MenschMaschine-Visionen

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Eröffnung
Eröffnung

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Prof. Metzinger
Prof. Metzinger

BERLIN. (hpd) Unter dem Titel “MenschMaschine-Visionen” fand am 4.Juni 2014 in Berlin ein von der Daimler und Benz Stiftung organisiertes Kolloqium statt. Man kann es als erste seriöse Tagung zum Themenkreis des Transhumanismus im deutschsprachigen Raum einstufen. Bestritten wurde die Veranstaltung im Wesentlichen von Experten aus den Bereichen der neuronalen Implantate, der Prothetik und der Ethik und Gesellschaftswissenschaften.

Während die Vorträge einerseits zeigten, dass Deutschland sowohl bei der Forschung als auch bei der technischen Umsetzung von Methoden der Verbindung von Mensch und Maschine international sehr gut mithalten kann, fehlten andererseits Visionäre vom Schlage eines Ray Kurzweil oder Nick Bostrom. Die wesentliche Erkenntnis der Veranstaltung war wohl, dass der Transhumanismus jetzt auch in unserem Land in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.

Während der Transhumanismus in vielen Ländern schon längere Zeit diskutiert wird, stieß er im deutschsprachigen Raum bisher auf eher geringes Interesse. Gründe dafür liegen wohl in einer weit verbreiteten Aversion gegenüber neuen Technologien und einem immer noch stark christlich geprägten Menschenbild, dass die Optimierung des Menschen als sündhaften Eingriff in die Schöpfung sieht. Insofern kann man die Daimler und Benz Stiftung nur zu ihrem Mut beglückwünschen, sich dieses Themas angenommen zu haben.

Die Tagung war perfekt organisiert und die Vorträge hatten alle ein hohes Niveau. Die Besucherzahl lag bei etwa 160. Beim öffentlichen Abendvortrag waren sogar schätzungsweise 500 Besucher anwesend. Als Betreiber eines Blogs zum Thema Transhumanismus war ich als “Journalist” eingeladen und konnte daher vor Beginn des offiziellen Programms an einer Pressekonferenz mit einem Teil der Referenten teilnehmen. Meine Frage an Prof. Stieglitz vom Institut für Mikrosystemtechnik der Universität Freiburg, ob er der Ansicht ist, dass man das menschliche Gehirn und seine Funktionen vollständig im Rahmen der Naturwissenschaften erklären kann und wenn ja, ob dazu die klassische Physik und die darauf aufbauende Biochemie ausreicht, oder ob quantenmechanische Effekte eine essentielle Rolle spielen, konnte er nicht wirklich zufrieden stellend beantworten. Andererseits ist er sich aber absolut sicher, dass man grundsätzlich das Gehirn nicht durch Technik wird ersetzen können. Eine wissenschaftlich fundierte Begründung für sein hellseherisches Urteil konnte er jedoch nicht liefern.

Schnittstelle Neuron & Prothese

Nach der Begrüßung durch Prof. Dr. Eckard Minx, Vorsitzender und Mitglied des Vorstands der Daimler und Benz Stiftung ging es im ersten Vortragsblock mehr um reine Medizintechnik. Prof. Stieglitz berichtete über seine Forschung der Weiterentwicklung von Neuroimplantaten. Die Schnittstelle zwischen Material und Gewebe ist besonders kritisch. Zuweilen gibt es Abwehrreaktionen des Körpers, die langfristig die elektrische Leitfähigkeit so stark reduzieren können, dass die Implantate erneuert werden müssen. Gerade dann, wenn jüngere Patienten mit Neuroimplantaten versorgt werden müssen, stellt das ein großes Problem dar. Wünschenswert wäre eine Haltbarkeitsdauer die der menschlichen Lebenserwartung entspricht. Der anschließende Vortrag von Dr. Graimann, der bei dem Prothetik Hersteller Otto Bock HealthCare GmbH angestellt ist, behandelte den derzeitigen Stand der Prothetik. Erstaunlich ist, wie hoch bereits der Entwicklungsstand rein passiver Prothesen ist. Das Ziel ist aber die Realisierung von neuronal aktiven Prothesen, die nicht nur fast alle Freiheitsgrade menschlicher Gliedmaßen besitzen und aktiv bewegt werden können, sondern auch eine Rückmeldung von Gefühlssensoren an die Nervenbahnen ermöglichen und somit die ursprünglichen Fähigkeiten wieder fast ganz herstellen. Damit rückt langsam die Szene aus einem der Star Wars Filme, in der Luke Skywalker eine Prothese angepasst wird, die seinen abgeschlagenen Arm mit allen Funktionen ersetzt, in den Bereich der Machbarkeit.

Was in beiden Vorträgen klar wurde, war, das der Schritt von der reinen Wiederherstellungsprothetik zu einer Prothetik, die dem Menschen Fähigkeiten verleiht, die über das normale menschliche Maß hinausgehen, nur ein sehr kleiner ist. Als Beispiel wurde der Sprinter Oscar Pistorius erwähnt, der mit Hilfe seiner Beinprothesen in der Lage ist, Höchstleistungen zu erreichen. So startete er bei den Olympischen Spielen 2012 in London in der 4 x 400m Staffel für Australien und erreichte mit seiner Mannschaft den achten Platz. Bei einem wesentlich größeren Erfolg hätte es sicherlich Proteste gegeben, weil seine Prothesen ihn zu unerlaubten Vorteilen verhelfen. Man könnte sogar so weit gehen und den Beginn des Zeitalters des Transhumanismus an diesem Beispiel festmachen.

Schnittstelle Ethik & Gesellschaft

Im zweiten Vortragsblock ging es um ethische und gesellschaftliche Fragestellungen und Folgen der Optimierung von Menschen. Zunächst hielt Christopher Coenen vom Karlsruher Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse einen sehr gut recherchierten Vortrag über “Human Enhancement: Historischer Hintergrund und aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen.” Dabei ging er auch auf die Visionen des Transhumanismus ein, die bis hin zur potentiellen Unsterblichkeit des individuellen Bewusstseins in einer Superstruktur (Upload) und der Eroberung des Weltraums mit von der Erde stammender künstlicher Intelligenz reichen. Er ist der Ansicht, dass Visionäre wie z.B. Ray Kurzweil durchaus einen Einfluss auf die Gesellschaft und die Forschungspolitik haben, obwohl ihre Vorhersagen von vielen Wissenschaftlern als zu optimistisch eingeschätzt werden. Hier ist zum Teil der Effekt einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung zu erkennen. Zum Schluss seines Vortrags ging er noch auf die Kritik am Transhumanismus ein. Ein wichtiger Punkt ist, dass die neuen Optimierungstechnologien aus finanziellen Gründen wohl nur einer Minderheit vorbehalten sein wird. Weiterhin ist auch durchaus denkbar, dass aus beruflichen Gründen Druck ausgeübt wird, sich in bestimmtem Fähigkeiten optimieren zu lassen.

Prof. Clausen von Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Tübingen hielt anschließend einen Vortrag zum Thema “Verschwimmen die Grenzen zwischen Mensch und Maschine?” Er zeigte die Möglichkeiten und die damit verbundenen Probleme der Optimierung von Menschen auf. Bei einigen Methoden wird die genaue Unterscheidung zwischen Mensch und Technik schwierig. Dabei tritt dann die Frage auf, wer handelt hier eigentlich und wer ist verantwortlich? Wird der Mensch durch die modernen Technologien zum Cyborg und müssen wir uns davor fürchten?

Es folgte ein Vortrag von Prof. Reinhard Merkel vom Institut für Kriminalwissenschaften der Universität Hamburg. Er machte in letzter Zeit auf sich aufmerksam durch seine vernünftige Position zur rituellen Beschneidung, die er auch im Deutschen Ethikrat vertrat.

Sein Vortrag ist besonders hervorzuheben, weil er die ethische Grundlage des Transhumanismus und damit die eigentliche Kernfrage der Diskussion um das “Human Enhancement” ansprach. Während religiös orientierte Kritiker den gesamten Transhumanismus ablehnen, weil er als Eingriff in die Schöpfung Gottes gesehen wird, argumentieren Kritiker aus humanistischen Kreisen eher mit dem Argument, dass diese Entwicklung mit der Unverletzlichkeit der Menschenwürde nicht vereinbar sei. Merkel machte überzeugend klar, dass die Menschenwürde völlig ungeeignet ist zur Beurteilung des Transhumanismus und davon abgesehen ohnehin kaum ohne Rückgriff auf Dogmen definiert werden kann. Sehr viel sinnvoller erscheint hier die Beurteilung nach dem Recht der emotionalen Selbstbestimmung und da zeigt sich, dass man jedem das Recht zugestehen muss, über Verbesserungen seines Körpers selbst zu bestimmen. Natürlich darf dann auch niemand zu solchen Maßnahmen gezwungen werden oder unter Druck gesetzt werden. Ein Optimierungsverbot aber, das mit Ewigkeitsgarantie unsere biologischen Gattungsgrenzen verbürgt, würde sich gegen die Evolution selbst richten. Nach Meinung von Merkel darf man daher den Artikel 1 des Grundgesetzes so nicht interpretieren. Ein prinzipielles Recht auf Bestandsschutz einer tradierten gesellschaftlichen Lebensform kann es nicht geben.

Schnittstelle Zukunft & Heilung

Im letzten Vortragsblock führte zunächst Prof. Sturm von der Neurochirurgischen Universitätsklinik Würzburg anhand von Videoeinspielungen den Erfolg der tiefen Hirnstimulation mit Hilfe von Schrittmachern vor. Auf diese Weise können insbesondere an Parkinson erkrankte Patienten sehr gut symptomatisch behandelt werden. Er ließ sich allerdings zu der Prophezeiung hinreißen, dass man die Fähigkeiten des Gehirns nie mit einem Computer wird simulieren können. Wie sich zeigte, basiert seine Meinung auf einem Denkfehler. Multipliziert man die Anzahl der Nervenzellen (Neuronen) mit der Anzahl der Synapsen pro Zelle, so kommt man auf einen Wert von etwa 1 E14. Rechnet man jeder Synapse einen Bit als Speicherfähigkeit zu, dann entspricht dieser Wert der theoretischen Obergrenze der Speicherfähigkeit des Gehirns in Bit. Sturm meinte nun, dass man zu einer angemessenen Simulation des Gehirns alle Permutationen der gespeicherten Bits durchführen müsse. Da kommt man leicht auf eine extrem große Zahl. Das aber ist völliger Unfug. Man braucht zur Simulation keinesfalls mehr als die besagten 1 E14 Bits, was etwa 10 Terabyte entspricht und dieses wiederum entspricht dem Speichervermögen von etwa 10 PC-Festplatten. Da aber Computer weniger Redundanz brauchen, da sie zuverlässiger als Neuronen bzw. deren Synapsen speichern, liegt man mit einer Festplatte von 1 Terabyte wohl schon eher in der richtigen Größenordnung. Die Rechenleistung des Gehirns (etwa 10 Millionen MIPS) wird mittlerweile ebenfalls von schnellen PCs knapp erreicht. In weiteren zwei bis drei Jahren wird man hinsichtlich der Hardware von einem Gleichstand zwischen PC und menschlichem Hirn ausgehen können.

Ist das Gehirn wirklich so komplex, dass wir vor Ehrfurcht erstarren sollten? Nein, denn der genetische Bauplan umfasst die recht geringe Datenmenge von nur etwa 25MB. Ist die Programmierung des Gehirns so komplex und geheimnisvoll, dass man diese nie mit Computern nachahmen kann? Nein, es gibt schon jetzt Programme, wie z.B. “Watson” von IBM, dass Fragen durch regelrechtes Nachdenken beantworten kann. Ray Kurzweil behauptet sogar in seinem neuen Buch “Das Geheimnis des menschlichen Denkens”, dass der Algorithmus menschlichen Denkens weitgehend entschlüsselt ist und zwar durch das "Hierarchical Hidden Markov Model2. Wer also heute noch allen Ernstes behauptet, dass wir nie in der Lage sein werden, das Gehirn zu verstehen und mit künstlicher Intelligenz nachzubauen, muss sich vorwerfen lassen, nicht auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft zu sein. Die Frage, wann ein Computer zum ersten Mal mit dem Menschen gleichzieht, indem er den so genannten Turing-Test besteht, wurde von Ray Kurzweil für das Jahr 2029 vorhergesagt. Man hat ihn dafür von deutscher Expertenseite her als gnadenlosen Optimisten verunglimpft. Nur wenige Tage nach der Veranstaltung, am 09.Juni 2014 kam nun die Meldung bei Spiegel Online, dass eine in Russland entwickelte Software den Test bestanden hat. Wahrscheinlich werden jetzt die Bedenkenträger behaupten, dass der Test ungeeignet sei, um wahre Intelligenz feststellen zu können, ohne aber eine Alternative benennen zu können.

Der Vortrag von Prof. Metzinger (Beiratsmitglied der Giordano-Bruno-Stiftung) vom Philosophischen Seminar der Universität Mainz hatte das Thema “Virtual Embodiment und Robotic Re-Embodiment”. Unter virtueller Verkörperung versteht man Verfahren, mit denen man in die virtuelle Realität eines Avatars oder die Realität eines Roboters versetzt wird. Anhand von einigen erstaunlichen psychologischen Experimenten zeigte Metzinger, wie stark sich das Ich-Gefühl auf einen Avatar übertragen lässt. Er thematisierte auch die möglichen Folgen der Technologie, wie Depersonalisierungsstörungen, dauerhafte Änderungen im Sozialverhalten, veränderte Wahrnehmung der Außenwelt, unrealistische Hoffnungen, Suchtpotenzial und militärische Anwendungen bei der Fernsteuerung von Kampfrobotern und Drohnen. Schließlich werfen diese neuen Technologien auch juristische Probleme auf. Wer ist verantwortlich, wenn ein Roboter außer Kontrolle gerät? Brauchen wir ein Strafrecht für Maschinen? Den Einsatz von Kampfdrohnen, wie sie von den USA in Afghanistan und Pakistan durchgeführt werden, sieht Metzinger als Verletzung des Völkerrechts, weil hier Bürger souveräner Staaten in anderen Staaten ohne Gerichtsverhandlung hingerichtet werden.

Im Letzten Vortrag berichtete Frau Prof. Lesinski-Schiedat von der Medizinischen Hochschule Hannover über die Entwicklung von Cochlea-Implantaten für Gehörlose. Sie erklärte, dass bei taub Geborenen eine Versorgung innerhalb des ersten Lebensjahres ganz entscheidend für die weitere sprachliche und geistige Entwicklung ist. Weiterhin diskutierte sie, inwieweit das Lernen der Gebärdensprache für operierte Kleinkinder Sinn macht. Insbesondere bei taubstummen Eltern kann das von Vorteil sein.

Abendvortrag

Der öffentliche Abendvortrag mit dem Thema “Übermenschenbilder: Cyborgs und andere Visionen transhumanen Lebens” wurde von Prof. Freyermuth, Gründungsdirektor des Cologne Game Lab und Professor für Media and Game Studies an der Fachhochschule Köln gehalten. Er zeigte die geschichtliche Entwicklung der Vorstellung von Maschinenmenschen anhand von Bildern und Filmausschnitten. Interessanterweise stellte er fest, dass in älteren Filmen Cyborgs meistens als Bedrohung der Menschheit gesehen wurden, während sie in neueren Filmen teilweise sogar als Retter der Menschheit vor ihrer eigenen Dummheit dargestellt werden. Insgesamt gibt es in den Medien eine Entwicklung zu einer positiveren Darstellung von Cyborgs und anderen transhumanistischen Entwicklungen.

Fazit

Die Technologien zur Verbindung von Mensch und Maschine schreiten mit großer Geschwindigkeit voran und sie werden zwangsläufig immer häufiger in unserer Gesellschaft diskutiert. Viele werden diese Entwicklung sehr skeptisch verfolgen und sich fragen, ob man sie nicht stoppen sollte. Der Pionier des Transhumanismus Ray Kurzweil ist der Meinung, dass man die Entwicklung nur in totalitären Staaten wird unterbinden können. Völlig falsch wäre es, die vorhergesagten technologischen Entwicklungen als reine Science Fiction abzutun. Wir sollten uns stattdessen der Probleme die auf uns zukommen bewusst werden und versuchen, die Entwicklung in vernünftige Bahnen zu lenken. In der ethischen Beurteilung sollten wir uns nicht an dogmatische Definitionen, wie etwa der Menschenwürde orientieren, sondern eher pragmatisch daran, ob eine neue Technologie das Leid auf unserem Planeten vergrößert oder reduziert.