Der Staat als Missionsgehilfe

SCHWERIN. (hpd) Während von kirchlicher Seite das „Ferkelbuch“ als lauter Angriff auf den Glauben interpretiert wird, haben sich die Kirchen

in aller Stille ein neues Feld erobert, um der heranwachsenden Generation in Ostdeutschland den Atheismus auszutreiben und den Jugendweihen das geistige und praktische Hinterland abzuringen – mit staatlicher Hilfe und europäischer Unterstützung. Die Unternehmung nennt sich TEO – „Tage Ethischer Orientierung“.

Es ist dies ein Projekt kirchlicher Mission und Jugendarbeit im staatlich geförderten Verbund mit öffentlichen Schulen. Es findet in Mecklenburg-Vorpommern statt, dem deutschen Bundesland mit der geringsten Kirchenzugehörigkeit. Von den etwa 1,7 Millionen dort lebenden Einwohnern waren 2004 rund 77% konfessionslos. Und was sich bewährt – wird ausgedehnt. Das TEO-Projekt wird auch seit 2006 in Sachsen-Anhalt und Sachsen durchgeführt. Ein ähnliches missionarisches Projekt sind die „Religionsphilosophischen Schulwochen“ mit Schwerpunkt in Brandenburg, die übrigens für Schülerinnen und Schüler verpflichtend sein sollen (bitte weit runterscrollen).

Von etwa 650 Schulen in Mecklenburg-Vorpommern wirkten bisher rund 120 bei TEO mit. Das ist jede fünfte Schule im Bundesland. Für 2005 wurden 3051 Teilnehmer/innen gemeldet, Kinder und Jugendliche, aber auch 300 Elternteile und etwa 30 Senioren.

Staat und Kirche - Hand in Hand

Im § 3 des Schulgesetzes bestehen die Lernziele in Mecklenburg-Vorpommern u.a. auch darin, für „die Bewahrung der Schöpfung einzutreten“. Mit der Durchführung des Religionsunterrichtes als ordentliches Unterrichtsfach erhält die Kirche den Hauptzugang zu Kindern und Jugendlichen. Für Schüler, die vom Religionsunterricht abgemeldet worden sind oder sich abgemeldet haben, wird im Primar- und Sekundarbereich I Unterricht in „Philosophieren mit Kindern“, im Sekundarbereich II „Unterricht in Philosophie“ als Ersatzfach erteilt.
TEO ist nun ein zweiter Zugang und die Zusammenarbeit mit den Schulen Realität:

„Hier wird auf sinnvolle Weise ein dem System Schule ungewohntes Herangehen praktiziert, das aus dem christlichen Menschenbild und der evangelischen Tradition der Rechtfertigung herrührt. Nicht nur nebenbei wird damit ein wesentlicher Beitrag zur gesellschaftlichen Integration in Zeiten erhöhter emotionaler und soziologischer Erosion und des Auseinanderdriftens geleistet, wird neuer Zusammenhalt angesichts auslaufender Verbindlichkeiten geübt. Die Bildungslandschaft in MV profitiert in diesem Zuge für die Schulentwicklung. Lehrerinnen und Lehrer erleben in ihrer Mitarbeit bei einer der TEO-Aktivitäten eine Kompetenzerweiterung für ihren Schulalltag; zu machbaren Konditionen für die Lehrer findet die projektorientierte Weiterbildung mit einem Lerngewinn auch über das Projekt hinaus statt.“ Und weiter: „Die Öffnung von Schule – ein maßgebliches Qualitätskriterium – kann durch die schulkooperativen Angebote der evangelischen Kinder- und Jugendarbeit weitreichend inspiriert werden. Gesetzlich verankert ist die Verpflichtung zur Erstellung von Schulprogrammen durch jede Schule unter Berücksichtigung des Kriteriums der Öffnung von Schule.“

Der Staat öffnet den Kirchen nicht nur die Schultüren. Er begründet diese Öffnung sogar als Trennung, nämlich ausgerechnet zwischen Kirche und Staat. Dazu aus einem Grußwort des Ministers für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Prof. Peter Kauffold, anlässlich der Tagung der Synode der Pommerschen Evangelischen Kirche am 25. Oktober 2002 in Züssow:

„ ... Grundlage ist dabei die Trennung von Kirche und Staat. Das ist für beide Seiten beileibe kein Nachteil sondern ein Gewinn. Beide Seiten sind nicht in ein hierarchisches Gefüge eingeordnet, sie sind frei. Unabhängigkeit ist Voraussetzung für Partnerschaftlichkeit: Gleiche Augenhöhe, Rechte und Pflichten, auch Kritik und Selbstkritik.“ An anderer Stelle sagte der Minister der Kirche staatliche Unterstützung zu: „Ich habe gern das Projekt der Kirche ‘Tage der ethischen Orientierung (THEO [sic!])’ in die Schulen implementiert. Und auch diese Beispiele zeigen die Tragfähigkeit der Kooperation auf der Grundlage wechselseitigen Vorteils.“ – Worin der Staat einen Vorteil hat, wird nicht weiter ausgeführt.

Das Projekt und seine Formen

TEO – wie auf der Homepage zu lesen – ist „ein kooperatives Bildungskonzept in Mecklenburg-Vorpommern zwischen den Kirchen, dem Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur und den Schulen des Landes“.

TEO hat verschiedene Module, die kombinierbar sind:

TEO familiy – für Kinder von 0 bis 7 Jahre, ein Angebot für Kitas (kirchlich, öffentlich und privat) mit familiären Bezugspersonen (Eltern und Großeltern)

TEO lino als Familienschule – 1.-4. Klasse „Wir werden größer – jeden Tag ein Stück“, Grundlagen seelischer Gesundheit (principium und arche) und der Mut zum Erziehen (Elternarbeit)

TEO outdoor – die Abenteuerschule 5.-6. Klasse: Existentielles Lernen und Erlebnispädagogik unter freiem Himmel in Verbindung mit den Pfadfindern Soziales Beziehungslernen (mit Impulsen aus biblischen Traditionen u.a. Noah, Joseph, Jona, Geschichte der ungleichen Brüder)

TEO toto – „Time of taking off – Schritte ins Leben“ 7.-8. Klasse: Lebenslernen im Vorfeld von Übergangsriten – Erwachsenwerden in Freiheit und Verantwortung

TEO classic – bis 11. und 12. Klasse/berufliche Schulen, teilt sich auf in:

  • classic I: Situation - „Mein Leben, glatt geschenkt – es ist ein Kreuz mit den Kreuzen?!“ Tod in der Lebenswelt – und Geschichte von Jugendlichen. Jugendliches Verkehrssterben in MV als Ansatz für Wertebildung und Orientierung.
  • classic II: Situation – „Mächtig gewaltig – Macht macht was ...“ Ansatz in Macht und Gewalterfahrungen als Teil der Normalität des Lebens.
  • classic III: Situation – „Nach uns die Sintflut – bei allem, was recht ist“ Ansatz bei den Fragen personaler und globaler Gerechtigkeit.
  • classic IV: Situation – „Ohne dich geht´s nicht“" Fit für's Leben – den Schlüssel hast Du! Ansatz bei dem Zusammenhang von Lebenskompetenz und Beschäftigungsfähigkeit.

TEO weekend – ab 14 Jahre mit einem von Jugendlichen ausgewählten Jahresthema: Verbindung zu den Angeboten außerschulischer-kirchlicher Jugendverbandsarbeit

Die Verflechtung von evangelischer Kirche/Kinder- und Jugendarbeit sowie öffentlichen Schulen wird selbstbewusst dargestellt.

Es geht den Initiatoren nicht nur um Schüler. Sie sprechen sehr direkt Familien an und offerieren das traditionsreiche katholische „Sankt-Otto-Heim“ in Zinnowitz sowie die „Familienferienstätte Salem“ des Kolpingwerkes am Kummerower See in der Nähe von Malchin.

Wie funktioniert die Finanzierung?

Das TEO-Konzept bildet auch die Grundlage der Gestaltung von dauerhaften Kooperationsbeziehungen, die wiederum in zahlreichen Verordnungen, Vereinbarungen, Beschlüssen eingebunden werden in Organisations- und Finanzierungsbeziehungen zwischen Staat und beiden Kirchen:

  • Verwaltungsvorschrift des MBWK vom 21.11.2002: Schulergänzende Bildungs- und Erziehungsarbeit im Rahmen des Projektes „Tage Ethischer Orientierung (TEO)“
  • Rahmenvereinbarung zur schulisch-kirchlichen Kooperation zwischen dem MBWK, der evangelischen und der katholischen Kirche (undatiert, wahrscheinlich 2006 oder 2007).
  • Hinzu kommt der unterstützende Beschluss des Landesjugendhilfeausschusses vom 23. Februar 2006.

Die Finanzierung lässt sich nur erahnen und wäre parlamentarisch genauer nachzufragen. Angaben finden sich bisher eher versteckt, z.B. beim Anmeldeformular mit Kostenangaben: Die Teilnehmerbeiträge für die „Familienschule Arche 2008“ für eine dreitägige Veranstaltung in Zinnowitz oder Salem belaufen sich für 1 Kind auf 55 €, Elternteil pro Tag 25 € und Geschwisterkind gesamte Zeit 55 €. Beim Angebot für Gruppenleiter stand noch vor zwei Tagen der Hinweis (jetzt von homepage entfernt): „Viele Institutionen unseres Landes stellen finanzielle Mittel zur Verfügung".

Die Kooperationspartner

Gefördert durch die Europäische Union, in Zusammenarbeit mit der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern finden sich die Links zur Evangelischen Jugend in Mecklenburg und der Evangelischen Jugend Pommern. Den katholischen Part bildet das Erzbistum Hamburg oder genauer die Einrichtungen der Jugendseelsorge Mecklenburg im (!) Erzbistum Hamburg, zu denen die Katholische Jugend Mecklenburg, KJM, das Bischof-Theissig-Haus, BTH und das freiwillige Soziale Jahr der Jugendseelsorge in Mecklenburg, Erzbistum Hamburg, FSJ gehören. Und alle gemeinsam machen TEO – „Tage der ethischen Orientierung“.

Kirchliche Qualitätsstandards für TEO

„Die Leitkategorie schulkooperativer Arbeit ist ein mehrdimensionaler Bildungsbegriff. Neben den Praxisfeldern christlicher Bildung in Religionsunterricht, gemeindepädagogischem Engagement und den kirchlichen Schulen bewährt sich die Kategorie ’Bildung‘ auch im Lernfeld schulkooperativer Arbeit (TEO) . TEO ist Ausdruck des Bildungsauftrages der Kirchen und der gesellschaftlichen Bildungsinstitutionen.“

Fünf Jahre nach der Innovation dieses Projektes liegen positive Einschätzungen aus kirchlicher Sicht vor. Das innovative Modell schulkooperativen Zusammenwirkens zeigte sich besonders im Modul „classic l“, wo man sich u.a mit dem Jugendlichen Verkehrssterben in MV beschäftigt. „Worin bestehen der Wert und die Einmaligkeit des Lebens?“ – Diese Frage steht im Zentrum von vier TEO-Workshops. Bei der theologischen Fragestellung spielen dabei die Schöpfungsverantwortung und Nächstenliebe eine wichtige Rolle.
Auch aus religionspädagogischer Sicht wird die Unternehmung als Erfolg gewertet. „...Schülermeinungen, die uns motivieren, mit diesem Projekt weiter zu machen: ’TEO ist anders- und das nicht zu knapp.‘‚ ’TEO hat mich vor so manchem Blödsinn bewahrt.‘ ’Ohne TEO wüsste ich nicht, wo ich da jetzt mit meiner Trauer stünde‘. ’Tod als Thema, Tod am Straßenrand ... Wir haben darüber gesprochen – Einsicht.‘"

Fazit

Auch wenn eine Analyse für andere Bundesländer noch aussteht, zeigt sich dennoch das innovative Herangehen der Kirchen, Ethikbedürfnisse im Bildungswesen für christliche Missionsbedürfnisse zu nutzen und die eigenen christlichen Ansichten für allgemein moralische auszugeben. Es nutzt sicher wenig, dagegen zu lamentieren. Es ist so wie es ist. Die Kirchen nutzen, was ihnen geboten wird und Eltern suchen für ihre Kinder nach ethischen Orientierungen und Freizeitangeboten.
Für die Jugendweihe Deutschland und den Humanistischen Verband ergeben sich aus dieser Lage auch gemeinsame Chancen, nämlich gleiche Ansprüche anzumelden für ihre humanistischen Überzeugungen wie sie die Kirchen haben und vergleichbare Finanzierungen anzustreben.

 

GG – auf Basis von Recherchen durch Gerd Eggers