Interview

Tierrechte und humanistische Ethik

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Colin Goldner
Colin Goldner

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Oran Utan
Oran Utan

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"Lutheraffe"
"Lutheraffe"

TRAIN. (hpd) Nachdem der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages eine Petition zur “Grundrechte für Menschenaffen” mit der Begründung abgelehnt hat, Affen seien Tiere, für die die Grundrechte nicht gelten, sprach der hpd mit Colin Goldner vom “Great Ape Project”, der sich insbesondere mit dieser Thematik befasst.

Inwiefern sind Tiere in ein humanistisches Konzept einbezogen?

Das fundamentale Prinzip säkular-humanistischer Ethik besteht im Prinzip gleicher Berücksichtigung gleichrangiger Interessen. Die Forderung nach elementarer Gleichstellung der Menschenaffen, für die ich mich besonders einsetze, führt dabei einen Trend fort, der allgemein in der Menschheitsgeschichte erkennbar ist: während anfangs ethische Empfindungen sich fast ausschließlich auf die eigene Sippe bezogen, danach auf gesellschaftliche Teilgruppen, später auf sämtliche Mitglieder einer Gesellschaft und schließlich, mit der UN-Menschenrechtserklärung, auf alle Menschen, macht es keinen Sinn, hier einzuhalten. Weshalb sollten die Interessen leidens- und freudefähiger Menschenaffen unberücksichtigt bleiben, nur weil sie nicht der Spezies Homo sapiens angehören?

Die Zeit ist reif, nach Nationalismus, Rassismus und Sexismus auch die Schranke des Speziesismus zu überwinden, die die Diskriminierung von Lebewesen allein aufgrund ihrer Artzugehörigkeit rechtfertigt. Der Forderung nach Zuerkennung bestimmter Grundrechte an die Großen Menschenaffen könnte eine Türöffnerfunktion zukommen: Ist erst einmal Bewusstsein geschaffen dafür, dass die Interessen der Großen Menschenaffen eines besonderen Rechtsstatus bedürfen, können auch die Interessen anderer Tiere nicht mehr übergangen werden.

 

Können Tiere, die sich in dieser Hinsicht nicht selbst vertreten können Träger von Rechten sein? Haben sich Modelle dazu entwickelt? Fehlt es noch an Erkenntnissen oder ist die Realisierung eingeleitet? Wer macht mit?

Die Forderung nach Zuerkennung bestimmter Grundrechte an die Großen Menschenaffen wurde erstmalig 1993 von den Philosophen Paola Cavalieri und Peter Singer erhoben. 1999 kam Neuseeland dieser Forderung nach, gefolgt wenig später von der Inselgruppe der Balearen. Nach diesen ersten Erfolgen aber verlor das sogenannte Great Ape Project im Jahre 2008 fast schlagartig sein bis dahin aufgebautes Momentum. Der Grund dafür lag in der Entwicklung, die das Anliegen in Spanien genommen hatte: eine parlamentarische Initiative mit dem Ziel, den besonderen Status der Großen Menschenaffen legislativ anzuerkennen, war unmittelbar vor ihrem Durchbruch noch auf ganzer Linie gescheitert. Die spanische Regierung unter dem seinerzeitigen Ministerpräsidenten José Luis Zapatero war letztlich vor der katholischen Kirche des Landes eingeknickt, die in einer beispiellosen Hetzkampagne von sämtlichen Kanzeln herunter dagegen zu Felde gezogen war. Auch hierzulande zählt die katholische Kirche seit je zu den erbittertsten Gegnern des Great Ape Project: 2003 etwa erschien im kircheneigenen Bonifatius-Verlag eine flammende Theologenschrift, in der unter Verweis auf die Gottebenbildlichkeit des Menschen eine Einbeziehung von Nicht-Menschen in die Gemeinschaft der Gleichen kategorisch ausgeschlossen wird.

Unlängst brachte die Giordano Bruno-Stiftung beim Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages eine Petition ein mit dem Ziel, der Bundestag möge beschließen, dass Große Menschenaffen als Rechtspersonen anerkannt und in ihren Grundrechten geschützt werden. Hierzu soll Artikel 20a des Grundgesetzes, der dem Tierschutz Verfassungsrang zumisst, entsprechend ergänzt werden. Die von namhaften Tierrechtsorganisationen mitgetragene gbs-Initiative, die in ‘erster Instanz’ vom Petitionsausschuss abgelehnt wurde wird wohl einen langen Atem benötigen, aber die enorme Medienresonanz, die der Vorstoß zeitigte, kann als Hinweis darauf gelten, dass die Zeit reif ist.

Zur Frage, wie Menschenaffen ihre Rechte geltend machen sollen: Wie im Falle “unmündiger” Menschen, die nicht für sich selbst sprechen und ihre Rechte nicht selbst formulieren können – Kleinkinder etwa oder Menschen, die an fortgeschrittener Demenz leiden -, sollen ihre Rechtsansprüche durch Sachwalter vertreten werden können.

 

Schon Charles Darwin meinte, Tiere leiden ebenso wie Menschen - wie ähnlich sind die Empfindungen von Mensch und Menschenaffen?

Seit den 1960ern wurden Unmengen ethologischer Befunde und Erkenntnisse über das Leben Großer Menschenaffen in ihren natürlichen Lebenszusammenhängen gesammelt. Forscherinnen wie Jane Goodall, Dian Fossey oder Biruté Galdikas zeichneten ein völlig neues Bild unserer “engsten Verwandtschaft”, viele der Vorstellungen, wie sie bis dahin in Umlauf waren, mussten revidiert werden, manche in ihr komplettes Gegenteil.

Zahllose Bücher und Dokumentarfilme wurden seither veröffentlicht, die auf eindrucksvolle Weise zeigten, dass die Großen Menschenaffen tradierte Formen von Kultur haben, einschließlich der Fähigkeit, Werkzeuge herzustellen oder bei Krankheiten bestimmte Heilkräuter einzusetzen, dass sie über Ich-Bewußtsein verfügen samt einer Vorstellung von Vergangenheit und Zukunft, dass sie vorausschauend denken und planen können, Freude, Trauer, Leid und Mitgefühl empfinden und einen ausgeprägten Sinn für Humor haben, kurz: dass sie über kognitive, emotionale, soziale und kommunikative Fähigkeiten verfügen, die sich von denen des Menschen allenfalls graduell unterscheiden. Im Grunde sind sie genauso wie wir, nur dass sie ein paar Haare mehr am Körper haben.

 

Am Regensburger Dom ist mit erigierten Penis ein Affe im lutherischen Talar seit dem 16. Jahrhundert zu sehen was im Jahr 2014 eher unverständlich ist. Was steckt dahinter?

Von all dem dämonischen und teuflischen Getier, das die Vorstellungswelt des Mittelalters und der frühen Neuzeit durchzog, kamen Affen mit Abstand am häufigsten vor. Seit je galten sie als Inbegriff von Dummheit, Faulheit und vor allem: bösartiger Verschlagenheit. Da sie aussahen wie Menschen, aber nicht Gottes Ebenbild sein durften, mussten sie des Teufels sein. Gerne bediente sich die antilutherische Bildrhetorik der Papstkirche des Affen, in dessen Gestalt der Teufel auf dem Rücken Luthers sitzend dargestellt wurde. Auch Luther selbst wurde als Affe, sprich: als Teufel diffamiert. Am Regensburger Dom findet sich unter den zahlreichen Wasserspeiern in Gestalt übelabweisender Monster und Gargoyles auch ein Affe in lutherischem Klerikergewand, aus dem - gotteslästerlicherweise - ein erigierter Penis herausragt.

An der Südfassade des Doms ist eine weitere Verhöhnung Andersgläubiger zu besichtigen: die sogenannte “Judensau”, eine mittelalterliche Schmähskulptur mit einem Schwein, an dessen Zitzen Juden saugen. Auch am Kölner Dom, an St.Sebald in Nürnberg sowie an zahlreichen anderen Kirchenbauten, sind bis heute derlei Darstellungen zu sehen - vielfach unzureichend oder auch gar nicht kommentiert -, die über Jahrhunderte hinweg antijüdisches Ressentiment geschürt und damit zu Vertreibung, Raub, Pogromen und letztlich zum millionenfachen Mord an den europäischen Juden durch die Nazis beigetragen haben. Bis heute werden Tiere als prinzipiell minderwertig gesehen und deshalb zur Beschimpfung und Abwertung andersdenkender Menschen herangezogen. Jenseits des antilutherischen oder antijüdischen Schmähkontexts ist ein Affe mit erigiertem Penis natürlich ebenso unanstößig wie ein Schwein, das, wie einst die Wölfin in der Geschichte von Romulus und Remus, in mütterlicher Fürsorge seine Milch mit Menschen teilt.

 

Danke für die Klarstellungen.

 

Die Fragen stellte Evelin Frerk.

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