Menschen, für die Spiritualität und Religiosität ein zentraler Lebensinhalt sind, ärgern sich oft über meine Texte. Gläubige kritisieren oft, dass die positiven Seiten problematischer Glaubensgemeinschaften weggelassen werden. Dafür gibt es Gründe.
Das kann ich verstehen. Sie fühlen sich betroffen und missverstanden. Ich kann allerdings schlecht nachvollziehen, wenn manche behaupten, ich würde ihre religiösen Gefühle verletzen. Denn ich zeige lediglich Ungereimtheiten, Widersprüche und missbräuchliche Praktiken der Sekten und Glaubensgemeinschaften auf.
Außerdem kritisiere nie eine gläubige Person wegen ihres Glaubens, sondern höchstens religiöse Führer, die radikale bis fundamentalistische Dogmen vertreten, ihre Position missbrauchen oder mit raffinierten Indoktrinationsmethoden ihre Anhänger abhängig machen. Es geht mir also um die Aufklärung von Missständen aller Art.
Was jemand glaubt und denkt, ist mir egal. Es sei denn, die Person setzt ihren Glauben ein, um andere auf versteckte oder unredliche Art zu missionieren.
Meine Kritiker monieren weiter, dass ich nur die negativen Aspekte von Sekten und radikalen Glaubensgemeinschaften thematisiere und die positiven weglasse.
Nur: Von religiösen Gruppen und Bewegungen, die sich als Hüter von Moral und Ethik ausgeben, darf man erwarten, dass sie grundsätzlich seriös sind, ihre Anhänger mit Respekt und Würde behandeln und ihnen individuelle Freiheiten selbstverständlich zugestehen.
Doch dies ist nur allzu oft nicht der Fall, nicht einmal bei der katholischen Kirche. Deshalb ist mein journalistischer Fokus auf den missbräuchlichen Aspekten. Vom Selbstverständlichen kann man ausgehen und es muss nicht speziell erwähnt werden.
Würde ich auch die positiven Seiten hervorheben, würde ich quasi Werbung für problematische Gemeinschaften machen. Ich habe nämlich mehrfach erlebt, dass mich Sekten benutzten, um ihr Image aufzupolieren. Ihr Trick: Sie rissen ein Zitat von mir aus dem Zusammenhang, um sich reinzuwaschen.
Sie schrieben beispielsweise, sogar der Sektenjäger Hugo Stamm habe sie lobend erwähnt oder ihnen einen Persilschein ausgestellt. Konkret erklärte eine Glaubensgemeinschaft, ich habe bestätigt, dass es sich bei ihr nicht um eine Sekte handle.
Aussagen aus dem Zusammenhang gerissen
Den Rest meiner Aussagen verschwieg sie vornehm. Der lautete nämlich, die Gemeinschaft sei zwar keine Sekte im klassischen Sinn, weise aber deutliche Sektenmerkmale auf.
Eine Zwischenbemerkung: Der Vorwurf, ich sei ein Sektenjäger, trifft nicht zu. Ich habe nie eine Aktion gegen Sekten lanciert, sondern ausschließlich mit journalistischen Mitteln Aufklärung betrieben.
Kommt hinzu, dass ein Blog die persönliche Meinung und Haltung des Autors wiedergibt. Wie bei einem Kommentar, einem Meinungsartikel oder einem Essay. Ein Impulstext darf provozieren, um die Diskussion anzuregen. Die vielen Kommentare bei meinem Blog zeigen, dass dies gelingt.
Gegenargumente kommen in den Kommentaren zum Ausdruck
Wichtig dabei: Die verärgerten Gläubigen können mit Gegenargumenten und ergänzenden Informationen einen Ausgleich schaffen. Somit sind Meinungsvielfalt und Ausgewogenheit gewährleistet.
Es gibt einen weiteren Grund, weshalb ich keine Bedenken habe, die positiven Aspekte von Glaubensgemeinschaften auszublenden. Die religiösen Gruppen und Bewegungen haben mit ihren Internetauftritten und ihren Posts in den sozialen Medien eine Reichweite, von der ich mit meinen aufklärerischen Texten nur träumen kann.
Außerdem nutzen sie sämtliche Möglichkeiten, um in der Öffentlichkeit zu missionieren. Zu berücksichtigen ist auch, dass ich in der Schweiz so ziemlich der einzige Journalist bin, der regelmäßig über Sekten und Glaubensgemeinschaften schreibt.
Eine kritische Stimme sollte es ertragen
Eine kritische Stimme sollte doch eine pluralistische und aufgeklärte Gesellschaft ertragen, zumal meine Texte im PR-Gewitter der von mir kritisierten Bewegungen und Gruppen förmlich untergehen.
Außerdem bleiben bei rund 1.000 Sekten und problematischen Gemeinschaften aus dem christlichen und esoterischen Umfeld die meisten verschont.
Kommentierende sowie Bloggerinnen und Blogger, denen Spiritualität und Religiosität ein Anliegen sind, sind herzlich eingeladen, sich weiterhin am Diskurs zu beteiligen. Vorausgesetzt, sie bleiben sachlich. Was natürlich für alle gilt.
Übernahme mit freundlicher Genehmigung (und minimalen Änderungen) von watson.ch.
9 Kommentare
Kommentare
A.S. am Permanenter Link
Religionen schaffen virtuelle heile Welten. Die Konfrontation mit der weniger schönen Realität ist unerwünscht.
Der sexuelle Mißbrauch Minderjähriger durch Priester z.B. ist solch eine Konfrontation der Gläubigen mit der Realität. Reaktion der Gläubigen: Verdrängen, nicht wahr haben wollen.
Gewalttätigkeit von Gottesgläubigen gegen Andersgläubige ist auch eine Konfrontation mit der Realität. Die Reaktion jener Politiker, die glauben, dass Religion dem Frieden dienen würde: Verdrängen, nicht wahr haben wollen.
Aufklärung ist ein doppelter Kampf: Der Kampf gegen priesterliche Herrschaftsambitionen und der Kampf gegen das Verdrängen, das nicht-wahr-haben-Wollen der Gläubigen.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Die Aufgeregtheit bei Sekten kann ich nachvollziehen: Sie sind sich ihrer argumentativen Schwäche bewusst und können nicht "großzügig" darüber hinwegsehen, wenn Hugo Stamm (aus ihrer Sicht) Blödsinn schreibt
So, wie unsere Evolutionswege regelmäßig von religiösen Hardlinern angegriffen, nach Möglichkeit verhindert oder beschmiert und beschädigt werden. Wie muss es in diesen Menschen brodeln, derart intolerant der gesamten Wissenschaft gegenüber stehen zu müssen. Sich permanent aufgerufen zu fühlen, ihre abergläubischen Albernheiten verteidigen zu müssen, als traue man dem allmächtigen Gott nun wahrhaftig nichts mehr zu.
Als wir in Karlsruhe anlässlich der Buskampagne unseren Geldhamster (als Symbol für die reichen Kirchen) demontierten, liefen wir mit Mausi am Kreuz (als Symbol für die von der Kirche gekreuzigte arme Kirchenmaus) durch eine Fußgängerzone. Ein modern wirkender, junger Mann kam entrüstet auf uns zu und forderte, "das" herunterzunehmen, es verletze seine religiösen Gefühle. Einer Diskussion, warum dies so sei, entzog er sich durch Flucht.
Wie schwach der Gott, der sich von solchen Leuten verteidigen lässt, wie arm sein Selbstvertrauen und wie armselig das Vertrauen seiner Anhänger, dass er sich selbst verteidigen könnte (sollte er existieren).
Aber Gläubige wollen nicht mehr auf das Jüngste Gericht warten, weil es in Wahrheit nicht um Gott oder dessen Urteil über die Welt geht, sondern um die eigene, tief empfundene Minderwertigkeit, die dank religiöser Indoktrination regelmäßig in Kindergehirne eingesät wird...
Paul München am Permanenter Link
Die Gläubigen befürchten wohl, dass ihr jeweiliger Gott sie strafen wird, wenn sie ihn nicht verteidigen. Das dürfte der Beweggrund für deren gereiztes Verhalten sein.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Werter Herr Stamm, sie müssen sich für ihre Tätigkeit, kontra Sekten, nicht quasi entschuldigen, die Machenschaften dieser Leute gehören deutlich an den Pranger gestellt
Mir tun nur die Menschen leid, welche auf solche machtgierige Schwätzer hereinfallen.
Diesen sollte man eine Alternative im humanistischen Spektrum anbieten, welches deutlich macht, dass man nur an sich selbst und den Glauben an das gute im Menschen
einen Weg für eine bessere Zukunft finden kann.
Selbstbewusste und logisch denkende Menschen fallen eh nicht auf derartige Scharlatane herein, diese erkennen Lügner schon an deren Terminologie.
Tragen Sie bitte weiterhin dazu bei, dass diese immer mehr werden.
Rene Hartmann am Permanenter Link
Die positiven Seiten religiöser Gemeinschaften treffen meist auch auf andere Gemeinschaften zu, ob religiös oder nicht. Die negativen Seiten dagegen haben meist mit der Religion zu tun.
Roland Weber am Permanenter Link
Zitat:
An dieser Inkonsequenz krankt die gesamte Aufklärung! Man will einfach nicht akzeptieren, dass auch ein Glaube durchaus im Gläubigen zu kritisieren ist, wenn man es tatsächlich mit der Aufklärung und einer Mehrung des Wissens ernst meint. Es ist grundfalsch, einen Glauben von der Glaubwürdigkeit einer Person trennen zu wollen. Sicher kann jeder glauben, was er will. Indem er jedoch vor- oder angibt, etwas ganz Konkretes zu glauben, muss er sich auch die Konfrontation mit Logik, Naturwissenschaften und den Auswirkungen gefallen lassen. Gerade die Merkwürdigkeiten, die die Texte aufweisen, müssen auf den Prüfstand gestellt werden.
Warum strotzt das NT vor lauter Römerfreundlichkeit, obwohl bei der Abfassung der Evangelien gerade ein brutaler Krieg zwischen Rom und Juden zu Ende gegangen ist? Warum soll es glaubhaft sein, dass kein Jünger verheiratet gewesen sein soll, obwohl Ehe- und Kinderlosigkeit bei Juden als ein Fluch Gottes interpretiert wurde? Lediglich bei einem Petrus taucht eine Schwiegermutter auf, die somit das gesamte Szenario abstützen soll. Wieso spricht man ausgerechnet von einem barmherzigen Samariter, wo es doch zwischen Juden und Samaritern Spannungen bestanden?
Es gibt hunderte derartiger Merkwürdigkeiten, die eben nur einen Schluss zulassen: Da stimmt etwas gewaltig nicht. Und wer sich derartigen Fragen nicht stellen will, bei dem stimmt eben auch etwas gewaltig nicht. Damit muss er/sie leben – nicht ich. Und nichts ist daran auszusetzen, genau dies auch so auszudrücken.
Es ist höchste Zeit, dass Säkulare den religiösen Gefühlen auch einmal einen religiösen Verstand gegenüber stellen.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Religiöse Stimmen sind selten kritisch.
Bernhard Heidt am Permanenter Link
Wie soll sich Herr Stamm auch nur positiv über religiöse Strömungen äussern, wenn genau diese sich gegen jegliche Kritik an ihrem Status wehren?
Paulchen am Permanenter Link
Positive Aspekte oder Seiten einer Sache sind auch so ne Sache: Die Teilbilanz weniger ausgelesener Aspekte einer Sache kann höchst positiv ausfallen [Kirschenlesen] obgleich die Gesamtbilanz der Sache eigentlich sehr