Warum unsere Gesellschaft weniger gespalten ist, als wir glauben

Polarisierung als Geschäft

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Die Polarisierung der Gesellschaft ist in aller Munde. Der Bremer Soziologe Nils C. Kumkar hat ein Buch zu diesem Thema geschrieben. Mit analytischem Blick zeigt er auf, wie politische Konflikte instrumentalisiert und aufgeheizt werden – durch Massenmedien, Talkshows und vor allem durch soziale Netzwerke.

Für manche Menschen beginnt die Spaltung der Gesellschaft beim Gendern und dem Veggie-Day in der Betriebskantine, für andere bei Kreuzfahrtschiffen oder dem Dienstwagenprivileg – scheinbare Kleinigkeiten, die als Symbolkämpfe inszeniert werden und das Gefühl der gesellschaftlichen Spaltung vertiefen, während sich für die soziale Ungleichheit kaum jemand zu interessieren scheint. Zugleich warnen Stimmen vor einer Erosion des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Politik, so scheint es, wird zunehmend von Polarisierungsunternehmern und Aufmerksamkeitsökonomen dominiert – ob sie nun Alice Weidel, Sahra Wagenknecht oder Markus Söder heißen. Nicht zu vergessen: Julia Klöckner, von der Robert Habeck jüngst meinte, sie habe in ihrer politischen Laufbahn "ausschließlich polarisiert, polemisiert und gespalten".

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Doch wie tief sind die Gräben wirklich? Kumkar verweist beispielsweise auf den Soziologen Steffen Mau, der in seinem Buch "Triggerpunkte" argumentiert, dass es in vielen Fragen mehr Konsens gibt, als man vermutet. Das eigentliche Problem sei nicht die Gesellschaft, sondern die Art und Weise, wie über sie gesprochen wird. Polarisierung entsteht demnach weniger aus unüberbrückbaren Gegensätzen, sondern aus der Logik der Kommunikation.

Polarisierung als Selbstzweck

Kumkar führt aus, dass der Vorwurf der Spaltung selbst Teil der Polarisierung ist. In politischen Debatten wird ständig behauptet, die Gegenseite trage zur Eskalation bei – und genau diese Zuschreibungen treiben den Prozess weiter an. Polarisierung wird so zum Selbstzweck: Sie überlagert die Sachfragen, die eigentlich zur Diskussion stünden. Besonders sichtbar wird das in Talkshows, wo gezielt Kontrahenten mit gegensätzlichen Meinungen eingeladen werden, um für Quote und Schlagzeilen zu sorgen. Jedes Medium verstärkt diesen Mechanismus auf seine Weise; soziale Netzwerke treiben ihn durch algorithmische Filterblasen auf die Spitze. Den Versuchen, zwischen den auseinanderliegenden Positionen zu vermitteln, wird leider wenig Beachtung geschenkt.

Rechtspopulismus und kommunikative Strategie

Die AfD spielt bei der Polarisierung der Gesellschaft eine zentrale Rolle. Als Fundamentalopposition nutzt sie die Eskalation als politische Strategie. Die übrigen Parteien reagieren mit Abgrenzung und Zurückweisung – was der AfD paradoxerweise zusätzliche Aufmerksamkeit und Gewicht verschafft. Medien verstärken diesen Effekt, indem sie die scharfen Positionen immer wieder wiederholen und damit unfreiwillig deren Reichweite vergrößern. "Weil die rechtspopulistische Strategie im Kern eine Strategie zur Erhitzung der Konfliktkommunikation darstellt, sperrt sie sich dagegen, in programmatischen Debatten eingeholt zu werden", schreibt Kumkar.

Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang der Bezug auf den Ökonomen Murray Rothbard, einem bereits 1995 verstorbenen Ökonomen, der rechtspopulistische Polarisierungsstrategien analysiert hat. Rothbard zeigt, dass Menschen Parteien unterstützen, deren Programme ihnen materiell gar nicht nützen: nicht wegen konkreter Politik, sondern aus dem Wunsch nach einer antistaatlichen "Revolution". Diese Dynamik erklärt, warum rechtspopulistische Rhetorik so wirksam sein kann – sie aktiviert Emotionen statt Interessen.

Kumkars Buch liefert damit einen wichtigen Beitrag zur aktuellen Debatte. Polarisierung ist für ihn weniger eine Spaltung der Gesellschaft als vielmehr ein "kommunikatives Ordnungsmuster", das vor allem von Rechtspopulisten instrumentalisiert wird. Seine Diagnose ist überzeugend, jedoch wird die Lektüre leider durch Bandwurmsätze erschwert, die sich oft über eine Viertelseite erstrecken sowie durch das Stilmittel der direkten Ansprache des Lesers und die häufige lehrbuchhafte Erklärung des eigenen Vorgehens. An dieser Stelle hätte das Lektorat verstärkt eingreifen müssen, um den Lesefluss zu verbessern.

Nils C. Kumkar, Polarisierung – Über die Ordnung der Politik, Suhrkamp Verlag 2025, ISBN 978-3-518-12814-5, 18,00 Euro (eBook 17,99 Euro)

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