(hpd) Als vorerst letzten Teil unserer Serie über Filme und Fernseh-Serien hat sich heute Edgar Dahl mit dem Thema Selbstjustiz befasst. Der Film “Prisoners” aus dem vergangen Jahr zeigt in beklemmenden Bildern die Gefahren, wenn man die “Gerechtigkeit” in die eigenen Hände nimmt.
Keller Dover ist ein treusorgender Familienvater. Ehrbar, rechtschaffen und gottgläubig. Als eines unglückseligen Tages seine sechsjährige Tochter Anna entführt wird, sieht er jedoch rot.
Dank der Polizei scheint der Täter schnell gefunden. Alles spricht dafür, dass Anna von dem geistig zurück gebliebenen Alex Jones gekidnapt wurde.
Aus Mangel an Beweisen sieht sich Detective Loki, der die Ermittlungen in diesem Fall leitet, aber gezwungen, Alex Jones nach 24 Stunden Haft wieder auf freien Fuß zu setzen.
Keller Dover ist nach wie vor davon überzeugt, dass Alex Jones der Täter ist. Weshalb ist er sonst vor der Polizei geflohen? Und vor allem: Wer, wenn nicht ein geistig minder Bemittelter, sollte schon auf die ungeheuerliche Idee kommen, sich an seiner unschuldigen sechsjährigen Tochter zu vergreifen?
Felsenfest von Alex Jones’ Schuld überzeugt, beschließt Keller Dover, die Angelegenheit in die eigene Hand zu nehmen. Er lauert Jones auf, verschleppt ihn in ein leer stehendes Haus und fesselt ihn dort an die Heizung im Badezimmer.
Alles, was Keller von Alex wissen will, ist, ob Anna noch am Leben ist und wo er sie versteckt hält. Doch Alex beteuert wieder und wieder, Anna nicht zu kennen und nichts von einer Entführung zu wissen.
Für Keller tickt die Uhr. Je mehr Zeit verstreicht, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass seine Tochter stirbt. Abend für Abend schleicht er sich daher in das verwaiste Haus und versucht die Wahrheit aus Alex herauszuprügeln. Nach fünf Tagen ist Alex’ Gesicht nur noch eine geschwollene, blutige Masse. Dennoch erhält Keller kein Wort über den Verbleib seiner Tochter.
Keller gerät mehr und mehr in Rage. Da er Alex keine Schmerzen mehr zufügen kann, ohne Gefahr zu laufen, ihn umzubringen, baut er eine Dunkelzelle, in die er Alex hineinzwängt. In vollkommener Nacht und auf so engem Raum, dass er sich kaum noch zu bewegen vermag, soll Alex endlich verraten, wo er Anna versteckt hält. Um ihn zum Reden zu bringen, lässt Keller abwechselnd mal eiskaltes, mal kochendheißes Wasser von oben in die Zelle strömen. Doch selbst diese tagelange Folter bringt Alex nicht zum Sprechen.
Um eine buchstäblich lange Geschichte kurz zu machen (der Film geht nahezu drei Stunden): Alex ist unschuldig. Mehr noch: Er ist selbst das Opfer einer Entführung. Als kleiner Junge wurde er von einem religiös fanatisierten Ehepaar gekidnapt, das sein einziges eigenes Kind an Krebs verloren hat, und nun meint, einen “Krieg gegen Gott” führen zu müssen. Indem es anderen Eltern die Kinder raubt, will es diese gegen den Schöpfer aufbringen. Sie sollen sich ihrem Kampf gegen den offenkundig unbarmherzigen Vater im Himmel anschließen: “Kinder verschwinden zu lassen”, gesteht die wahre Täterin zum Schluss, “ist unser persönlicher Krieg, den wir gegen Gott führen. So verlieren Menschen ihren Glauben und werden dann zu Dämonen wie sie.”
“Prisoners” ist ein exzellent gespieltes Drama mit Hugh Jackman, Melissa Leo, Jake Gyllenhaal und Paul Dano in den Hauptrollen. Der Handlungsstrang ist weit subtiler, als ich es hier darstellen kann. Doch die Botschaft der Geschichte liegt offen zu Tage: Versuche nicht, das Recht in die eigene Hand zu nehmen! Rache zu nehmen, wird dich, wie die Täterin ganz richtig sagt, zu einem ebenso großen Dämon machen wie den, den du jagst.
Diesem wunderbar gespielten Plädoyer gegen die Selbstjustiz lässt sich argumentativ kaum etwas hinzufügen, außer vielleicht ein berühmter Aphorismus von Friedrich Nietzsche aus dessen Buch “Jenseits von Gut und Böse”: “Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, daß er dabei nicht selbst zum Ungeheuer wird.”
Prisoners (USA 2013), Regie: Denis Villeneuve; Darsteller u.a.: Hugh Jackman, Jake Gyllenhaal, Terrence Howard, Paul Dano, Viola Davis, Maria Bello.