BERLIN. (hpd) Bundespräsident Christian Wulff steht wie nie zuvor am Pranger der Öffentlichkeit. Der schon vor seiner Wahl in das Amt wegen der Förderung religiöser Fundamentalisten umstrittene CDU-Politiker befindet sich auf der alles entscheidenden Kippe. Anlass genug für die Frage, ob sein Amt überhaupt noch eine Bedeutung hat und was Vertreter säkularer Organisationen hier in Zukunft erwarten.
Eines sollte sogar Christian Wulff endlich gelernt haben. Die Hand, die einen füttert, beißt man nicht. Denn nach dem Bekanntwerden fragwürdiger Kreditgeschäfte in der Zeit als Ministerpräsident verspielte der CDU-Politiker in den vergangenen Wochen das Wohlwollen von Schirmherren im Axel-Springer-Konzern durch Drohungen, mit denen er die Pressefreiheit kraft seiner Person einzuschränken suchte.
Die Konsequenz war eine seltene Allianz zwischen konservativ-klerikal und progressiv-liberal ausgerichteten Medien. Eine Sintflut kritischer Beiträge ergoss sich in die Welt, ein sprengkräftiges Gebräu aus Zorn, Hohn und Spott. Und ja, jetzt müsste sogar Christian Wulff wissen: Manchmal ist es sogar besser, nicht einmal nach der fütternden Hand zu schnappen.
Hehre Wünsche als Illusion entlarvt
Allein: Dass solche Zeilen guten Gewissens verfasst werden können, zeigt, wie hoffnungslos miserabel es um das Amt und die Person des Bundespräsidenten tatsächlich bestellt ist. Da mag die Würde des Staatsoberhaupts als formal über den Staatsgewalten stehend bezeichnet werden – die Realität sieht anders aus. Da mag ein Bundespräsident als Akteur der Integration und einer Vorbildfunktion gedacht sein, oder als Aushängeschild einer ganzen Gesellschaft – die Realität entlarvt alle hehren Wünsche als große Illusionen.
Die aktuellen Werte der Umfragen von fast allen Medien – ob nun bei der WELT, der ARD, Focus Online oder beim Nachrichtensender n-tv, belegen durchweg, dass Wulff mit seinem Verhalten in den Augen der Menschen in Deutschland gescheitert ist. Die sichtbare Öffentlichkeit verspottet und verhöhnt den „Pattex-Präsidenten“, der scheinbar an seinem Stuhl in Bellevue klebt.
Und kaum etwas hat die großen Gegensätze zwischen Ideal und Wirklichkeit eindrucksvoller illustriert als die Abläufe seit Beginn der Inthronisation Wulffs mit dem Rücktritt seines Parteifreundes Horst Köhler. Beim Streben nach der Durchsetzung von Partikularinteressen haben die herrschenden Kräfte in Deutschland die Souveränität des Amtes nicht nur allmählich demoliert, sondern wohl vorläufig kaputtgespielt.
Da ist es also kein Wunder, dass Sinn und Zweck des auf Lebenszeit mit 200.000 Euro jährlich dotierten Postens im staatlichen Gefüge grundsätzlich bezweifelt wird. Doch gäbe es das Amt des Bundespräsidenten nicht, würden die Menschen es sich ja vielleicht neu erfinden. Dass so ein oft als „Grüßaugust“ bezeichneter Würdenträger grundsätzlich einige besondere Aufgaben im und für einen Staat übernehmen kann, muss man nicht unbedingt als Irrglauben sehen - anders als vielleicht den Weg der Erhebung in diesen Stand. Doch was wünschen sich jene von einer Bundespräsidentin oder einem Bundespräsidenten, die eine säkulare und humanistische Haltung vertreten?
Was Vertreter von Konfessionsfreien erwarten
„Der nächste Bundespräsident soll auf alle Menschen, gleich welcher Weltanschauung, zugehen und nicht nur mit ihnen reden, sondern sie auch einbeziehen, zum Beispiel in die Gestaltung von Feierlichkeiten, wenn schon Religionen oder Weltanschauungen dabei sein sollen. Gleiches gilt auch für Menschen aller Schichten und Bildung“, so Renate Bauer, die Präsidentin des Dachverbandes freier Weltanschauungsgemeinschaften (DFW) und deutsches Vorstandsmitglied der European Humanist Federation.
Die DFW-Präsidentin weiter: „Ich erwarte Ehrlichkeit und klare Trennung zwischen Privatem und Amt. Das heißt, dass das Amt nicht zur Erlangung privater Vorteile benutzt wird, sondern klar unterschieden wird. Andererseits soll auch jemand sein Privatleben respektiert wissen, denn nicht jeder Fehler im Privaten muss sich aufs Amt auswirken oder in Beziehung darauf diskutiert werden, aber wenn diskutiert wird, dann ehrlich. Ich erwarte einige wegweisende Gedanken, bei denen unsere Gesellschaft als Ganzes wahrgenommen und Solidarität gefordert wird von allen, gerade den Starken. Ich erwarte die Wahrung der Grundrechte und ein Eintreten für sie im Amt.“
Beim Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) wird zudem besonders die Notwendigkeit betont, den ernsthaften Willen zur Geschlechtergleichberechtigung nun auch endlich mal an dieser Stelle zu demonstrieren. Außerdem erwartet man hier, dass Trägerin oder Träger des Amts nicht länger als Handlanger des Klerus agieren.
„Von der nächsten Bundespräsidentin erwarte ich drei Sachen: erstens sollte sie in Ihrer Vereidigung auf eine Gottesbeschwörung – so wahr mir Gott helfe – verzichten, da sie anderweitig vernunftgeleitete Menschen brüskiert“, so Rainer Ponitka, Pressesprecher des IBKA, auf Nachfrage.
Öffentliche Frömmelei muss ein Ende nehmen
„Zweitens sollte sie nicht mehr von einer religiösen Leitkultur, sondern maximal von einer religiösen Prägung des Abendlandes reden – eine religiöse Leitkultur wurde durch die ehemalige Einheit von Thron und Altar vorgegeben, doch sie ist durch unser Grundgesetz und die Menschenrechte längst durchbrochen. Die neue Bundespräsidentin soll öffentlich darstellen, dass die Grundsätze unseres modernen Zusammenlebens, also Demokratie, Gleichberechtigung und Presse- wie Meinungsfreiheit, gegen den erbittertsten Widerstand der Kirchen und Religionen erstritten wurden.“
Freilich darf bezweifelt werden, ob explizit diese Position bei Mehrheiten tatsächlich auf breite Zustimmung stieße. Die dritte Forderung dürfte wiederum angesichts der vorhandenen Verhältnisse schon realistischer sein, können doch heute mehr als ein Drittel der Gesellschaft mit der traditionellen Frömmelei von Wulff und seinen Amtsvorgängern nichts mehr anfangen: „Drittens wünsche ich mir, dass sie als erste Repräsentantin des Staates die Atheisten und Konfessionslosen als gesellschaftlich relevante Gruppe wahrnimmt und auch uns in ihren öffentlichen Auftritten repräsentiert.“
Immerhin: Auf eine schriftliche Nachfrage von Frieder Otto Wolf, Präsident des Humanistischen Verbands Deutschlands, wegen seltsamer Reden Wulffs, erklärte dieser im November 2010 in einem kurzen Brief, dass auch konfessionsfreie Menschen zum Land gehörten und er auch Präsident dieser Menschen sein wolle. Lippenbekenntnisse oder ernst gemeinte Worte?
Bei seiner diesjährigen Weihnachtsrede sprach Wulff immerhin klar erkennbar Gläubige wie Nichtgläubige an, verzichtete auf religiöse Botschaften. Etwas Einsicht scheint also auch diesem Bundespräsidenten möglich – nur kann er es offenbar nicht in ausreichendem Maße oder mal zum richtigen Zeitpunkt zeigen.
Politisches System unfähig zur Selbstkorrektur
Klar scheint jedenfalls, dass für die organisierten Menschen außerhalb der Großkirchen drei Merkmale den Weg in die Zukunft weisen können: konfessionsfrei, weiblich, ehrlich.
Michael Schmidt-Salomon, Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung, sieht aber wenig Hoffnung gegenüber künftigen Nachfolgern Wulffs, die den beim DFW oder IBKA vorhandenen Vorstellungen entsprechen. „Denn gerade in der Nische der Politik sind Selektionskräfte am Werk, die nachdenkliche, kreative, mutige Menschen eher behindern als fördern. Wie auch könnte ein origineller, phantasievoller, sensibler Mensch all den Stumpfsinn, all die Kleingeistigkeit, all den Zwang zu opportunistischer Heuchelei überstehen, der einem Berufspolitiker während seines Marschs durch die Institutionen zugemutet wird? Wir müssen daher davon ausgehen, dass der nächste Bundespräsident das gleiche intellektuelle Kleinformat haben wird wie seine Vorgänger“, so Schmidt-Salomon gestern im Interview.
Er glaube nicht an Reformpotentiale in den geweihten Kreisen, die die Integrität von Amt und dessen Inhabern neu herstellen und sichern können. „Ein echter Politikwechsel wird erst stattfinden, wenn er an der Basis von den Wählerinnen und Wählern eingeklagt wird. So weit sind wir leider noch nicht, aber das wird sich hoffentlich ändern.“
Sache nicht mehr zu retten?
Christian Wulff will nun am Mittwochabend endlich klar Stellung beziehen, in einem gemeinsamen Interview mit ZDF und ARD. Die Politikberaterin Gertrud Höhler, ehemalige Beraterin des Ex-Kanzlers Helmut Kohl, meinte im Gespräch mit dem ZDF im Vorfeld jedoch, dass Wulffs „Sache nicht mehr zu retten“ sei. Das peinliche Drama auf dem Höhepunkt.
Andere sind überzeugt, Wulff könne sogar zum Problem der Bundeskanzlerin werden. Wulffs Terminkalender lässt jedenfalls keinen Hinweis auf einen umgehenden Rücktritt zu. Es heißt, er wolle durchhalten und könne das auch. Ob also der Wulff, in dessen Schafspelz sich an immer mehr Stellen Löcher zeigten, auch die Menschen im Land überzeugen wird oder die Reputation des Amtes sich durch Schachereien noch weiter nach unten bewegt, ist offen. Aber vermutlich kommt es auf diese Menschen gar nicht wirklich an. Sondern nur auf die Köpfe an den Händen, die unseren Bundespräsidenten füttern. Und sind die denn konfessionsfrei, weiblich, ehrlich?
Arik Platzek