"Der Mörder in uns"?

(hpd) Wer angesichts neuester Veröffentlichungen, die den humanistischen Glauben an das Gute im Menschen stützen – wie z.B. „Prinzip Menschlichkeit" von

Joachim Bauer oder „Das Ende des Bösen" von Rolf Degen u.a. - meinte, sich erleichtert zurücklehnen zu können, wird mit dem Buch des amerikanischen Psychologen David M. Buss „Der Mörder in uns" wieder unsanft geweckt. Denn, so die Erkenntnis des Psychologen, der Mensch hat keineswegs seine grausame Natur abgelegt, die ihm die Evolution und der der vermeintlich „ruppige Wettbewerb um Reproduktionschancen" beschert hat. Im Gegenteil: „Die Mörder lauern auf ihre Chance, und sie sind mitten unter uns.“ So jedenfalls das Fazit dieses Werkes.

Auf der Grundlage der Evolutionstheorie versucht Buss, die Mordlust als ein in unsern Genen verankertes Überbleibsel einer „natürlichen“ Verhaltensstrategie im Kampf um die Weitergabe der eigenen Gene zu begründen. Nach Überzeugung des Psychologen ist diese noch immer so präsent, dass „jeder ausgeführte Mord lediglich der sichtbare Beweis für einen fundamentalen menschlichen Tötungsdrang" ist.

„Fundamentaler menschlicher Tötungsdrang“

Folglich versucht David Buss jede Form von Mord, sei es ein Eifersuchtsmord, sei es der Mord am Stiefkind oder an den Stiefeltern, an den leiblichen Kindern oder Eltern oder sei es ein Massenmord, wie der eines Charles Manson, evolutionsbiologisch zu begründen. Allein die selektionsrelevante „Fitness“, die die Evolutionstheorie postuliert, allein der Kampf für die eigenen Gene reicht als Erklärungen daher keineswegs bereits aus. Denn es geht, folgt man Buss, nicht nur darum die eigenen Reproduktionschancen zu erhöhen, indem man Konkurrenten aus dem Weg räumt. Es geht auch darum, die Reproduktionschancen der andern zu vermindern, indem man z.B. die Partnerin und die Kinder des Andern ermordet.

Angesichts der Szenarien, die Buss auf der Grundlage dieses Denkens entwirft, wirkt die humanistische Vorstellung vom Guten im Menschen, wie der naive Glaube einiger aus evolutionsbiologischer Sicht missratener Schwächlinge. Denn unsere Vorfahren durften danach nicht zimperlich sein, wenn es darum ging, im Kampf ums Dasein zu bestehen. Je mehr jemand aus dem Weg räumen konnte, umso größer seine Reproduktionschancen: „Wer die Partnerin seines Konkurrenten umbrachte, beraubte ihn einer wertvollen und vielleicht unersetzlichen Reproduktionsressource. Wer alle Kinder eines Rivalen tötete, konnte dessen Gene vollständig aus dem Pool eliminieren.“ Auch Massenmord oder Genozid begründet Buss auf diese Weise. Nazis, Neonazis oder anderer Verbrecher dieser Art können sich bei Buss bedanken – ihr Denken und Tun ist, seinen Thesen nach, evolutionsbiologisch begründbar bzw. sogar sinnvoll.

Buss lässt nichts Gutes am Menschen

Spätestens wenn David Buss den Sinn eines Rivalenmordes erklärt, erscheint der Kampf der Kirche gegen die „Bestie Mensch“ für den Humanismus irgendwie bedenklich berechtigt und unterstützenswert. Denn Buss lässt nichts Gutes am Menschen: „Die Kinder des Ermordeten sind nun ungeschützt und verletzlich. Das Opfer ist nicht mehr da, um sie mit großzuziehen und ihnen zu zeigen, wie man die zahlreichen Hürden des Lebens nimmt. Es kann sie nicht vor Schlägen, sexuellem Missbrauch oder gar Mordabsichten fremder Menschen oder ihres Stiefvaters behüten. Seine Kinder können auch nicht mehr unbedingt auf die Fürsorge ihrer Mutter zählen, falls diese sich einen neuen Partner sucht, mit dem sie vielleicht weitere Kinder in die Welt setzt.“

Verständlich, dass Buss seine natürlich nur rhetorische Frage, ob Menschen evolutionär darauf getrimmt sind, ihre Stiefkinder umzubringen, positiv beantwortet. Klar: Stiefeltern haben keinen reproduktiven Gewinn davon, wenn sie sich um ihre Stiefkinder kümmern. Im Gegenteil ein Mann, der sein Stiefkind tötet, sorgt dafür, dass seine Partnerin ihre Fürsorge ganz seinen eigenen Kindern zukommen lassen kann.

Behauptungen

Schon Babys „wissen“ um die Gefahr, die von Seiten anderer Menschen auf sie lauert. So diagnostiziert Buss, das Fremdeln („die intensive Furcht vor Fremden“) diene dazu, die Aufmerksamkeit der Mutter auf sich zu ziehen, um so einem Mord entgehen zu können.

Allerdings behauptet der Psychologe hier, wie so häufig in dem Buch, einfach nur irgendwas. Seine Deutung entspricht jedenfalls keineswegs den gängigen Auffassungen in der Entwicklungspsychologie. Das Fremdeln wird hier nämlich übereinstimmend als ein wichtiger Entwicklungsschritt des Kindes gedeutet, mit dem das Kind beginnt, konkret zwischen andern und seiner Bezugsperson zu unterscheiden. Es baut damit persönliche Beziehungen auf und festigt seine Bindung an die Bezugsperson. So weit her kann es mit der Angst der Kinder auch nicht sein. Wenn sie sich sicher und geborgen fühlen legen Kinder im Gegenteil Fremden gegenüber normalerweise ein sehr kontaktfreundliches und offenes Verhalten an den Tag.

Verwechselung von Tötungsfantasien und Realität

David M. Buss gründet seine These, dass die psychische Disposition zum Töten nicht nur unsere Vorfahren umtrieb, sondern als genetisches Erbe auch ein Wesensbestandteil des heutigen Menschen ist, auf einer internationalen Studie seiner Forschungsgruppe.
Im Rahmen dieser Studie wurden mehr als fünftausend Personen zu ihren Tötungsfantasien befragt. Hierbei stellte sich heraus, dass 91 % der Männer und 84 % der Frauen sich mindestens einmal lebhaft vorgestellt hatten, jemanden umzubringen.

Buss macht hierbei – und das macht seine Thesen einmal mehr für die Kirchen und ihr Bild von einem der Natur nach bösen, erlösungsbedürftigen Menschen interessant – tatsächlich keinen substantiellen Unterschied zwischen einer Fantasie und ihrer tatsächlichen Umsetzung. Glücklicherweise herrscht zwischen Mordfantasie und Mord jedoch in der praktischen Wirklichkeit eine große Diskrepanz.
Buss Antwort auf solche Einwände: Wir verdanken diese günstige Bilanz den hohen Kosten und Risiken, mit denen die Ausführung eines Mordes verbunden ist.

Man kann aber natürlich auch einfach annehmen, dass eine Fantasie substantiell etwas ganz anderes ist, als eine tatsächliche Handlung. Schließlich ist es äußerst fragwürdig, inwieweit Mordfantasien konkret etwas über die Bereitschaft aussagen, tatsächlich einen Mord zu begehen.

„Hoffnung“ macht überdies hinaus allerdings auch, dass bei den dokumentierten Fantasien keiner davon redete, seine ihn liebenden Eltern, die gute Freundin oder den Nachbarn umbringen zu wollen, einfach weil ihm irgendwas nicht passt bzw. es genetisch möglicherweise von Vorteil wäre. Die von Buss dokumentierten Mordfantasien entstanden auf Grund von Erfahrungen intensiver seelischer und/oder körperlicher Gewalt, meist in Verbindung mit dem Gefühl von Hilflosigkeit. Man muss sich seinen Mitmenschen gegenüber also schon einigermaßen asozial und gemein verhalten, um zum Opfer ihrer Mordfantasien zu werden.

Grausamkeiten von Psychopaten

Neben Fantasien führt der Psychologe dann noch zum Teil grausamste Fälle von Mord und Totschlag als Beweis für seine Thesen an. Extreme Fälle furchtbarster Kindesmisshandlung, die jeden einigermaßen gesund empfindenden Menschen entsetzen, werden als Beispiele für die vermeintlich tief im Menschen sitzende Mordbereitschaft herangezogen. Um seine These, dass der Selektionsdruck eine Mutter dazu motivieren kann, ihr eigenes Kind umzubringen, zu belegen, berichtet Buss vom Fall einer Frau, die in aller Gemütsruhe in die Küche geht, um das Abendessen zu kochen, während im Nebenzimmer ihr vierjähriges, sich qualvoll windendes Kind an den Verletzungen stirbt, die sie ihm zuvor zugefügt hatte. Unmittelbarer Grund für die Misshandlung war die Tatsache, dass das Kleine auf die neue Wohnzimmercouch gepinkelt hatte.

Nach Buss evolutionsbiologischer Deutung, wollte die Frau das Kind loswerden, weil ihr neuer Partner das Kind nicht akzeptierte. Denn, so der zugrunde liegende Gedanke, für allein stehende Mütter können Kinder zur Bürde werden, die ihren Marktwert mindern.
Buss Logik kurz zusammen gefasst: das Kind wird aus dem Weg geräumt, um einerseits die neuen Ressourcen nicht zu verlieren und um andererseits die Chance zu erhalten neue starke Kinder mit einem neuen starken Partner zu zeugen.

„Dunkle Seite“ der menschlichen „Natur“

Nicht ein entsetzliches Maß an Gestörtheit, an Unfähigkeit zu einem Mindestmaß an Mitempfinden und Liebe, sondern, wie Buss feststellt, „die dunkle Seite der menschlichen Natur“ ist es, die hier zu Tage tritt. Denn, diese Frau, die jegliches Mitgefühl und Liebe für ihr Kind vermissen lässt, repräsentiert, nach Buss Vorstellung, den Durchschnitt. Wer diese Tat etwa mit einer möglichen schrecklichen Vorgeschichte, mit irgendwelchen furchtbaren Erfahrungen von Lieblosigkeit und Misshandlung irgendwie begründen will, hat schlechte Karten. Diese Frau repräsentiert der Buss´schen Logik nach ganz einfach und ungeschminkt das, was die Evolution natürlicherweise aus uns hat werden lassen. Denn, so klärt uns der Psychologe auf, nichts deutete in ihrer Vorgeschichte je darauf hin, dass die Frau je zur Mörderin werden könne. Sie wuchs, wie er erklärt, in einer Mittelschichtfamilie auf, hatte gute Schulnoten und war auf der Highschool zwei Jahre in der Cheerleadertruppe gewesen. Ihre Eltern hatten sie ordentlich erzogen und nicht geschlagen - und seien bis heute verheiratet. Wenn es die Situation denn erfordert, dann wäre demnach jeder Mensch prinzipiell in der Lage, so zu handeln.

So etwas von einem Psychologen zu lesen befremdet allerdings. Ein Fachmann sollte eigentlich wissen, dass vordergründige Fakten meist so gut wie nichts über das innere Verhältnis zwischen Eltern und Kind aussagen, nichts über die Liebe und emotionale Wärme und Fürsorge, die in der Familie wirklich geherrscht hat und dementsprechend nichts über die psychische Situation der Betroffenen.

Liebe entstand „irgendwann“? - wozu?

Vielleicht liegt es einfach daran, dass Gefühle, dass Liebe bei Buss nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen. Partnerschaftliche Liebe ist seiner Theorie nach entstanden, als Männer (warum auch immer) „irgendwann“ anfingen, sich um die Aufzucht ihrer Kinder zu kümmern und manche Frauen (warum auch immer) „irgendwann“ anfingen ihre reproduktionsfähige Zeit mit nur einem Mann zu verbringen, anstatt sich während des Eisprunges mit dem (eigentlich genetisch doch viel wertvolleren) „Alphamännchen" zu paaren.
Es wird hierbei offen gelassen, warum sie das taten.

Nach den Ausführungen von Buss sollten sich die Männer mit jeder Frau paaren, die ihnen über den Weg läuft. Frauen sollten hingegen für ihre Kinder die Gene des muskulösen und sexuell skrupellosen Alphamännchens abstauben, um diese dann mit Hilfe der materiellen Ressourcen eines reichen und hässlichen Dummkopfes großzuziehen, der einfach zu blöd ist, das zu bemerken. Sollte dieser Typ allerdings kein Dummkopf sein, d.h. nur schwach und hässlich, dann sind die Kuckuckskinder in Lebensgefahr - zumal ihr wunderbar starker, muskulöser biologischer Papa viel zu sehr mit dem Zeugen beschäftigt ist, als dass er seine Brut vor dem Stiefvater beschützen könnte. Da sitzt die Frau nun also in der Zwickmühle - einerseits muss sie schauen, dass ihr die materiellen Ressourcen des hässlichen, reichen Schwächlings erhalten bleiben, muss sie also im Notfall (wie die Mutter oben) ihre Kinder opfern. Andererseits haben diese doch vom starken Papa so gute Gene, dass es ihr das eigentlich schwer fallen muss - zumal sie ihre Gene ja auch noch in den Kindern deponiert hat, diese also bei einer Opferung mit drauf gehen würden. Sie muss also wohl von Fall zu Fall entscheiden. Bei Ressourcenknappheit müssen im Zweifelsfall die guten Gene des Muskelmannes dran glauben. Sind jedoch genug Ressourcen da....äh, dann bräuchte sie sich doch eigentlich nicht mit dem reichen Schwächling abzugeben.

Solche Widersprüche und Ungereimtheiten ziehen sich durch das ganze Buch. Wer wen jetzt im Sinne seiner Gene am Besten ermorden sollte, mit wem man sich zum selben Zweck am Geschicktesten vermehrt und wen man in den Wind schießt – die Evolution hat offensichtlich zumindest für den Menschen keine stimmige Verhaltensstrategie zu Wege gebracht.

Widersprüche und Ungereimtheiten ziehen sich durch das ganze Buch

Auch sieht die Realität irgendwie sowieso anders aus. Patchworkfamilien, die ganz gut funktionieren, Eltern, die ihre Ressourcen liebevoll an Adoptivkinder „verschwenden“, Frauen, die arme Schwächlinge lieben und mit ihm Kinder haben wollen, Männer, die ihrer äußerlich unattraktiven Frau die Treue halten, Menschen, die keine Kinder wollen usw. usw.

 

Fazit 1: Entweder die Menschen sind heutzutage sowieso total degeneriert und haben ihre ursprüngliche „Aufgabe“, sich genetisch gesehen bestmöglich zu reproduzieren, aus den Augen verloren, oder aber irgendetwas ist faul an der Theorie von Herrn Buss.

Fazit 2: Bei Buss wird deutlich, wohin es führen kann, wenn man das Verhalten des Menschen auf Biegen und Brechen allein auf das imaginäre Streben seiner Gene und damit letztlich auf eine abstrakte Größe zurückzuführen versucht. Losgelöst von der gelebten Realität des Menschen werden Gene zu einer Größeneinheit, mit der beliebig gewerkelt werden kann. Ausnahmefälle werden als Beweis für grundlegende Verhaltensdispositionen herangezogen und die offensichtliche vollkommene Gefühlskälte von Psychopaten wird zur Norm erklärt. Grundlegende, die menschliche Realität bestimmende Phänomene, wie Liebe, Mitleid und auch andere soziale Gefühle (die, bei Dawkins, wenn sie denn nicht dem Erhalt oder der Reproduktion der eigenen Gene dienen, immerhin noch als „segensreiche Fehlfunktionen“ bewertet werden) werden bei Buss einfach ignoriert.

Diese Reduktion der menschlichen Bedürfnisse und des menschlichen Strebens auf einen wie auch immer gearteten Reproduktionsdrang der Gene, kann irgendwie nicht im Sinne des Humanismus sein.

Zum Schluss nur das noch am Rande: Was Gene nun genau sind und wie sie funktionieren, weiß niemand bis heute wirklich.

Anna Ignatius

 

David M. Buss „Der Mörder in uns. Warum wir zum Töten programmiert sind“. Spektrum Akademischer Verlag, 285 Seiten, Euro 24,95. (ISBN-13: 978-3827418081)