(hpd) Der Landesverband Berlin des Humanistischen Verbandes Deutschland
hatte am Samstag (16.9.2006) zu seiner jährlichen ordentlichen Vollversammlung geladen. Viele Mitglieder haben die Gelegenheit wahrgenommen, in der noblen Atmosphäre des Hilton Hotels am Gendarmenmarkt zusammenzukommen.
In seiner Begrüßung reflektierte der Berliner Landesvorsitzende Dr. Bruno Osuch auch etwas über den Tagungsort und meinte - eingedenk der Tatsache, dass die Vorläuferorganisation der Freidenker vorwiegend im Arbeitermilieu verankert war -, dass der HVD in der Berliner Gesellschaft angekommen sei und angenommen werde.
Der ausführliche Rechenschaftsbericht konnte mit einigem Stolz auf viele neue Projekte und Erfolge des humanistischen Landesverbandes im vergangenen Jahr verweisen.
Mitgliederversammlungen von Verbänden haben allerdings auch ihre eigene Logik, dass beispielsweise über Details von vorgeschlagenen Satzungsänderungen mit einer ausdauernden Intensität diskutiert wird, die einem Außenstehenden verschlossen bleibt. Der Zeitplan der Tagesordnung geriet in Schieflage und beinahe wäre keine Zeit mehr für das Hauptreferat der Mitgliederversammlung geblieben.
Der Hamburger Publizist Dr. Carsten Frerk referierte zum Thema „Lebensstile der Konfessionslosen in Berlin / Brandenburg und moderne Mitgliedschaftstypen“. Besonders betonte er dabei, dass rund 60 Prozent der Konfessionslosen jünger als 40 Jahre alt sind und das Konfessionslose nicht gleichsam automatisch auch Humanisten seien.
Obwohl der Humanistische Verband sich in Fragen der Kirchen- und Religionskritik normalerweise sehr zurückhält - versteht er sich doch selbst als Weltanschauungsgemeinschaft - verabschiedete die Mitgliederversammlung aus aktuellem Anlass mit großer Mehrheit zwei kirchenkritische Resolutionen zu „Werte brauchen Gott“ und „Rückkehr des Religiösen“.
Robert Friedrich
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Resolution I:
Werte brauchen keinen Gott, sondern Vernunft und Menschenrechte!
Die Vorwahlkampagne der beiden großen Kirchen in Berlin mit dem Tenor „Werte brauchen Gott!“ ist ein ethischer Affront gegen ca. 60% der Berliner, die sich nicht in der christlichen Kirche organisieren und konfessionsfrei sind.
Wir erinnern sehr gut, was unter dem Wertediktat einer christlichen Religion alles behauptet wurde: Sei es die „Hexen“verbrennung, die Kreuzzüge, das Verbot wissenschaftlicher Forschung, wenn sie kirchlichen Dogmen widersprechen, bis zu aktuellen Warnungen des Papstes den Urknall zu erforschen, denn dieser sei das Werk Gottes. Gar nicht zu reden ist von dem Kampf der Kirchenvertreter im 19. Jahrhundert gegen die Straßenbeleuchtung, da sie die göttliche Ordnung von Tag und Nacht durcheinander bringen.
Nun sollte man meinen, die Kirchen haben mit dieser Geschichte ein wenig Selbstzweifel und Respekt vor anderen Positionen erworben, aber weit gefehlt. In dem Augenblick wo es um zentrale Machtpositionen geht, werden alte Geschütze erneut aufgefahren. Der Religionsunterricht ist eine der letzten Bastionen, an der die Kirchen die Kinder erreichen können und so ist der völlig überzogene Kampf gegen das gemeinsame Schulfach Ethik in Berlin zu verstehen.
Der Humanistische Verband fordert die Kirchen erneut auf, sich daran zu erinnern, dass die Menschenrechte gegen den erbitterten Widerstand der Kirchen erkämpft wurden. Genau die Menschenrechte, die die Kirchen heute gern als ihr geistiges Eigentum reklamieren.
Durch die Geschichte hindurch, beginnend bei den antiken Philosophen, über die Renaissance bis zur Aufklärung gab es immer auch eine eigenständige ethische Reflexion, ohne besonderen Bezug auf Gott und Religion. Diese Philosophien orientierten sich an den menschlichen Leidenserfahrungen, der Vernunft und dem Gedankenaustausch unter den Menschen. Sie haben die Welt verändert und religiösen Obskurantismus überwunden. Auch die Kirchen danken heute ihre Freiheit und Selbstbestimmung, ihre Reformen und ihr Weltverständis dieser Aufklärung.
Werte, Ethik und moralisches handeln sind ohne jeden Bezug auf Gott und Religion zu begründen. Wenn sie für alle Menschen gelten sollen müssen sie sich sogar von einem Glauben lösen, der nur für die kleine Gruppe der jeweilig Gläubigen gelten kann. Die Menschenrechte als Wertkanon stehen deshalb über den Religionen. Sie geben den Religionen ihren Platz in der Gesellschaft, indem sie Toleranz und die Gleichberechtigung von Religionen und anderen Lebensauffassungen verteidigen.
Werte sind von Menschen entwickelt und müssen von ihnen verantwortet werden. Sie brauchen keinen von Menschen erdachten göttlichen Schiedsrichter.
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Resolution II:
Die Legende von der Rückkehr der Religion
Papstbesuch, Kirchentag oder islamischer Fundamentalismus, unsere Medien sehen in ihnen eine Tendenz zur Rückkehr der Religionen. Damit ist eine jahrelange kirchliche Propagandaoffensive erfolgreich abgeschlossen worden.
Der behaupteten Renaissance religiösen Glaubens stehen aber eindeutige empirische Befunde gegenüber, die durch eine große Zahl von wissenschaftlichen Untersuchungen und insbesondere durch die "Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland" (fowid) belegt werden konnten. Ein besonderer Reiz besteht gerade darin, dass auch innerkirchliche Untersuchungen von einem Rückgang religiöser Bindungen ausgehen.
Die Austrittszahlen von beiden Kirchen sind gleich bleibend hoch. Der Kirchenbesuch ist niedrig und die Identifikation der Kirchenmitglieder mit den zentralen Glaubensaussagen ihrer Religionsgemeinschaft ist für die Kirchen erschreckend gering. So identifizieren sich beispielsweise nur 23,3% der evangelischen Christen mit der zentralen christlichen Aussage, „es gibt einen persönlichen Gott“. (Quelle: fowid 2005)
Wenn jetzt die Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen ein „Bündnis für Erziehung“ unter der exklusiven Beteiligung der Kirchen einberuft, folgt dies einem konservativen Weltbild der Verbindung von Religion und Politik. Ausgegrenzt werden die Millionen Konfessionslosen in Deutschland und die anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Die Propaganda von der Rückkehr der Religion schafft einem solchen Vorhaben zusätzliche Legitimation.
Die Kirchen in Deutschland stehen vor entscheidenden Veränderungen ihrer Mitgliederstruktur und ihrer finanziellen Rahmenbedingungen. Deutschland entwickelt sich weiter zu einem säkularen Land in dem Freiheit von religiösem Glauben und humanistische Orientierung von immer mehr Menschen vertreten werden. (vgl. dazu die repräsentative Akzeptanzstudie durch das Institut für Demoskopie Allensbach zum Humanistischen Verband Deutschlands, 2005).
Der Humanistische Verband fordert, die realen Entwicklungen in unserer Gesellschaft zur Kenntnis zu nehmen und nicht auf das „Pfeifen im dunklen Wald“ der kirchlichen Öffentlichkeitsarbeit herein zu fallen. Die Politik sollte diese gesellschaftlichen Veränderungen zu Kenntnis nehmen und die Gleichbehandlung von religiösen und nicht-religiösen Menschen verwirklichen. Eine Privilegierung des christlichen Glaubenbekenntnisses entspricht nicht mehr der heutigen Zeit und widerspricht den Gleichbehandlungsgrundsätzen im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.