Träumereien eines Großinquisitors

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Kisslers Dorn im Auge. Foto: E. Frerk, Montage: S. Ophees

(hpd) Alexander Kisslers Auseinandersetzung mit Richard Dawkins. Seit Joseph Ratzinger den Stuhl Petri bestiegen hat, scheint sich Alexander Kissler bemüßigt zu fühlen, dessen Sprachrohr in Deutschland zu werden. Wie der frühere Präfekt der Glaubenskongegration wettert er gegen alles, was der reinen Lehre der römisch-katholischen Kirche widerspricht.

So beklagt Kissler beispielsweise gerne den Verfall der Sitten, beschwört die in Bedrängnis geratene Würde des Menschen und gemahnt uns an die Gefahren einer Schönen neuen Welt.

Eine weitere Zielscheibe seiner Kritik sind die so genannten „Neuen Atheisten“. Hierzu zählen in erster Linie Richard Dawkins, Sam Harris, Christopher Hitchens und Daniel Dennett. Insbesondere Dawkins ist ihm ein Dorn im Auge. So berichtet er unter dem Titel „Richard Dawkins und ich: 26 Minuten auf dem blauen Sofa“ etwa von seiner kurzen Begegnung mit dem Evolutionsbiologen, der sich seiner Ansicht nach vor allem durch „Arroganz und Ignoranz“ auszeichne. Wie die folgenden Ausführungen zeigen werden, hätte Dawkins jedes Recht, dieses Kompliment zurück zu geben.

Beginnen wir mit Kisslers völlig deplazierter Bemerkung, dass „Der Gotteswahn“ aus Dawkins einen „vermögenden Mann“ gemacht habe. Was soll uns das sagen? Ich weiß es nicht. Vielleicht soll es uns darüber hinwegtäuschen, dass Kissler ein Nutznießer des Buches ist. Denn „Der Gotteswahn“ hat eine ganze Industrie erzeugt. Angefangen von Alister McGraths „Der Atheismus-Wahn“ über Peter Strassers „Der Gott, der Dawkins schuf“ bis hin zu Richard Schröders „Abschaffung der Religion?“ haben zahlreiche Theologen die Gelegenheit beim Schopfe gepackt, sich auf Dawkins Bestseller zu stürzen und als Trittbrettfahrer schnelles Geld zu verdienen. Wie Parasiten leben sie von ihrem Wirt. Alexander Kissler bildet da keine Ausnahme. Auch sein 2008 erschienenes Buch „Der aufgeklärte Gott: Wie die Religion zur Vernunft kam“ verdankt seinen Erfolg der Dawkins-Hysterie.

Ähnlich verschlagen ist Kisslers rhetorische Frage „In welchem Paralleluniversum lebt Richard Dawkins?“ Nach Kissler renne Dawkins mit seiner Kritik an der Religion nämlich offene Türen ein. „Wo liegt das Problem in der westlichen Welt?“, fragt er. Nun, wie Richard Dawkins gleich zu Beginn seines Buches beteuert, wendet es sich vor allem an amerikanische Leser. Denn in den USA werden Atheisten nach wie vor als suspekt betrachtet. So zeigte eine Gallup-Umfrage aus dem Jahr 2007 beispielsweise, dass die Amerikaner eher einen Schwarzen, einen Homosexuellen, einen Juden, ja sogar einen Mormonen als einen Atheisten zum Präsidenten wählen würden. Die amerikanische Juristin Wendy Kaminer hatte also wahrscheinlich nicht ganz unrecht, als sie sagte: „In diesem Land genießen Atheisten etwa genauso viel Sympathien wie Pädophile.“

Denkmalschutz für Religionen?

Was Kissler vor allem wurmt, ist, dass Dawkins die Stirn hat, offen zu einer Ablehnung „des übermäßigen Respekts unserer Gesellschaft für die Religion“ aufzurufen. Dawkins sei „nur zu respektieren bereit, was er für respektierenswert hält“. Aber warum auch nicht? Warum sollten Religionen unter Denkmalschutz stehen? Dass etwas religiös ist, macht es schließlich noch nicht automatisch respektierenswert. Die bloße Tatsache, dass das Schächten von Tieren ein Teil der jüdischen Religion, die Verurteilung der Homosexualität ein Teil der christlichen Religion und die Steinigung von Ehebrecherinnen ein Teil der muslimischen Religion sein mögen, verpflichtet niemanden, sie zu respektieren.

Nach dem Motto „Wehret den Anfängen“ meint Kissler jedoch, „der Atheistenbewegung, die Dawkins hinter sich scharen will“, rechtzeitig Einhalt gebieten zu müssen. Anderenfalls würde es nämlich „schleichend zu einer Neuauflage jenes Aufklärungsterrors“ kommen, „in dem die Französische Revolution und das nationalsozialistische Atheistenregime blutig kulminierten.“ Doch was haben Dawkins und Hitchens mit den Jakobinern und den Nazis zu tun?

Die Geschichtsverfälschung, deren Kissler sich befleißigt, findet ihren Höhepunkt aber in der offenbar ernst gemeinten Frage: „Wieso sind in den christlich geprägten Ländern dann gerade nicht Menschenhandel, Säuberung, Sklaverei, Zwangsehe, Massaker an der Tagesordnung?“ Ich weiß nicht, auf welchem Planeten Kissler seinen Geschichtsunterricht genossen hat, doch hier auf Erden weiß jeder Fünftklässler, dass sich die christlich geprägten Länder all dieser Verbrechen schuldig gemacht haben. Und wenn das heute anders ist, liegt es gewiss nicht an der vielbeschworenen christlichen Nächstenliebe, sondern an der Tatsache, dass wir nicht länger in einer absolutistischen Monarchie von Gottes Gnaden, sondern in einem freiheitlichen Rechtsstaat leben.

Den Gipfel der Absurdität erreicht Kisslers Auseinandersetzung mit Dawkins allerdings, wenn er dem Evolutionsbiologen unterstellt, er wolle eine biologische Ethik lehren, deren zentrale Norm in der „freien Forschung“ bestehe. „Wenn hier nicht die Gläubigen stets aufs neue die Menschenwürde einklagten, gäbe es vielleicht heute schon zustimmungslos ihrer Organe beraubter Patienten.“ Kissler glaubt offenbar, dass das deutsche Transplantationsgesetz, das die Entnahme von Organen ohne vorherige Einwilligung des betroffenen Patienten ausdrücklich verbietet, von Benedikt XVI. erlassen worden sei.

Dostojewskijs Großinquisitor hatte zumindest noch Format und Stil. Kissler lässt sich dagegen nur nachsagen, was er Dawkins vorwirft – Arroganz und Ignoranz.
 

Edgar Dahl

 

Dr. phil. Edgar Dahl ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Ethik in der Medizin an der Universität Münster. Zuletzt erschien sein Buch „Wer zur Hölle will schon in den Himmel? Ein Brevier für Ungläubige und solche, die es werden wollen.“