Das ist wie in Österreich, die Kirche muss den Beitrag selber einbringen.
Reta: Nein, der Kanton Neuenburg verschickt die Rechnung für die Kirchensteuer sogar und zwar gratis. Aber sie ist gemäß Kantonsverfassung freiwillig, d. h. die Kirchen könnten zwar Mahnschreiben schicken, aber rechtlich haben sie keinerlei Handhabe. Wo aber die Kirchensteuer freiwillig ist, fällt auch eine Motivation zum Austreten weg.
Andreas: Ich meine, so lange der Staat dann nicht Einnahmen von den weltlichen Steuern umleitet auf die Kirchen, kann es uns ja egal sein, wie sich die Leute privat organisieren und wir nicht einfach ihr Hobby über Gebühr mitfinanzieren müssen ...
Reta: Die Neuenburger müssen zwar die Kirchensteuer nicht bezahlen, aber sie zahlten indirekt über allgemeine Steuern mit, wenn die Kirchen für jede Abdankungsfeier 1000 Franken vom Kanton erhielten. 2011 hat dann die Regierung beschlossen, dass solche religiöse Feiern nicht im öffentlichen Interesse seien und deshalb nicht mehr subventioniert würden. So gibt es in jedem Kanton ganz verschiedene Verflechtungen. Von außen sieht es manchmal relativ liberal aus, aber genau besehen werden fast überall unter unterschiedlichen Titeln allgemeine Steuermittel an die Kirchen transferiert.
Andreas: In vielen Kantonen gibt es solche versteckte Beiträge. Der Kanton Zürich leitet z. B. jedes Jahr 50 Mill. Franken aus den Steuereinnahmen von Privatpersonen und Unternehmen, an die Kirchen um. Begründet wird das beispielsweise mit Seelsorgetätigkeiten in Spitälern und Gefängnissen. Dort haben aber die beiden großen Staatskirchen eine Monopolstellung. Man könnte dort gar kein säkulares Angebot beziehen, weil da kein anderer geduldet wird. Es gibt dort also ein gesichertes Einkommen, weil nur der Kirche diese Nische zugestanden wird. Damit rechtfertigt dann der weltliche Staat diese Dauerfinanzierung.
Valentin: Unsere Aufgabe ist in dem Sinne auch, Sprachrohr zu sein, also zu kritisieren, wenn einer auftritt, z. B. ein Bischof und so tut, als ob er fast für alle spräche. Ich denke fast, das mag überheblich klingen, aber wenn ich im Wallis das „Maul” aufmache, dann spreche ich mehr Leuten aus dem Herzen und dem Hirn, als das der Bischof tut. Und trotzdem lassen ihm Journalisten viele Äußerungen unkritisch durchgehen, auch die Gesellschaft insgesamt lässt es durchgehen, als ob kirchliche Funktionäre wirklich, kraft ihres Amtes eine besondere ethische Stellung hätten. Und unsere Aufgabe ist es, zu vermitteln, dass das Gegenteil der Fall ist.
Wir sprechen mehr Leute an, indem wir gleiche Rechte für Homosexuelle fordern. Wenn wir sagen, dass es egal ist, ob jemand geschieden ist oder nicht und so weiter. Ebenfalls was Sexualmoral und Rechte am Lebensende betrifft.
Es ist für mich sonnenklar, dass wir da für einen riesigen Teil der Bevölkerung sprechen. Es ist unsere Aufgabe, auch Politikern beizubringen, dass sie nicht nur nichts verlieren, wenn sie sich säkular geben, sondern dass sie sogar etwas zu gewinnen haben.
Wir müssen den Leuten die Angst nehmen, kirchenkritisch zu sein. Das muss sich dann in unserer Demokratie und in Wahlergebnissen widerspiegeln. Und irgendwann in den nächsten 20 Jahren wird es so sein, dass dieser Damm bricht. Und dann werden viele politischen Parteien behaupten, sie wären ja schon lange oder sogar schon immer für die Trennung von Kirche und Staat gewesen. Das wird irgendwann kommen. Und vielleicht werden dann sogar die Kirchen versichern, sie hätten das auch schon lange gewollt, Religiöse seien ja eigentlich auch irgendwie verkappte Humanisten. Ich freue mich schon drauf.
Gibt es Prominente in der Schweiz, die man nutzen könnte, zumindest mit dem Promi-Faktor. Zum Beispiel in Schweden gibt es Björn Ulvaeus, der 2005 Mitglied des schwedischen Humanistenverbandes geworden ist. Er ist als Sänger von ABBA einer der großen Musiker und sehr bekannt in Schweden. Der hat mal gesagt, wenn ich mir so anschaue, wie die Religionen wieder Fuß fassen und auch Diskurse bestimmen, auch der Islam als Sondervariante, muss ich mich auch klar gesellschaftlich bekennen, wozu ich stehe. Ich stehe für die Friedliebenden und das sind die Humanisten. Das will ich mit meiner Prominenz befördern. Das haben wir auch in Berlin gesehen. In der Pro Reli/Pro Ethik Auseinandersetzung haben dann die ProReli-Leute ihren Willen mit Prominenten wie Günter Jauch u. a. plakatiert. In wieweit ist das auch für Freidenker eine Chance, wenn es denn 2-3-4 prominente Freidenker gibt (Schauspieler, Wirtschaftsleute) diesen Dammbruch, diese Schwelle, dass man nicht darüber spricht säkular zu sein, aufzuweichen.
Valentin: Ich kenne Radio- und Fernsehmoderatoren und wenn man bei denen war, sagen die danach im Gespräch, ich bin ja auch..., aber ich darf nicht! Dann müssen wir eben mithelfen, dass denen wieder Hoden wachsen oder dass deren Rückgrat stärker wird. Wir sollten es hinbekommen, dass diese Promis auch sagen können: Ich glaube nicht, ich bin säkular. Dass man vielleicht sogar einen Fußballstar dazu bewegen könnte, öffentlich zu sagen, dass es für ihn ganz selbstverständlich ist, dass er Humanist und Freidenker sei. Es ist wohl einfach eine Frage der Zeit.
Reta: Es gibt immer wieder Prominente, die sich als nichtreligiös outen – aber sich für die Freidenker einspannen lassen, das ist eine andere Geschichte. Das hat auch mit dem Image der Freidenker zu tun. Ich bin ja mit den Freidenkern in Berührung gekommen, als ich etwa 20 Jahre alt war. Damals bin ich praktisch gleichzeitig mit meinen Eltern aus der Kirche ausgetreten. Mein Vater hatte damals Bedürfnis, sich irgendwo anzuschließen, und ging zu den Freidenkern. Ich mit meinen 20 Jahren hatte dieses Bedürfnis nicht. Er hat mir viel erzählt, und er hat mich später immer zitiert, dass ich damals gesagt hatte, ja das ist schon gut, aber ihr seid ja eine Negativvereinigung.
Das höre ich heute immer noch, dieses Image haben die Freidenker. Die meisten Menschen möchten „für-etwas-sein”. Das habe ich damals auch so empfunden mit 20. Heute habe ich eher eine Haltung, die sich an einer negativen Ethik orientiert und denke, „gegen etwas sein” ist schon sehr gut, wenn man weiß wogegen man sein muss.
Wir haben schon oft über andere Vereinsnamen diskutiert. In der Schweiz ist der Name Humanist ein bisschen blockiert, weil es die Humanistische Partei gibt. Wenn man im Internet schaut, erscheint die noch, praktisch läuft aber nichts. Sie blockieren nur den Namen. Mittlerweile sind wir auch unter dem Namen Freidenker durch verschiedene Aktionen bekannt geworden, da macht ein Namenswechsel wenig Sinn.
Die Namensfrage ist aber vor allem eine Frage der Ausrichtung. Was die Freidenker bisher vereint, ist die Frage der Trennung von Staat und Kirche. Sobald es darum geht, positiv weitere, z. B. humanistische Ziele zu setzen, dann ist der Konsens schwieriger.
Positiv zu sagen, wie etwas sein muss, ist sehr schwierig, da gibt es viele Möglichkeiten. Es ist einfacher zu fordern, ein bestimmter Missstand z. B. die Verflechtung von Kirche und Staat, muss weg.
Ich habe aber schon vor 2 Jahren angemahnt, dass man in unserem Verband die Diskussion führen müsste, ob wir uns thematisch erweitern. Ich finde es nicht gut, wenn wir uns schleichend zu einem Humanistischen Verband entwickeln, das muss strukturiert gehen, das müsste mit klaren Papieren verbunden sein, damit man auch weiß, was man darunter verstehen will. Bisher wollte man lieber keine großen Diskussionen.
Solange wir uns auf die Frage Trennung Kirche und Staat beschränken, haben wir intern keine Probleme. Sobald wir positiv irgendwelche sozialen Fragen angehen, kommen wir auch mit den Libertären, die es unter den Freidenkern gibt, in Konflikt, weil die den Staat zurückdrängen wollen. Und damit wird es sehr, sehr schwierig.
Valentin: Es gibt meiner Erfahrung nach schon Bereiche, wo es einen guten Konsens gibt, auch als Teil in der Auseinandersetzung mit traditionellen religiösen Positionen, wo man humanistische Positionen als Kerngeschäft ansieht, wie z. B. der Einsatz für die Sterbehilfe. Da gab es auch Druckversuche, die in der Schweiz zu erschweren. Es gab den Versuch, das Recht auf Abtreibung zu erschweren und die Hürden höher zu setzen.
Wir haben eine Sammlung der Eigendeklarationen gestartet, was die Freidenker sind oder was sie sein sollen. Es ergaben sich drei Felder - Trennung von Staat und Kirche, Kirchenkritik, als traditionellstes Kerngeschäft. Als zweites den Säkularismus, Humanismus, Wissenschaft, kritisches Denken usw. Das dritte ist schon unser Dienstleistungsangebot, das sind die Rituale und Veranstaltungen. Und bei den Veranstaltungen ist es wichtiger, Debatten über aktuelle Themen zu ermöglichen und zuzulassen, statt pfannenfertige Positionen zu präsentieren.
Andreas: Wir haben begonnen, neben dem Welthumanistentag auch den Menschenrechtstag mit einem Veranstaltungsprogramm zu versehen. Und da führen wir eher Debatten, als dass wir vorgeben, die abschließende Lösungen zu kennen. Auch beim Denkfest wird präsentiert, debattiert und der Wissenschaft eine Bühne gegeben. Themen und Fragestellungen um Speziesismus, Transhumanismus und Biotechnologien sind kontroverse Fragen, bei denen die Freidenker keine abschließende Grundposition haben müssen. Wir sollten uns darum kümmern, dass die relevanten Fragen überhaupt diskutiert werden.