zuschauern zu denken geben sollte: “Ich finde es schlimm, dass die Kirche 200 Jahre gebraucht hat, um zu erkennen, dass diese Gedanken urchristlich sind.”
Hier gibt ein Bischof zu, dass die Menschenrechte eine 200 Jahre alte Wertekonstruktion sind und die Kirche sich bis in die 1960er Jahre hinein dagegen gesperrt hat.
In Ricarda Hinz’ Film verweisen viele Katholiken auf die Geschichte der Heiligen als Gegenstück zur Kriminalgeschichte. Dabei sind doch gerade die Heiligen ein Teil von ihr. Auch Pius V. ist ein Heiliger. Er ist der zweitletzte Papst, der heiliggesprochen wurde, seitdem folgte nur Pius X. (1903 bis 1914). Papst Urban II., der Initiator des Ersten Kreuzzuges (1096 – 1099), wurde nur “seliggesprochen”. Der Heilige Bernhard von Clairveaux war dann der Initiator des Zweiten Kreuzzuges (1147 bis 1149).
Vielleicht finden manche die Herleitung totalitärer Denkmuster aus der Heiligen Schrift weit hergeholt. Eine Bibelinterpretation ist allerdings immer weit hergeholt. Der Wildwuchs an Widersprüchlichkeit und die fast immer fehlende gedankliche Klarheit machen eine seriöse Auslegung ohnehin unmöglich. Wenn man allerdings aus dem biblischen Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe Toleranz herauslesen will, zeugt dies zweifellos von der allerschlechtesten Auslegungstechnik. Nämlich davon, die Bibel auf wenige Sätze zu reduzieren und alles Übrige zu ignorieren.
Vor diesen Hintergründen sind die folgenden Filmaussagen zu verstehen: “Die Anpassung des Christentums ist seine Gestaltlosigkeit, der Verzicht auf eine eindeutige Physiognomie ist sein Erfolgsrezept.” (Professor Birnbacher)
“Aus der Bibel lässt sich alles und das Gegenteil lesen.” (Ursula Neumann)
Für letztere Behauptung lässt sich auch ein Beispiel aus dem Alltagsleben anführen. Vielen Christen gilt die Prügelstrafe in der Erziehung heute als Verstoß gegen die Liebe. Die Bibel nimmt aber die gegenteilige Position im Hebräerbrief ein.
Letztlich ist die Quintessenz der Menschenrechte der Gedanke, dass die eigene Freiheit ihre Grenze nur dort findet, wo sie dem Mitmenschen den Genuss der gleichen Rechte sichert und diese Grenze nur von einer demokratischen Gesetzgebung festgelegt werden darf. Es geht also in der Idee der Menschenrechte nicht – wie im Christentum und den anderen antiken Religionen – um Barmherzigkeit, sondern um etwas viel Wichtigeres, nämlich darum, die Menschen von der Barmherzigkeit der anderen durch eine Ethik der Freiheit und Gleichheit unabhängig zu machen. Das Neue Testament dagegen liest sich eher wie eine Erbauungsschrift für Sklavenhalter (Lk 17, 1.Kor 7, Eph 6, Kol 3–4, 1.Tim 6, Tit 2, Phlm, 1Petr 2; es lohnt sich, die Kapitel ganz zu lesen), und es hat hier entgegen einem weitverbreiteten Vorurteil eben keinen Fortschritt gegenüber damaliger Ethik realisiert (siehe z.B. die Stoiker).
Professor Horst Herrmann charakterisierte den Apostel Paulus durch einen Vergleich mit Immanuel Kant, jenem Philosophen der Aufklärung, der das Christentum als eine “um der Schwachen willen zu duldende Anstalt” einstufte: “Sie finden bei Kant keine hasserfüllten Sätze, das hat der Mann gar nicht nötig, aber Paulus hatte es nötig.”
Von all den bisher geschilderten Zusammenhängen schienen die Kirchenvertreter in dem Film keine Ahnung zu haben, vielmehr bedienten sie wieder das altbekannte Klischee von dem schlechten Zeitgeist, dessen Opfer man gewesen sei und dass man frühere Zeiten nicht nach heutigen Maßstäben messen dürfe. “… Die Zeit war so … Aber das ist heutiges Denken.…” Für eine Religion, die sich als alleinseligmachende göttliche Offenbarung versteht und den Gläubigen den Beistand des Heiligen Geistes verheißt, ist das eine merkwürdige Ausrede. Wozu offenbart sich ein Gott, wenn er dann nichts Besseres zu tun hat, als sich an den Zeitgeist anzupassen und diesen oft humanitär unterbietet? Denn das Christentum hat auch vorhandene humanitäre Qualitäten der antiken Kultur vernichtet, also selbst den Zeitgeist vergiftet.
Warum hat die Christliche Offenbarung das Schicksal im Jenseits an die Rechtgläubigkeit gekoppelt, einen Absolutheitsanspruch erhoben und den religiösen und philosophischen Pluralismus des antiken Heidentums abgetötet?
Hierzu hat im Film Professor Hermann Josef Schmidt den richtigen Ton gefunden: “Das Christentum ist in die religiös tolerante Antike eingebrochen wie ein Virus. Im griechischen und römischen Kulturraum gab es eine Fülle unterschiedlicher Religionen, die friedlich miteinander koexistiert haben. Religiöse Toleranz war eine so große Selbstverständlichkeit, dass man sie kaum irgendwo formuliert gefunden hat. Leider brach das Christentum in diese Kulturwelt wie eine Horde fundamentalistischer Plebejer ein und hat uns bis in die Gegenwart ein solches Maß an Verhetzung, Fanatismus und Trübung wahrer Menschlichkeit eingebracht…”
Mancher Zuschauer des Films war über diese Anmerkung sicher erstaunt. Schließlich sind Christenverfolgungen irgendwelcher, dem Wahnsinn entgegen irrlichternder römischer Kaiser ein beliebtes Motiv wohlbekannter historischer Hollywoodschmonzetten. Tatsächlich aber verlangte das heidnische Rom von den Bewohnern des Reiches nur die Befolgung eines Opferritus für den Kaiserkult als Loyalitätserweis. Dies konnten die monotheistischen Juden nicht erbringen. Hier begnügte sich Rom mit einem Ersatz, dem Gebet für den Kaiser, es nahm durchaus auf solche Besonderheiten Rücksicht.
Wer glaubt, in diesem Film gäbe es nichts zu lachen, hat die Rechnung ohne Manfred Lütz gemacht. Der Psychiater und Theologe, der inzwischen auch ein Buch über Gott geschrieben hat, wirkt in Ricarda Hinz’ Film mit seinen Versuchen, den Bock mit der Elefantenbüchse abzuschießen, so skurril wie der Großwildjäger Van Pelt in dem Film “Jumanji”. Er erinnert aber auch an den unglückseligen Inspektor Farge in dem Film “Der Profi”: “Zu sagen, ‘die Kirche hat Kriege geführt’ heißt, dass man die Geschichte nicht kennt. Dann möchte ich bitte wissen, welchen Krieg die Kirche geführt hat? Es ist so gewesen, dass es Kriege gegeben hat, die Kaiser und Könige geführt haben und diese Kriege wurden auch unterstützt von der Kirche, und das ist auch gegebenenfalls zu kritisieren.”
Ein Theologe sollte natürlich die Kirchengeschichte gut genug kennen, um zu wissen, dass die Kirche im Mittelalter ein Machtfaktor mit eigenen militärischen Ressourcen war und hochgesteckte machtpolitische Ziele mit eigenem Militär oder indirekt durch Verbündete verfolgte.
Lütz behauptete auch, die Katholische Kirche habe keine Hexen verfolgt. Für folgende Aussage über Deschner erübrigt sich jeder Kommentar: “Ich glaube, dass jemand, der intensiv hasst und dies in Deutschland vom Schreibtisch aus tut, auch ein Täter ist.”
Im letzten Drittel des Films wird die kirchliche Frauenproblematik aufgegriffen. Hier erregte sich Uta Ranke-Heinemann darüber, dass “2000 Jahre Christentum die Gehirnzellen der Frauen so beschädigt haben, dass sie heute die größten Fürsprecher ihrer eigenen Unterdrückung sind.”
Schließlich wandte man sich der Verquickung der Kirche mit dem Faschismus zu. Hier versuchten die prokirchlichen Interviewgeber, die Konflikte der Kirche mit dem NS-Regime als Ausdruck einer generellen Widerstandshaltung auszugeben. Offenkundig war ihnen in keiner Weise klar, dass die katholische Kirche sich mit vielen faschistischen Regimen in einer klassischen Allianz von Thron und Altar verbunden hatte. Der Fachausdruck hierfür lautet Klerikal-Faschismus. Dazu gehört nicht nur die Franco-Diktatur in Spanien (1939 – 1975), sondern auch der kroatische Ustascha-Faschismus (1941 – 1944), der einen Völkermord an den orthodoxen Serben zu verantworten hatte. In diesem Zusammenhang gab es auch Konzentrationslager, die von Franziskanermönchen geleitet wurden. Das NS-Regime gehörte zwar nicht der Kategorie des Klerikal-Faschismus an – auch Deschner erwähnt in dem Film eine anti-klerikale Haltung der Nazis – aber offenkundig erhoffte sich die Kirche eine Angleichung des Regimes an den Klerikal-Faschismus, denn durch den Zuspruch an die katholische Zentrumspartei, für das Ermächtigungsgesetz zu stimmen (1933), verhalf Vatikan-Botschafter Pacelli, der spätere Papst Pius XII. (1939 – 1958), dem NS-Diktator zur absoluten Macht. Hitler wurde auch nie exkommuniziert. Der einzige Naziführer, der von seiner Kirche ausgeschlossen wurde, war Joseph Goebbels, weil er eine Protestantin geheiratet hatte. Professor Schmidt befand, Pius XII. und die deutschen Bischöfe hätten auf die Nürnberger Anklagebank gehört.
Der Film schließt mit einem Wort von Karlheinz Deschner: “Ich denke, also bin ich kein Christ!”
Ich selbst habe übrigens – mit einer Ausnahme – erst im Verlauf der letzten drei Jahre Bücher von Deschner erworben, da ich mir als katholischer Jugendlicher einen Ekel bezüglich seines Stils eingefangen hatte. Meine historischen Kenntnisse haben sich deshalb fast ganz ohne ihn angesammelt. Heute finde ich, dass seine manchmal nervtötende, moralisierende Vorgehensweise ein Gegengewicht zu den Unzulänglichkeiten der anderen Historiker darstellt. Diese neigen oft dazu, siegreiche Machthaber und Institutionen mit großem Wohlwollen zu beschreiben, ohne auf das Leid ihrer Opfer allzu viel Mühe zu verwenden.
Hier geht es zum Film auf Youtube:
Die hasserfüllten Augen des Herrn Deschner. (1998), Regie: Ricarda Hinz; Interviewpartner u.a. Karlheinz Deschner, Hermann Josef Schmidt, Uta Ranke-Heinemann, Hermann Josef Spital, Herbert Steffen; 70 Min.
Bei dem Artikel handelt es sich um die gekürzte Fassung eines Veranstaltungsberichtes von Jochen Beck, der am 19.10.2010 auf dem hpd veröffentlicht wurde.