ROSSDORF. Die Ausgabe 1/2007 des skeptiker (Zeitschrift für Wissenschaft und kritisches Denken) ist jetzt erschienen.
Herausgegeben von der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften e.V. (GWUP) enthält es Themen-Artikel, Berichte, Rezensionen und ein Magazin:
- Thema: Cold Reading, Seite 4-12. Ray Hyman (Ein Klassiker der skeptischen Literatur. 30 Jahre ist es her, seit der amerikanische Psychologe Ray Hyman seinen Aufsatz über „Cold Reading" veröffentlicht hat. Ray Hymans Arbeit, immer wieder in der Skeptiker-Redaktion und beim Zentrum für Wissenschaft und kritisches Denken nachgefragt, liegt erstmals in deutscher Übersetzung vor.) Vor allem Wahrsager und andere parapsychologische Dienstleister wenden diese Persönlichkeitsanalyse gerne an, weil sie auf diese Weise mit einfachen Mitteln den Eindruck erwecken, sie wüssten alles über ihre Kunden. Diese wiederum nehmen die Pseudoanalysen wohlwollend an. In einem gewissen Rahmen bewahrheitet sich also der Spruch: „Man nimmt wahr, was man erwartet." Die Zeit geht indes auch an Klassikern nicht spurlos vorbei. Aber in der Retrospektive zeigt sich besonders deutlich, welche Ansätze und Ideen sich als ergiebig für die Forschung erwiesen haben. Günter Molz, Psychologe an der Uni Wuppertal, bewertet Hymans Aufsatz aus heutiger Sicht:
- Thema: Die psychologische Analyse des „Cold Reading" durch Ray Hyman - 30 Jahre danach, Seite 13 - 15. Günter Molz
- Thema: Warum im Comer See Nessie lebt - und im Gardasee nicht, Seite 16 - 21. Ulrich Magin
- Bericht: Alternativwissenschaft in Österreich, Seite 22 - 24. Ulrich Berger
- Bericht: Traditionelle Medizin in Nigeria, Seite 25 - 26. Leo Igwe
- Bericht: Großartiges Byzanz oder Das neue Mittelalter des Roland P. Mayer, Seite 26 - 29. Ralf Molkenthin Bericht: Ein Geister-Pferd in Hessen, Seite 30. Joe Nickell
- Nachgefragt: Stimmt es, dass Tiere einen sechsten Sinn für Katastrophen haben? Seite 31 - 32. Bernd Harder
- Buchkritik: Bernd Harder: Geister, Gothics, Gabelbieger, Seite 41. Stephan Bachter
- Buchkritik: Rainer Köthe:120 populäre Irrtümer über Sonne, Mond und Sterne, Seite 38. Wolfgang Hell
- Magazin: „Eso-Bio-Globuli" - Hokuspokus für die gestörte Kinderseele, Seite 34 - 40. Heinz Zangerle
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Als Leseprobe:
Alternativwissenschaft in Österreich (Teil 1)
von Ulrich Berger.
„Alternativwissenschaft" ist ein wenig gebräuchlicher, aber meines Erachtens hilfreicher Ausdruck. Sie verhält sich zur Wissenschaft wie die Alternativmedizin zur evidenzbasierten Medizin. Nicht alles, was da wie dort als „alternativ" eingeordnet wird, ist aus wissenschaftlicher Sicht von vornherein abzulehnen, aber allzu vieles entpuppt sich bei näherer Betrachtung schlicht als blanker Unsinn. Die Alternativwissenschaft ist wie die Wissenschaft ein weites Feld. Eine klare Definition und eine exakte Abgrenzung fallen schwer. Dort, wo die Grenzen der etablierten Wissenschaften unscharf werden, beginnt ein Graubereich, der von Grenz- und Parawissenschaften über die dunkleren Nuancen der Pseudowissenschaft bis ins tiefe Schwarz der Junk Science reicht. Während Massenmedien nicht nur die Fortschritte der Wissenschaften, sondern auch die mit unschöner Regelmäßigkeit auftretenden Plagiats- und Fälschungsskandale innerhalb derselben ins Licht der Öffentlichkeit stellen, bleiben die hartnäckigen Bemühungen der Alternativwissenschaften und ihrer Proponenten, an den öffentlichen Fördertöpfen mitzunaschen, oft unbemerkt.
Wenn leichtgläubige Konsumenten ihre Ersparnisse in den Erwerb von Wunder versprechenden Produkten investieren, deren angebliche Wirkungen nicht nur nicht nachgewiesen sind, sondern wissenschaftlich anerkannten Fakten schlicht widersprechen, dann löst das bei vielen Beobachtern nur ein bedauerndes Kopfschütteln aus. Wenn Träger von akademischen Würden sich ohne jegliches Erkenntnisinteresse aus rein finanziellen Motiven dazu verleiten lassen, die Wunderwirkung solcher Produkte durch sich wissenschaftlich gebende Gefälligkeitsgutachten zu untermauern, dann werden viele dies als beklagenswerte Charakterschwäche klassifizieren, ohne darin schon ein gesellschaftliches Problem zu sehen. Wenn sich aber etwa herausstellt, dass pseudowissenschaftliche Forschung durch ahnungslose oder von Partikularinteressen gelenkte Politiker mit Steuergeldern gefördert wird, dann ist es notwendig, eine Grenze zu ziehen.
Aus Deutschland sind in den letzten Jahren einschlägige Fälle bekannt geworden, welche großteils im Internet, aber auch in Printmedien wie in Nachrichtenmagazinen oder in dieser Zeitschrift publiziert wurden. In Österreich gab und gibt es ähnliche Vorkommnisse, die jedoch in der Regel jeweils nur kleinen Kreisen von Eingeweihten bekannt sind. In dieser Artikelserie soll der Bereich der Alternativwissenschaften in Österreich anhand einiger exemplarischer Fälle dargestellt werden. Die genauere Zuordnung der einzelnen Episoden zu den Kategorien Grenzwissenschaften, Junk Science oder aber einer Zwischenform überlasse ich dabei der persönlichen Einschätzung des Lesers und der Leserin.
Neue Existenz in Graz
Der Fall der Berliner Mauer 1989 blieb auch auf die Akademie der Wissenschaften der DDR nicht ohne Auswirkungen. Als deren Institute 1991 aufgelöst wurden, suchte eine langjährige Mitarbeiterin eine neue intellektuelle Heimat. Die Rede ist von der Physikerin Dr. Noemi Kempe, geboren 1939 in Moskau. Ihre neue Heimat fand sie im österreichischen Graz, und in einem Alter, in dem andere bereits an den Ruhestand denken, startete sie eine zweite Karriere. Die begann in einer der größten außeruniversitären Forschungseinrichtungen Österreichs, der Grazer Joanneum Research. Dazu gesellten sich bald Projekte, die Kempe im Auftrag des Bundesministeriums für Wissenschaft und Verkehr durchführte. 1997 wurde sie zur wissenschaftlichen Leiterin der Forschungsstelle für Biosensorik ernannt, einer Forschungsstelle der renommierten und mit öffentlichen Mitteln geförderten Ludwig Boltzmann Gesellschaft. Als Partnerinstitut gründete Kempe außerdem das an derselben Adresse angesiedelte private Institut für Biosensorik und bioenergetische Umweltforschung (IBBU). Enge Kontakte bestehen auch zum Moskauer Institut für Intellektuelle Medizin-Systeme (IMEDIS).
Kempe wird in diversen Internetforen fälschlich als „Schulmedizinerin" bezeichnet, sie selbst nennt sich eine „Schulwissenschaftlerin". Für die Leiterin einer offiziellen Ludwig Boltzmann Forschungsstelle sollte das eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Was ist nun Frau Kempes Expertise? Die riesige Wissenschaftsdatenbank Scopus wirft eine Publikationsliste aus, die aus genau einer Zeile besteht. Ein Artikel über Laserjustierung in der Zeitschrift Feingerätetechnik, publiziert 1989. Mit Lasertechnik allerdings hat Frau Kempe in Österreich nichts mehr am Hut. Mit wissenschaftlicher Biosensorik, wie die Institutsnamen andeuten, aber auch nicht. Ihre Spezialgebiete sind die Elektroakupunktur nach Voll (EAV) und die Bioresonanz.
Elektroakupunktur, Bioresonanz und Kraftorte
Tatsächlich glauben viele „Alternativmediziner" fest daran, dass die Organe kranker Menschen „Störschwingungen" aussenden, die sich zur Diagnose eignen und die man mittels eines entsprechenden Gerätes nicht nur messen, sondern auch „invertieren" und als „heilende Schwingungen" in den Patienten zurücksenden könne, wodurch die Störung „gelöscht" werde. Diese esoterischen Vorstellungen mitsamt den dafür notwendigen Apparaturen wurden seit den 70er Jahren auch im deutschsprachigen Raum besonders durch Scientologen populär gemacht. Die EAV- und Bioresonanz-Geräte sind wissenschaftlich nicht anerkannt, im Grunde messen sie nur den Hautwiderstand, und für eine ernsthafte Diagnose oder gar Therapie von Krankheiten sind sie gänzlich ungeeignet. In den USA erhalten diese Geräte keine Zulassung, so wurde etwa das Pacific Health Center wegen des Einsatzes von EAV-Geräten zur Zahlung einer Summe von $ 1,7 Mio. verurteilt. Nähere Informationen zu Bioresonanz und EAV finden sich auf der Homepage der GWUP, bei quackwatch.org, im ZEIT-Wissen vom Februar 2006 oder im Handbuch Die Andere Medizin.
Die Firma IMEDIS vertreibt u. a. das Gerät IMEDIS-Expert, das bei Frau Kempe offenbar im Dauereinsatz stand. Jahrelang testete sie landauf, landab eine Vielzahl von energetisierten Wässerchen, Handystrahlen-Schutzchips, „Kraftorte" und dergleichen auf ihre Wirkung. Zuhauf finden sich im Internet ihre positiven Gutachten, u.a. über Rostock-Essenzen gegen schwarze Magie, über die wohltuende Strahlungskraft der mystischen Plätze in Nöstach, die unsichtbare Qualität von diversen Kraftplätzen, den Aufenthalt auf der Weltkugel in der Kraftarena Groß Gerungs, die Betrachtung von Schutz-Mandalas, den Power Energetic Wasserbeleber, Pro Energetic H2O Tuner, die geomantische Lithopunktur in der Raiffeisenbank Aspang, den Aufenthalt am Kapellenberg in Etmißl, Lokosana magnomed zum Schutz vor Strahlungsfeldern, die positiven Frequenzen des St. Leonhardsquelle Wassers, den Hydrofix Wasserbeleber, die Erayser energydisc gegen Handysmog, die Einwirkung von Halitkristallen, Leitl-Vitalziegel, Vital-Disc und Vital-Tonerdeseife, über die Smogstop Folie, die Strahlex Entstörfolie sowie eine Radiation-Protection Folie gegen Handystrahlen, besser bekannt unter dem Namen „Gabriel-Chip". Eine Vielzahl weiterer Projekte findet sich auf der Homepage des IBBU. Mitunter veranstalten Frau Kempe und ihre Mitarbeiter auch Seminare, etwa zur Einführung in die IMEDIS-Software namens ASTROMED. Auch einschlägige Vorträge, wie „Besser sehen ohne Brille", eine dubiose, von der medizinischen Wissenschaft abgelehnte Methode, oder über den „Umgang mit der Wünschelrute", fehlen nicht.
Schenkt man der Schilderung in einem Internetforum Glauben, so könnte Frau Kempe sich zwischendurch auch als Hobbyärztin betätigt haben. Wie ein ehemaliger Kunde berichtet, warnte sie ihn nach der obligaten IMEDIS-Messung nicht nur vor dem Verzehr von Schweinefleisch und der Gefahr von Elektrosmog, sondern empfahl ihm zur Linderung seines Leidens auch homöopathische Globuli und eine „Dr.-Rath-Vitaminkur". Zur Erinnerung: Dr. Matthias Rath ist jener durch den tragischen „Fall Dominik" bekannt gewordene „Wunderheiler", der gegen Krebs und AIDS auf gefährlich überdosierte Vitaminpräparate schwört.
Niederenergetische Bioinformation im Wassergedächtnis
Bei ihren Untersuchungen des „levitierten Quellwasser-Informationskonzentrats" eQwell könnte Noemi Kempe auf Kollegen gestoßen sein. Laut einer alten eQwell-Homepage11 wurde dessen positive Wirkung auf Pflanzen nämlich auch von der in Graz angesiedelten Forschungsstelle für niederenergetische Bioinformation bestätigt. Auch diese Einrichtung wurde 1997 als Ludwig Boltzmann Forschungsstelle gegründet, firmierte aber schon ein Jahr danach unter einer Internet-Adresse der geisteswissenschaftlichen (!) Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz, und segnete wenig später das Zeitliche. Ihr ehemaliger Leiter ist der Biologe Dr. Peter Christian Endler.
Der obskure Ausdruck „niederenergetische Bioinformation" weist bereits darauf hin, dass dieses Institut sich eher nicht dem Mainstream der Wissenschaften verpflichtet sah, die so gar nichts von einem Energiegehalt von Information wissen will. Tatsächlich erklärt Endler „niederenergetische Bioinformation" einfach als „extrem schwache Signale", die Auswirkungen auf Lebewesen haben sollen. Im Grunde handelt es sich dabei aber um nichts anderes als den Versuch, die fragwürdigen Prinzipien der Homöopathie zu untermauern. Da Homöopathen zur Erklärung der angeblichen Wirkungen ihrer Hochpotenzen, die kein Molekül der Wirksubstanz mehr enthalten, hartnäckig auf die völlig spekulative Idee vom „Gedächtnis des Wassers" bauen, ist der Sprung vom Globuli zum „levitierten Wasser" wohl nicht allzu weit.
Endler ist in Homöopathie-Kreisen für seine Kaulquappenversuche bekannt, in denen er nachgewiesen zu haben meint, dass das Schilddrüsenhormon Thyroxin in der Hochpotenz D30, für Chemiker also reines Wasser, die Entwicklung von Kaulquappen signifikant verlangsamen kann. Übrigens muss man die homöopathische Lösung nicht einmal ins Beckenwasser tropfen. Laut Endler genügt es, sie in einer verschlossenen Glasphiole ins Becken zu hängen, um die „niederenergetische Bioinformation" auf das umgebende Wasser zu übertragen. Die magischen Schwingungen, die dies bewerkstelligen, lassen sich freilich auch verstärken, auf CD brennen und in Wasser einspielen, das dann ebenfalls die homöopathische Wirkung zeigt. Die entsprechenden Publikationen finden sich außer in den üblichen komplementärmedizinischen Journalen verstreut in Form von Buchbeiträgen zu einem von Endler selbst mit herausgegebenen Buch und in einer inzwischen eingestellten Zeitschrift. Endlers drei „Publikationen" im renommierten FASEB Journal, auf die Homöopathen oft mit Stolz hinweisen, entpuppen sich bei genauerer Betrachtung allerdings lediglich als Abstracts von Kongressbeiträgen.
Inzwischen ist Dr. Endler Leiter des Interuniversitären Kollegs für Gesundheit und Entwicklung, das im Rahmen eines EU-Projekts von Graz aus einen Fernlehrgang zum MSc Health Sciences anbietet. Die Liste des dortigen Lehrpersonals enthält eine beeindruckende Reihe von Personen mit dem Titel „Universitätsprofessor", bei vielen davon wurden störende Zusätze wie „außerordentlicher", „Junior" oder „außer Dienst" gleich weg gelassen. Endler selbst firmiert dort als „Univ.-Prof. (ac., Italien) a.D.", was zugegebenermaßen ungleich besser klingt als ein profanes „ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Urbino".
Holistische Medizin und Virus-Mythen
Zum Lehrpersonal am Interuniversitären Kolleg gehören auch zwei Herren, die sich auf „ganzheitliche" oder „holistische" Medizin spezialisiert haben, nämlich Prof. Joav Merrick und Dr. Soren Ventegodt. Die beiden haben kürzlich in einem Artikel die „wissenschaftliche" Arbeit des berüchtigten und in einem französischen Gefängnis sitzenden „Wunderheilers" Gerd Ryke Hamer, bekannt geworden durch den „Fall Olivia", verteidigt. Die „eiserne Regel des Krebses" dieses Begründers der „Germanischen Neuen Medizin", dass nämlich jeder Krebs durch einen psychologischen Konflikt ausgelöst werde, sei schließlich ein „well-establish-ed principle of holistic medicine".
Eine weitere hochdekorierte Lehrkraft des Interuniversitären Kollegs ist der Deutsche Heinz Spranger, ein Univ.-Prof. a. D. Dr. Dr. h.c. MAS MSc, der seine letzten beiden akademischen Grade dort erworben hat, wo er jetzt unterrichtet. Berichte des „ganzheitlichen" Zahnarztes finden sich etwa auf Internet-Seiten mit den vielsagenden Namen „VirusMyth.net" und „AIDS-Kritik.de". Dort spekuliert Spranger nicht nur über „chemische Vergiftungen" als wahre Ursache von BSE, sondern äußert auch vehemente Zweifel an der von „amateurhafter Hilflosigkeit" geprägten Theorie, dass HIV die Ursache von AIDS sei. Möglicherweise hat seine „Expertenmeinung" dazu beigetragen, dass Spranger in die AIDS-Kommission des südafrikanischen Präsidenten Mbeki berufen wurde, dessen Gesundheitsministerin Rote Beete und Knoblauch gegen die tödliche Krankheit empfiehlt.
Auch ao. Univ.-Prof. Dr. Michael Frass, Leiter der Ambulanz namens „Homöopathie bei malignen Erkrankungen" des Allgemeinen Krankenhauses der Stadt Wien, unterrichtet am Interuniversitären Kolleg. Frass und Endler sind sozusagen alte Kollegen, sie arbeiteten schon gemeinsam, als Frass noch Leiter des Instituts für Homöopathie war. Diese Einrichtung ist - Überraschung - ebenfalls ein Ludwig Boltzmann Institut.
Biocomputer, Homöopathie und Benzinbeleber
Prof. Frass ist aber nicht nur an Homöopathie interessiert, er beschäftigt sich auch mit esoterischer Voodoo-Technik. Ein kleines Aluplättchen, das sich leichtgläubige Menschen mit Strahlenangst um den Hals hängen, nennt sich ATOX Bio-Computer. Dieses Produkt (ab € 229) der steirischen Firma ATOX Systemtechnik GmbH wandelt angeblich „negative Informationen in positive" um - natürlich stromlos. Das kuriose Ding, auf das auch Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser vertraut, entpuppte sich auch abseits von Elektrosmog als Wohltäter. Wie Frass feststellte, erkennt der Anhänger psychosoziale Belastungen und „wandelt diese in eine für den Träger positive Energie um". Seine Untersuchungen des kleinen Zauberdings hat Frass gemeinsam mit der sicher unvoreingenommenen Ärztin Dr. Gabriele Stilianu durchgeführt, bis vor kurzem Mitarbeiterin der Firma ATOX Systemtechnik.
Im Juli 2006 konnten Frass und Stilianu bereits das Ergebnis ihrer Langzeitstudie verkünden: „Fast alle Personen [die den ATOX Bio Computer verwendeten,] hatten bereits nach einigen Tagen bzw. Wochen die Kraft und Energie, auch andere Maßnahmen zur Verbesserung der Stressbewältigung zu setzen." An diesem umwerfenden Erfolg soll natürlich die ganze Welt teilhaben, zumindest über den Umweg der Apotheken. Die Österreichische Apothekerzeitung informierte ihre Leser, was Frass in einem Vortrag im März 2006 verkündete: „Welche Schwingungen auf unseren Organismus einwirken, Wie unser Körper damit umgeht, Wie man sich schützen kann, Was ATOX bewirkt, Wie ATOX angewendet wird".
Die Firma ATOX Systemtechnik arbeitete inzwischen schon fleißig an einem „Benzinbeleber". Diese pseudowissenschaftlichen Geräte oder Benzinadditive, deren völlige Wirkungslosigkeit bereits mehrfach bestätigt wurde, sollen im Tank eines Autos den Benzinverbrauch senken und die Emissionen reduzieren. Ein Vertreter von ATOX erklärte einem kleinen Kreis von verblüfften Zuhörern im Herbst 2005, dass seine Entwicklung auf der „Theorie des Äthers" beruhe. Dass dessen Nicht-Existenz seit Einsteins spezieller Relativitätstheorie, also seit über 100 Jahren, bekannt ist, stört wahrscheinlich nur engstirnige „Schulwissenschaftler". Die Besprechung fand übrigens im Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Wien statt, auf Einladung von Prof. Frass.
Wer die Wirksamkeit der Produkte der Firma ATOX Systemtechnik anzweifelt, wird auf deren Homepage auf eine Reihe von „Studien" verwiesen, die die Wirkung bestätigen. Eine davon entstand immerhin unter dem Dach einer hochseriösen Forschungsgesellschaft. Die Rede ist natürlich - und damit schließt sich der Kreis - von Dr. Noemi Kempe und ihrer Ludwig Boltzmann Forschungsstelle für Biosensorik. Wie auch immer, die oft beschworenen Selbstreinigungskräfte der Wissenschaft scheinen stellenweise noch wirksam. 2004 erfolgte eine Evaluierung aller Ludwig Boltzmann Institute, die schließlich Anfang 2005 in einen kompletten Relaunch der Gesellschaft mündete. Von den 135 Instituten überlebte nicht einmal ein Drittel. Die Forschungsstelle für Biosensorik, das Institut für Homöopathie und das Institut für niederenergetische Bioinformation sind Geschichte.
(Die Anmerkungen und Quellenangaben des Originalberichts wurden fortgelassen.)
Ao. Univ.-Prof. Dr. Dr. Ulrich Berger ist Wirtschaftswissenschaftler am Department Volkswirtschaft der Wirtschaftsuniversität Wien.