Religionskritiker I: Antike und Mittelalter

(hpd) Als Religionskritiker sollen im Folgenden einige Denker mit ihren Auffassungen entlang der historischen Chronologie kurz portraitiert werden. Zwar besteht eine Gemeinsamkeit in der grundlegenden Kritik an Religion allgemein oder an besonderen Religionen. Es handelt sich allerdings nicht immer um Atheisten, kamen die Dargestellten doch auch auf Basis einer agnostischen, deistischen oder pantheistischen Auffassung zu ihren Einwänden.

Mitunter handelt es sich sogar um die Anhänger einer Religion, die andere Religionen kritisieren oder bestimmte Grundlagen der eigenen in Zweifel ziehen. Darüber hinaus lassen sich Unterschiede in der Schwerpunktsetzung der Kritik ausmachen: Mal ist es die Begründungsebene, also die Rechtfertigung für Religion, mal ist es die Erklärungsebene, also die Deutung der Akzeptanz, mal ist es die Wirkungsebene, also die Geschichte der Religion. Bei der Auswahl der Portraitierten fanden insbesondere Kritiker des Christentums und der deutschsprachige Raum Berücksichtigung.

Eindeutige Aussagen zu den Positionen der Religionskritiker in der frühen Antike lassen sich aus unterschiedlichen Gründen nur schwer formulieren: Erstens besteht ein Quellenproblem, da die einschlägigen Texte häufig nur fragmentarisch überliefert sind. Zweitens lassen sich aufgrund dieser Quellenlage auch ambivalente und widersprüchliche Deutungen vornehmen. Drittes hielten sich einige Philosophen angesichts möglicher Folgen bei bestimmten Aussagen bedeckt. Und viertens konnte Kritik an der Religion auch mit dem Glauben an die Existenz der Götter einhergehen. Als objektiv religionskritisch gelten können die Auffassungen der vorsokratischen Denker, insbesondere der Naturphilosophen (Anaximenes, Heraklit, Thales etc.), welche die Ursachen für die Naturprozesse in der Natur selbst suchten und sie nicht mehr als Ausdruck des Willens der Götter deuteten. Überhaupt stellt der philosophische Übergangsprozeß vom Mythos zum Logos einen grundlegenden Schritt in Richtung Religionskritik dar.
 

Hinsichtlich der Einstellung zur Religion gibt es bei dem Philosophen Xenophanes (570-475 v.d.Z.) unterschiedliche Deutungen. Er wandte sich gegen die anthropomorphe Vorstellung von Göttern mit vermenschlichten Eigenschaften wie Betrug, Diebstahl und Untreue, was solchen edlen und transzendenten Wesen nicht würdig sei. Darüber hinaus stellten sich die Menschen ihre Götter entsprechend ihrer eigenen Bedürfnisse und Eigenschaften vor, sie wären somit das zufällige Produkt individueller Einbildungskraft, Phantasie und Wünsche. Derartigen Auffassungen stand Xenophanes mit Distanz gegenüber, könne doch kein Mensch die Götter genau erblicken. Bis zu dieser Stelle seiner Argumentation lies sich der Philosoph als Anhänger einer religionskritischen Projektionsthese deuten. Er vertrat allerdings auch die Auffassung, dass ein Gott unter den Göttern und den Menschen der größte sei. Manche Interpretationen sehen daher in ihm den frühen Vertreter eines neuen Gottesbegriffs im monotheistischen Sinne.
 

Als bedeutendster Vertreter der Sophisten gilt Protagoras (490-420 v. d.Z.), der eine Schrift „Über die Götter“ 415 v.d.Z. verfasst haben soll. Von ihr überliefert ist nur der erste Satz: Von den Göttern wisse der Autor nichts, weder dass sie existierten, noch dass sie nicht existierten; denn die Dunkelheit der Sache wie die Kürze des Lebens hemme das Wissen. Darüber hinaus ist nichts näheres bekannt. Es kann vermutet werden, dass Protagoras die traditionellen Göttervorstellungen als Widerspieglung menschlicher Verhältnisse deutete. Sicherheit besteht allerdings nur hinsichtlich der Auffassung, dass der Philosoph die Möglichkeit von sicherem Wissen der Menschen über das Leben und Wirken der Götter ausschloss. Obwohl hier nur eine agnostische und keine atheistische Position formuliert wurde, galt eine solche Einschätzung als Leugnung der Götter. Daher geriet Protagoras mit den herrschenden Vierhundert in Konflikt, seine Schriften wurden beschlagnahmt und verbrannt und er selbst zur Verbannung verurteilt.
 

Ebenfalls zu den Sophisten gehörte der Philosoph Prodikos (470-390 v.d.Z.), der als Schüler von Protagoras gilt. In den ihm zugeschriebenen Überlieferungen finden sich Ausführungen zu dem Ursprung der Religionen: Er leitete diese ab aus dem Ackerbau, der die Grundlage jeder menschlichen Kultur sei, da er die Lebensmittelherstellung und Sesshaftigkeit ermögliche. Flüsse und Quellen, Mond und Sonne sowie die Früchte des Bodens lieferten die Beiträge dazu. Aufgrund ihrer hohen Bedeutung für das menschliche Leben sei die Vorstellung aufgekommen, es handele sich um die Götter. Daher verehre man in ihnen eigentlich nur die Kräfte der Natur. Demnach behauptete Prodikos in dieser Perspektive, dass es keine Götter gebe. Ob man diese Auffassung als atheistisch deuten muss, ist umstritten. Es könnte auch sein, dass der Philosoph lediglich die bestehenden Auffassungen einfach verständlich machen wollte. Möglich wäre aber auch eine aufklärerische Deutung, wonach die Götter als Produkte der Phantasie erscheinen.
 

Der bekannte griechische Philosoph Epikur (341-270 v.d.Z.) entwickelte eine Ethik, wonach das oberste Prinzip das Streben nach Lusterfüllung sei. Entgegen weit verbreitert Auffassungen ging es ihm aber nicht um das bloße Ausleben von Emotionen und Wollust, sondern um seelische Ruhe und körperliche Schmerzlosigkeit. Dies brachte Epikur in Gegensatz zu den Auffassungen der heidnischen Religion mit ihrem Glauben an mehrere Götter. In ihr sah er eine Quelle der Furcht, die den Menschen belaste und verstöre. Dabei stritt Epikur die Existenz der Götter gar nicht ab. Für ihn lebten sie aber in einer Art Zwischenwelt, ohne auf das Leben der Menschen Einfluss nehmen zu können und zu wollen. Daher sei die Angst vor ihren Strafen in der Unterwelt unnötig. Vielmehr sollte den Menschen die Verehrung der Götter als Anreiz dienen, um an deren glückseligem Leben teilzuhaben. Epikur plädierte somit für eine säkulare Moral, beruhend auf dem Primat des angstfreien Strebens nach individuellem Glück im Diesseits.