Das Große Sommerinterview

Freidenker und Freidenken in der Schweiz

Ein deutscher, konservativer Politiker, der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU im Bundestag, von dem wurde gesagt, dass es sein Kindheitstraum war, Zirkusdirektor zu werden. Die Frage ist, ist er heute als Fraktionsvorsitzender da angelangt, wo er als Kind hin wollte? Deshalb die Frage an Reta Caspar, hast Du als Geschäftsführerin mit der Tagesarbeit, mit Anfragen und Mitgliederbetreuung mehr zu tun, als die beiden anderen Gesprächspartner? Ich will nicht sagen, dass Du die Zirkusdirektorin der Freidenker der Schweiz bist, aber ich habe das Gefühl, Leute gibt’s nicht auf einfach.

Reta: Ich fühle mich manchmal eher wie die Mutter und Psychologin des Vereins, weil immer die komplizierten Leute bei mir landen. Das ist vielleicht auch ein Charakteristikum, dass wir attraktiv sind für Leute, die eine etwas spezielle Persönlichkeit haben … und dann mit ihrer eigenen Agenda kommen und versuchen, diese bei uns unterzubringen.

Ich möchte aber zur Aussage, Rituale seien gefragt, noch etwas präzisieren. In den letzten Jahren ist die Nachfrage ziemlich konstant geblieben. Zwei Drittel der Rituale, die wir durchführen, werden von Nicht-Mitgliedern nachgefragt. Eher typisch für unsere Mitglieder ist, dass sie dieses Angebot nicht nutzen. Das hat zum Teil damit zu tun, dass die Vereinigung immer noch ziemlich überaltert ist. Viele der älteren Generation lehnen das Rituelle eher ab. Nicht unbedingt als Reaktion gegen eine religiöse Prägung aus der Jugend, sondern weil es ihnen genügt, dass ihre Asche von der Familie irgendwo deponiert wird, ohne große Worte.
Ich denke aber, da ist ein Generationenwechsel im Gange, es wird deutlich, dass jüngere Leute eher wieder das Gefühl haben, dass etwas mehr Festlichkeit gut tut.
Als Geschäftsführerin fällt mir in der täglichen Arbeit vor allem das grandiose Nichtwissen über das Verhältnis Staat-Kirchen auf, bei Politikern, Journalisten etc. und ihr Staunen, wenn man sie mit ein paar Fakten konfrontiert. Ich erkläre ihnen dann jeweils, dass sie mit Mythen geimpft wurden …

Gegen diese Mythen anzukämpfen ist unsere Aufgabe, aber es ist sehr anstrengend.

Ich habe mal geschaut, welche Dienstleistungen die Freidenker anbieten - Lebenshilfe, Rechtsberatung, Rituale Willkommen, Heirat und Abschied, Wegbegleitung, Kirchenaustritt, Versorgung, Testament, Organspende usw. Es ist ja ein ganzes Paket, was da angeboten wird. Und wenn 2/3 von denen, die das in Anspruch nehmen, nicht Mitglied bei den Freidenkern sind (und es scheinbar auch nicht werden wollen), wieso folgt dann bei so Wenigen die logische Konsequenz: „Wenn das für mich gut war, dann möchte ich dies unterstützen, damit diese Organisation das auch für andere Leute anbieten kann.”

Andreas: Ich finde das aber auch nicht sonderlich empörend. Es ist wohl einfach die etwas bequeme Einstellung vieler Menschen. Natürlich, es wäre für uns hilfreich, wenn wir doppelt so viele Mitglieder hätten. Das Wenige an Bezahlarbeit, was wir vergüten, können wir uns rein rechnerisch kaum leisten.
Ich finde es nicht sonderlich schlimm, wenn jemand etwas berechnend ist und sich die Frage stellt, was er oder sie davon habe. Ich bin auch bei -zig Organisationen nicht Mitglied, obwohl ich denke, dass die was Sinnvolles machen. Einfach weil ich nicht bei Dutzenden Vereinen dabei sein kann.

Es liegt tatsächlich an uns, auf diese eine Marketingfrage, die sich die Leute stellen: „What’s in it for me?” eine gute Antwort zu haben. Wir haben uns in einem Workshop darüber unterhalten und eine Schlussfolgerung war, vielleicht streichen wir zu sehr, auch in unserer aktuellen Image-Broschüre, heraus, was wir denken, wie wir weltanschaulich ticken und erzählen zu wenig, was wir tun. Das betrifft das Dienstleistungsangebot, das betrifft aber auch die Politarbeit, auch die, welche nicht immer gleich Schlagzeilen produziert, Stellung nehmen bei politischen Prozessen, versuchen Einfluss zu nehmen.

Wenn wir den Leuten besser erklären, was wir tun, dann ist vielleicht die Motivation auch höher. Aber grundsätzlich sprechen Freidenker an, dass sie nicht unbedingt als erstes das Bedürfnis haben, sich mit anderen Freidenkern zu organisieren. Das finde ich nicht erstaunlich.

Valentin: Das ist eben ein bunter Haufen. Manche suchen das. Wir haben ja auch „Abendhock” und Stammtisch. Es gibt durchaus eine Klientel von treuen Leuten, die stets gerne dabei sind. Wer nicht glaubt, ist eben auch nicht alleine. Das ist in manchen Regionen ganz gut, wenn man das weiß. Es gibt auch „Skeptics in the pub”. Es gibt diese Socialevents, die sind wichtig, aber die sind nicht ritualisiert. Es ist also nicht jeden Sonntag dieses Socialevent, was auch schon auf soziale Kontrolle hinausgeht. Der katholische Glaubensgottesdienst ist eben auch Kontrolle, zumindest gewesen.
 

Es ist beides – Geborgenheit und Kontrolle. Das sind zwei Facetten… Ich habe manchmal den Eindruck, bei den Religionen werde ich als Kind zwangsläufig da hineingetragen, werde getauft, ich wachse in den Strukturen auf und bin einfach Mitglied, kenne die Rituale, nehme sie auch für mich in Anspruch in dem Bedürfnis wichtige Abschnitte im Leben, Partnerschaft, Kind, Sterben rituell zu überhöhen und dem einen besonderen Charakter zu geben. Und es gibt viele Gründe für ihn, nicht auszutreten. Die Tatsache, dass 2/3, der Menschen, welche diese Dienstleistungen in Anspruch nehmen, nicht die Konsequenz ziehen, Mitglied der Organisation zu werden, zeigt eigentlich, dass sie sich (noch) nicht dazugehörig fühlen, obwohl sie sich ja eigentlich als Freidenker bekennen.

Andreas: Es gibt unzählige freie Ritual-Anbieter. Ein Teil davon ist noch stark im religiösen Umfeld verhaftet, aber es gibt auch solche, die sehr klare, säkulare Angebote machen. Und es gibt ein esoterisches Angebot, das seine Kundschaft findet. Die Zahl der Leute, die ein Ritual suchen, das nicht traditionell kirchlich geprägt ist, ist relativ groß. Nur sind wir da letztlich ein kleiner Anbieter unter vielen.

Valentin: Thema Mitgliedschaft. Da müsste man das Ganze mal umdrehen. Was wir nicht tun, ist, auf Jugendliche in diesem Sinne losgehen. Wir veranstalten das Camp Quest, ein humanistisch-wissenschaftliches Sommerlager, aber da geht es nicht um Freidenker-Indoktrination. Bei weitem gefehlt. Wir kritisieren da auch nicht Kirche. Es ist einfach eine spaßige Woche, ein interessantes Angebot.

Ich habe das mal in einer Kolumne geschrieben und einen Fragebogen dazu kreiert. Alle 3-4 Jahre  müssen die  Kirchenmitglieder einen Fragebogen ausfüllen und belegen, dass sie immer noch in ausreichendem Maße mit den Grundsätzen und Ideen der jeweiligen Kirche übereinstimmen, bei den Katholiken z. B. Fragen aus dem Katechismus. Falls sie nicht die nötige Punktzahl erreichen, werden sie aus der röm.-kath. Kirche ausgeschlossen oder automatisch in die evangelisch-reformierte Landeskirche umverteilt. Das würde die Reihen der Kirchenmitglieder ganz schnell lichten. Und das würde dann eben auch den politischen Einfluss der Kirchen zurecht stutzen.

Wie viele Leute sind einfach dabei, weil sie reingeboren wurden? Es ist keine willentliche und wissentliche Entscheidung bei ganz, ganz vielen dieser Leute.
 

Ich hatte mal so eine Idee, dass Kinder, die mit der Firmung oder der Konfirmation, wenn sie also religionsmündig werden, das Glaubensangebot der Eltern nicht bestätigen, bei den Kirchen automatisch aus den Registern gestrichen werden müssten. ... Es sind ca. 20 Prozent eines Jahrgangs, die sich nicht firmen lassen. Da müsste der Staat, denn durch die Taufe wird ja eine zivilrechtliche Mitgliedschaft hergestellt, die Streichung verlangen können.

Reta: Der Staat lässt sich als Erfüllungsgehilfe für die Kirchen instrumentalisieren, weil bei Religionsmündigkeit (in der Schweiz mit 16 Jahren) die registrierte Konfession nicht bestätigt werden muss. Es gibt viele junge Leute, die erst später aufwachen, wenn sie mit 18 erstmals die Kirchensteuer auf ihrem Steuerformular sehen.  Denen dann erst klar wird, dass die Mitgliedschaft auch etwas kostet.
Man sieht es auch beispielsweise im Kanton Neuenburg, wo es eine Kirchensteuer gibt, die keine Pflicht ist. Da ist die Zahl der Kirchenmitglieder überdurchschnittlich. Es gibt dort sowohl die staatliche als auch die kirchliche  Steuerrechnungen. Der Staat verschickt beide, treibt aber die Kirchensteuern nicht ein.

Beispielbild