Reta: In verschiedenen Kantonen gab es Versuche, das zu verändern, aber das ist bisher gescheitert, dass man das etwas öffnet. Meist auf Gesetzesebene, wo man keinen Volksentscheid braucht, oder nur fakultativ. Jedoch gibt es Kriterienkataloge, was eine Gruppe erfüllen muss und die sind in der Regel dann so abgefasst, dass nur die bestehenden überhaupt eine Chance haben. Man muss eine bestimmte Anzahl von Leuten aufweisen, man muss eine bestimmte Anzahl von Jahren bestehen, dann muss man sein Budget offen legen,... und bis jetzt hat es bisher niemand ‚Neues’ geschafft.
Es gibt aber Bestrebungen, zum Beispiel im Kanton Neuenburg, da kann man als Kirche anerkannt werden, aber das ist dann keine öffentlich-rechtliche Angelegenheit mit Steuerfolgen, sondern es bedeutet eine quasi soziale Anerkennung als Gruppierung von besonders hohem Status.
In Basel sind sie derzeit eigentlich am Weitesten. Dort hat man die meisten Gruppen anerkannt, das nennt man dann ‚kleine Anerkennung’ und das ist mit kleineren Privilegien verbunden, wie dem Zugang zum Gefängnis- oder zur Spitalseelsorge. Bis zur Steuerhoheit werden dort zurzeit alle Zwischenstufen ausprobiert. Und das wichtige an diesen Kriterien ist, dass sie genau auf die katholische Kirche zutreffen, und explizit die Frage der Geschlechter-Gleichbehandlung ....
... Ist kein Kriterium?
Reta: Doch, aber nur im staatskirchenrechtlichen Bereich, dort, wo sich die Kirchengemeinde staatskirchenrechtlich formiert, aber nicht im liturgischen Teil oder auf den Klerus bezogen.
Valentin: Es ist ganz einfach gemauschelt. (Lachen) Wenn man objektiv nicht den ‚Status Quo Bias’ hätte, mit einer Rechtfertigung der bestehenden Verhältnisse, und es sich einmal von außen anschauen würde, dann müssten die Politiker sagen: „Die katholische Kirche wird natürlich nicht anerkannt“. Es ist ein rein politisches Argument, welches der Anerkennung von muslimischen Gemeinschaften entgegensteht. Bei den Muslimen hört man sie sagen: „Ah, das ist uns zu wenig transparent“, oder: „Die haben nicht alle Menschenrechte unterzeichnet“. Dieselben Punkte lassen sie bei der katholischen Kirche aber einfach willentlich unter den Tisch fallen. Und das finde ich schon sehr, sehr unredlich. In meinem Kanton [Wallis] müsste der Große Rat, das ist die Legislative des Kantons, entscheiden: „Nun nehmen wir die Muslime als dritte Konfession oder die Hindus...“. Der Katalog ist im Kanton Wallis eigentlich egal, es geht um den politischen Entscheid. Man müsste auch keine Religionsgeschichte von mindestens 100 Jahren nachweisen können, ...
Also ganz Vieles in diesem Bereich ist einfach schräg und wenn man unbefangen darauf los ginge, dann würde das ganz anders aussehen, als es jetzt aussieht. Es ist eine ausgeprägte Trägheit im System. Viele Politiker denken: „Ja ich muss noch meine schützende Hand über die Kirche halten“ und das ist sehr unaufrichtig und unfair. Im Hintergrund laufen die Fäden und so Sachen wie Traditionsrecht, da dürfen wir nicht naiv sein. Für jemanden, der jung ist und unbefangen darauf schaut, ist das alles höchst erstaunlich. Der schüttelt so lange mit dem Kopf, dass er fast ein Schleudertrauma hat.
Reta: Was man aber noch sehen muss ist, dass es in der Schweiz Finanzskandale wie im Bistum Limburg eigentlich nicht geben kann, weil alle Kirchen bei uns von unten nach oben organisiert sind. Die Kirchensteuer geht nicht ans Bistum, sondern an die Kirchengemeinden und die geben dann einen bestimmten Anteil hinauf.
Das gibt es in Deutschland auch bei der Evangelischen Kirche im Rheinland. Das ist erst 1949 geändert worden.
Reta: Das hat zur Folge, dass Machtstrukturen bei den Reformierten nicht vorhanden sind, denn die höheren Chargen sind eigentlich arm. Die Machtstrukturen der Katholiken sind ebenfalls abhängig von den Spenden und Vermächtnissen, die sie bekommen, denn die gehen meist an das Bistum und nicht an die Kirchengemeinde. Und deshalb ist das so ungleich. Bei den Katholiken ist das Bistum stark, weil es viele private Finanzierer hat, und die Reformierten streiten sich, ob sie überhaupt einen schweizerischen Sprecher wollen oder basisdemokratisch in den Kirchengemeinden organisiert bleiben.
Die Freidenker sind von der Struktur her doch eher bei den Reformierten als bei den Katholiken?
Reta: Ja. Ich sage den Reformierten immer: „Hört doch mal auf mit euren Märchen, seid einfach sozial, frei, kümmert euch um die Menschen in den Gemeinden, das ist gut. Aber solange ihr diese komplizierten Dinge des Glaubensbekenntnis und anderer Fragen pflegt, wird das nichts.” Sie haben es wieder versucht, aber ein reformiertes Glaubensbekenntnis gibt es nicht – sie können sich einfach nicht einigen. Die Reformierten in der Schweiz haben schon seit dem 19. Jahrhundert kein offizielles Glaubensbekenntnis mehr.
Aber weißt du, was ich bei den Katholiken immer bewundere: Sie haben ein sehr realistisches Menschenbild: Sie spielen zwar mit den verrücktesten Dingen, aber sie wissen eigentlich genau, dass die Leute das alles nicht einhalten können und sie haben alle Strukturen entwickelt, dass man das irgendwie unterbringt.
Valentin: Mit Ablass und Beichte.
Ich stelle zehn Regeln auf, die kein Mensch einhalten kann, und bin dann die einzige Organisation, die einen von diesen ‚Sünden’ wieder befreien kann...
Reta: Ja, so haben sie das Problem doch gelöst. Und offenbar ist diese Spannung, die Menschen haben, nicht spezifisch religiös, sondern Menschen haben so ein unangenehmes Empfinden wie ein schlechtes Gewissen und das ist nicht so leicht zu ertragen. Wenn einem dann jemand diese Last abnimmt, so dass man sich keine weiteren Gedanken darüber machen muss, was nicht in Ordnung war, das ist doch genial?
Aber: Was ich als Schuld empfinde, haben die mir vorher eingeblasen und die behaupten dann, sie könnten mich davon befreien... der Zirkelschluss ist eine perfekte Geschäftsidee.
Valentin: Das ist so wie bei einer Beziehung oder Ehe. Man sagt, man löst gemeinsam die Probleme, die man allein gar nicht hätte. (Lachen)
Das ist bei Religionen teilweise auch so. Sie gibt vor, Probleme zu lösen, die sie dir eingebrockt hat. Das ist Furcht einflößend und das läuft in den Freikirchen teilweise immer noch, mit ausgeprägt sozialer Kontrolle, neben Angstmacherei, aber auch in den stärker katholikalen Gebetsgruppen, in den charismatischen Bewegungen, etc. und auch in der Pius-Brüderschaft. Das sind dann schon rigide Regeln, wo du konkret an eine Hölle denkst. Nicht so ein Salon-Katholizismus, wie das viele jetzt leben: „Das ist ja nicht mehr so schlimm!“ „Wir haben den Limbus abgeschafft!“ Da gibt es immer noch Hardcore-Einstellungen, die echt schädlich sind. Für die betroffenen Individuen, und dadurch halt auch gesamtgesellschaftlich.
Reta: Aber für viele gibt es immer noch die Sinnfrage. Damit wird heute mehr gespielt. Weniger mit der Schuldfrage, das hat sich abgeschwächt. Aber wo immer man über Schule oder über Kinder spricht, heißt es: „Ja, Kinder haben viele Fragen und da müssen wir etwas darauf antworten. Aber diese Sinnfragen werden ihnen doch von den Kirchen eingeflüstert! Die meisten Kinder im Primarschulalter haben die Fähigkeit, die Welt zu beobachten, wie sie ist, und sie fragen nicht nach Gott.
In Deutschland gibt es ein Antidiskriminierungsgesetz, das den Religionsgesellschaften das Recht einräumt, ihren MitarbeiterInnen besondere Loyalitätsrichtlinien vorzuschreiben. Gibt es so etwas auch in der Schweiz?
Valentin: Die GerDiA-Kampagne hat ja prima aufgezeigt, dass das komische Blüten treibt in Deutschland…
Ja. In Deutschland ist eine EU-Richtlinie, die derartige Loyalitätspflichten für Leitende und Verkündigungs¬positionen erlaubt, auf alle Mitarbeiter ausgeweitet worden.
Andreas: Das Gesetz verbietet solche Anstellungen ja nicht. Es verhindert nur ein Klagerecht derjenigen, die nicht an eine Stelle kommen oder entlassen werden. Bei der Heilsarmee wurden zwei angestellte Frauen hinaus geschmissen, weil irgendwie bekannt geworden war, dass sie ein Paar sind.
Es ist aber aus zwei Gründen nicht so gravierend wie in Deutschland. Erstens gibt es keine Gesetzeslage und Rechtsprechung, die so einseitig zu Gunsten der Kirchen ist, und es gibt viel, viel weniger kirchliche Angestellte. Diese unendlichen vielen Krankenhäuser und Heime mit religiöser Fassade, das gibt es nicht in der Schweiz.