Kirchenasyl – der geduldete Bruch staatlicher Regeln

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Steht das Kirchenasyl vor dem Aus? Das fragt eine Organisation, die sich für eben dieses Kirchenasyl vehement einsetzt: Asyl in der Kirche macht sich Sorgen anlässlich "vermehrter Räumungen, Räumungsversuche oder Räumungsandrohungen seit letztem Sommer in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern und Hessen." Welches sind die Regeln rund um das Kirchenasyl, das sich im Spannungsfeld zwischen Humanität und Rechtsstaatlichkeit bewegt? Das die einen als wichtigen Akt der Nächstenliebe und als ethische Verpflichtung sehen, die anderen aber als Untergraben des Rechtsstaats und des Grundsatzes der Gleichheit vor dem Gesetz.

Die Organisation Asyl in der Kirche setzt sich seit Jahren dafür ein, dass es in zweifelhaften Fällen, in denen ein Ausländer abgeschoben werden soll, zu einer nochmaligen behördlichen Überprüfung kommt. Um zu verhindern, dass durch eine Abschiebung Fakten geschaffen werden, wird der oder die Betroffene in Räumlichkeiten der Kirchengemeinde in Obhut genommen. Es soll Zeit gewonnen werden, damit der Einzelfall noch einmal sorgfältig unter rechtlichen, sozialen und humanitären Gesichtspunkten geprüft werden kann. Nach Kenntnis von Asyl in der Kirche gab es (Stand Frühjahr 2024) in Deutschland 594 solcher Kirchenasyle mit mindestens 780 Personen, darunter auch etwa 130 Kinder.

Der Verband befürchtet nun, dass staatliche Stellen eine in den vergangenen Jahren geübte Praxis nicht mehr wie bisher einhalten werden und in kirchliche Einrichtungen eindringen, um Personen abzuschieben. Hohe Wellen schlug im vergangenen Mai ein Fall aus Niedersachsen: Im Städtchen Bienenbüttel setzte die Polizei einen Durchsuchungsbeschluss in einem Gemeindehaus durch. Eine vierköpfige russische Familie, die dort Schutz gefunden hatte, wurde abgeführt. Der Vater und der Sohn hatten den Kriegsdienst für Russland verweigert. Die Familie wurde in ein Flugzeug nach Spanien gesetzt, für dieses Land hatten die Familienmitglieder Visa.

Der Fall brachte die zuständige Landesinnenministerin Daniela Behrens in Erklärungsnot. Um die Wogen zu glätten, traf sich die SPD-Politikerin mit Vertretern der Kirche und des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und veröffentlichte danach folgende Erklärung:

"In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Fälle von Kirchenasyl in Deutschland und in Niedersachsen stark gestiegen. Gleichzeitig erkennt das BAMF nur in den wenigsten Fällen an, dass es sich bei den Verfahren um Härtefälle handelt. Das bringt uns als Land in eine Situation, in der wir Überstellungen, wie die der Familie aus Bienenbüttel nach Spanien, in Vollzugshilfe für das BAMF trotz menschlicher Härten durchführen müssen. Das ist insbesondere für die Betroffenen hoch belastend, aber auch für die Gemeinden und alle an diesen Verfahren Beteiligten keine angenehme Lage. Mir ist deshalb sehr daran gelegen, dass die Kirchen und das BAMF wieder ein gemeinsames Verständnis davon entwickeln, wann ein Härtefall vorliegt. Beide Parteien haben heute weitere Gespräche zu diesem Thema vereinbart. Die Landesregierung respektiert das Kirchenasyl und wird vor diesem Hintergrund keine weiteren Überstellungen oder Abschiebungen aus dem Kirchenasyl vornehmen."

Doch längst nicht alle Bundesländer wollen ein so weitreichendes Versprechen abgeben wie Niedersachsen. Eine Umfrage der Medienplattform netzpolitik.org im vergangenen Juni ergab, dass die Mehrheit der Bundesländer nicht darauf verzichten will, gegebenenfalls auch aus dem Kirchenasyl abzuschieben.

Die Rechtslage beim Kirchenasyl

Doch wie ist eigentlich die Rechtslage beim Kirchenasyl, dürfen die Kirchen einfach entgegen einer staatlichen Entscheidung Flüchtlingen Unterschlupf gewähren? Oder darf der Staat auch in solchen Fällen in die Räume eindringen und den untergebrachten Menschen in Gewahrsam nehmen, um ihn dann abzuschieben?

Das Bayerische Oberste Landesgericht fand dazu in einem Urteil aus dem Jahr 2022 deutliche Worte:

"Ein Sonderrecht der Kirchen, aufgrund dessen die Behörden bei Aufnahme einer Person in das 'Kirchenasyl' gehindert wären, eine Überstellung durchzuführen und hierzu gegebenenfalls unmittelbaren Zwang anzuwenden, existiert nicht. 'Kirchenasyl' findet weder in Artikel 16a Grundgesetz noch in Artikel 140 Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung oder in Artikel 4 Grundgesetz eine rechtliche Legitimierung, denn die Asyl-Gewährung durch nichtstaatliche Stellen kollidiert mit dem Gewaltmonopol des Staates.…Die Grundrechte wie die Gewährung staatlichen Asyls in seiner gesetzlich geregelten Anwendung werden nur durch den Staat garantiert. Nichtstaatliche Einrichtungen wie beispielsweise die Kirchen können außerhalb dieser demokratisch legitimierten Ordnung keine Sonderrechte für sich beanspruchen und etwa selbständig Asyl gewähren… Die Durchsetzung der Ausreisepflicht darf daher auch unter Berücksichtigung der kirchlichen Belange im Hinblick auf deren durch Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV geschützte karitative Tätigkeit aus Gründen des Primats des staatlichen Rechts und der Funktionsfähigkeit der staatlichen Rechtsordnung nicht verhindert werden."

Trotz dieser klaren Rechtslage duldet der Staat bis zu einem gewissen Grad das Kirchenasyl, das schon aus der Antike überliefert ist, als Kirchen und Tempel als Zufluchtsort für Verfolgte galten. Debatten darüber gab es in Deutschland immer wieder. Besonders hoch schlugen die Wellen, als im Jahr 2015 der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) zu einem umstrittenen Scharia-Vergleich griff. Er warnte vor einem Missbrauch des Kirchenasyls und sagte, dass ja auch Muslime nicht argumentieren dürften, dass für sie die Scharia über deutschen Gesetzen stehe.

Auch die Kirchen wissen, dass das, was sie da an Hilfe gewähren, nicht auf einer Rechtsposition beruht. Sie verweisen aber darauf, dass man durch das Kirchenasyl kein Recht breche, sondern Recht schützen wolle. Das Kirchenasyl sei eine Möglichkeit, Fehlentscheidungen der zuständigen Behörden und Gerichte zu revidieren, bevor durch eine Abschiebung Fakten geschaffen werden. Christian Stäblein, der Flüchtlingsbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), betonte kürzlich im Deutschlandfunk, dass das Kirchenasyl eine "Erfolgsquote" von 80 bis 90 Prozent habe. In so vielen Fällen dürften die Menschen nach einem Kirchenasyl am Ende in Deutschland bleiben. Im Übrigen rede man über Zahlen, "die nicht die grundsätzliche Politik ändern oder bestimmen, aber die unsere Humanität in diesem Land ausmachen."

Aber wird durch Kirchenasyl nicht doch am Ende staatliches Recht unterlaufen? Oftmals führt das Kirchenasyl ja dazu, dass Geflüchtete dann nicht – wie im sogenannten Dublin-Verfahren auf europäischer Ebene geregelt – in dem Land bleiben, in dem sie zuerst Asyl beantragt haben. Dazu sagt Stäblein: "Es geht dabei oft um Abschiebungen in Länder, in denen wir davon ausgehen müssen, dass es dann zu einer weiteren Abschiebung mit lebensgefährlichen Zuständen kommt."

Regeln seit 2015

Der Staat lässt sich bis zu einem gewissen Grad darauf ein, das Kirchenasyl zu respektieren. Hierfür gibt es seit dem Jahr 2015 auch Regeln. Ein Kirchenasyl muss ab dem ersten Tag dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gemeldet werden. In einem Schreiben des BAMF an die Kirchengemeinde wird dann darauf hingewiesen, dass innerhalb von vier Wochen ein Härtefalldossier über den Fall eingereicht werden muss, in dem die Situation des Flüchtlings und der Grund für das Kirchenasyl ausführlich dargelegt werden muss.

Kirchenasyl beruht also nicht auf einem Recht der Kirchen, sondern auf einer Vereinbarung zwischen Kirchen und Politik. Und diese Vereinbarung ist, je nach politischer Wetterlage, auslegbar. So sagt auch Dieter Müller, Vorstandsvize von Asyl in der Kirche in einem Interview mit dem Christlichen Medienmagazin Pro: "Kirchenasyle dürfen immer geräumt werden, um eine Ausreisepflicht durchzusetzen. Dass die Behörden sie tolerieren, ist eine rein politische Entscheidung." Eine restriktivere Flüchtlingspolitik, so befürchtet man nun in Kirchenkreisen, könnte demnächst auch den Druck auf das Kirchenasyl erhöhen. Auf die Frage, ob ihm der zunehmende Einfluss der AfD Sorge im Hinblick auf das Kirchenasyl mache, sagt Müller: "Nein, dafür sind die Wahlerfolge zum Glück noch nicht hoch genug. Und es bildet sich dann auch immer eine Gegenbewegung. Extreme Positionen kreieren automatisch Gegenpositionen. Es könnte sogar sein, dass sich noch mehr Aktivisten oder Gemeinden für ein Kirchenasyl entschließen, wenn die AfD noch mehr zulegt."„"

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