UN-Berichterstatterin gegen Selbstbestimmungsgesetz – Bundesregierung und Verbände widersprechen

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Das Selbstbestimmungsgesetz ermöglicht es Transmenschen künftig, ihren Geschlechtseintrag beim Standesamt ändern zu lassen. Für diesen Schritt sind dann kein Gutachten und keine Gerichtsentscheidung mehr notwendig. Scharfe Kritik am Gesetz kommt jetzt von Reem Alsalem, der UN-Sonderberichterstatterin für Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Die Bundesregierung und viele Verbände weisen Alsalems Stellungnahme energisch zurück.

"Besorgt" äußerte sich Alsalem vor allem über die von ihr befürchteten Menschenrechtsverletzungen durch das Selbstbestimmungsgesetz. Es "scheint die spezifischen Bedürfnisse von Frauen und Mädchen in all ihrer Vielfalt nicht ausreichend zu berücksichtigen, vor allem die derjenigen, die männlicher Gewalt ausgesetzt sind oder Opfer männlicher Gewalt geworden sind", heißt es in ihrem 17-seitigen Schreiben an die deutsche Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne). So moniert Alsalem das angebliche Fehlen von Schutzmaßnahmen, um einen Missbrauch durch "Sexualstraftäter und andere Gewalttäter" zu verhindern.

Die UN-Sonderberichterstatterin bezieht sich hierbei auf Berichte über mutmaßliche Fälle sexueller Gewalt an Frauen durch trans oder nicht binäre Personen. So würde das Gesetz Tätern den Zugang zu Räumen erleichtern, "die nur für ein Geschlecht bestimmt sind oder aus Sicherheitsgründen Frauen vorbehalten" seien. Außerdem äußert sie die Sorge um den Schutz von Minderjährigen. Das Selbstbestimmungsgesetz sieht vor, dass Jugendliche ab 14 Jahren mit Einwilligung eines Sorgeberechtigten die amtliche Änderung beantragen dürfen.

Das Schreiben von Reen Alsalem ist auf den 13. Juni datiert. Die Antwort kam am 5. August vom Büro für die Ständige Vertretung des Auswärtigen Amtes für die UN in Genf. Darin weist die Bundesregierung die Vorwürfe energisch zurück. Es bleibe weiterhin gewährleistet, "dass geschlechtsneutrale Räume, insbesondere Frauenhäuser, tatsächlich sicher sind", heißt es darin. Der Deutsche Frauenrat und der Deutsche Kinderschutzbund hätten das Selbstbestimmungsgesetz unterstützt; der Verband der Frauenhäuser habe es ausdrücklich begrüßt und seine "Besorgnis über die zunehmende Gewalt gegen intersexuelle und transgender Personen, die sich als weiblich identifizieren, und deren besondere Marginalisierung" geäußert.

Der Schlagabtausch trifft mitten in eine aufgeheizte Debatte, in der sich zwei Lager unversöhnlich gegenüberstehen. Während die eine Strömung des Feminismus etwa trans Frauen als Frauen anerkennt, sieht die andere in der Anerkennung von trans Frauen als Frauen eine Aufweichung von Frauenrechten. Zu Letzteren gehört etwa die Initiative Lasst Frauen sprechen. In einem Tweet spricht sie der UN-Sonderberichterstatterin ihren Dank für den Brief aus.

Kritisch zu Alsalems Schreiben positioniert sich dagegen der Deutsche Frauenrat, ein bundesweiter Dachverband von Frauenorganisationen. So schreibt dessen Vorsitzende Dr. Beate von Miquel: "Als größte Interessenvertretung für Frauen in Deutschland widersprechen wir Narrativen, die besonders trans* Frauen unter Generalverdacht eines gewaltvollen Verhaltens stellen, entschieden. Trans* Frauen sind in öffentlichen Räumen häufig selbst Gewalt ausgesetzt." Der Einsatz gegen Gewalt schließe sie selbstverständlich mit ein.

Auch Henny Engels, Bundesvorstandsmitglied beim Lesben- und Schwulenverband (LSVD), zeigte sich von Alsalems Kritik zutiefst bestürzt. Sie sieht darin "dieselben Scheinargumente", die "rechtspopulistische und demokratiefeindliche Akteur*innen" bereits vor Verabschiedung des Selbstbestimmungsgesetzes vorgebracht hätten. Sie weist darauf hin, dass gerade die Vereinten Nationen von zentraler Bedeutung für die weltweit bedrohten, jedoch nicht verhandelbaren Menschenrechte von LSBTIQ* seien, und wirft der Sonderberichterstatterin vor, in ihrer Stellungnahme die Interessen von lesbischen, cis und trans* Menschen gegeneinander auszuspielen.

Ebenfalls mit deutlichen Worten meldete sich der Vertreter des Bundesverbandes Trans*, Gabriel_Nox Koenig, zu Wort. Er verwies darauf, dass es derzeit in 15 Ländern weltweit Selbstbestimmunsgesetze gebe und die häufig geäußerten Befürchtungen, Frauen würden unter der Selbstbestimmung von trans Personen leiden, in keinem Land wahr geworden seien. Diese Diskussionen müssten als "gezielte Desinformation von antifeministischer und rechtskonservativer Seite" gesehen werden, die gesellschaftliche Vorurteile verschlimmern würden.

Der Vorstand des Jugendnetzwerks Lambda e.V., einer bundesweiten Initiative von jungen queeren Menschen, kritisierte insbesondere Alsalems Behauptung, das Selbstbestimmungsgesetz stelle eine Gefährdung von Minderjährigen dar. Es sei bekannt, dass Kinder bereits im Alter von zwei bis drei Jahren ihre Geschlechtlichkeit und die dazugehörigen gesellschaftlichen Rollenbilder wahrnähmen, heißt es in der Stellungnahme des Jugendnetzwerks. "Kindern die Fähigkeit abzusprechen, über die eigene trans* Identität Auskunft geben zu können, ist daher unwissenschaftlich und wiederholt das Bild der unwissenden trans* Person." Zudem stehe das Selbstbestimmungsgesetz in Einklang mit den gesetzlichen Grenzen der Einwilligungsfähigkeit, die für Religionsmündigkeit und strafrechtliche Verantwortlichkeit mit 14 Jahren beginne. In ihrem Schreiben verkläre Alsalem "Depressionen und Ängste bei Kindern und Jugendlichen zum Argument, um die Rechte von trans* Kindern und Jugendlichen zu übergehen, anstatt die vielerorts grassierende Queerfeindlichkeit als Faktor hierfür zu benennen und zu verurteilen."

Reem Alsalems Haltung steht bereits seit Längerem in der Kritik von Verbänden, die unter Frauenrechten auch die Rechte von trans Frauen inkludieren. Bereits 2023 warf die Frauenrechtsorganisation Association for Women's Rights in Development (AWID) der UN-Sonderberichterstatterin in einem Offenen Brief vor, ihre Machtposition für die Unterstützung von Maßnahmen zu missbrauchen, die trans Personen diskriminieren.

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