WIEN. (hpd) World Vision Österreich betritt mit einer offensiven Spendenkampagne den öffentlichen Raum im Land. Und wirft Fragen auf, wie weit „christliches Leitbild“ und Entwicklungsarbeit zusammenpassen. Nicht nur bei World Vision.
Vier Jugendliche im orangen T-Shirt mit World-Vision-Logo, ein Mittzwanziger im braunen Shirt mit Dreadlocks ist offenbar der Chef. Sie stehen auf einem vielleicht fünfzehn Meter langen Stück Gehsteig in der Thaliastraße in Wien, aufgeteilt zwischen der Filiale einer deutschen Bäckereikette und einem schmalen Stück zwischen McDonald's und einer Straßenbahnhaltestelle. Passanten laufen Slalom zwischen den Spendensammlern mit ihren Clipboards in der Hand. Mitunter stellt sich ein Sammler in den Weg. Geht ein Passant zu schnell vorbei, kann es vorkommen, dass der Chef ihm in den Weg springt: „Haben Sie eine Minute Zeit?“ „Nein“ „Wieso nicht?“ Keine Antwort. „Wir sind doch von World Vision“. „Darum hab ich auch keine Zeit“ „Also sind Sie nicht sozial engagiert?“ „Ich halt' nur nix von christlichen Organisationen“. Der Chef bleibt etwas überrascht stehen. Der Passant entkommt. Der Chef eilt einem Sammler zur Hilfe, der einen weiteren Mann erfolgreich aufgehalten hat. Aus der Entfernung ist nicht verständlich, womit sie den Passanten bearbeiten.
Spendensammler in einer Fußgängerzone sind nichts Ungewöhnliches. Auch renommierte NGOs wie Amnesty International, Greenpeace oder das Rote Kreuz bedienen sich ihrer. Man versucht, Passanten dazu zu bringen, der jeweiligen Organisation beizutreten oder zumindest Langzeitspender zu werden. Face to Face Fundraising heißt das in der Fachsprache. Ein klassischer Sommerjob für Studierende. Prämien machen einen guten Teil des Gehalts aus und verlocken so manchen zu forschem Auftreten. Was sich negativ auf das Image der jeweiligen Organisation auswirkt.
In Österreich versucht man, mit einer so genannten Qualitätsinitiative gegenzusteuern, wie World Vision Österreich dem hpd schreibt: „Wir legen bei der Straßenwerbung, wie andere NPOs auch, großen Wert auf Qualität. Deshalb haben wir uns der Qualitätsinitiative des Fundraisingverbandes angeschlossen und aktiv an der Entstehung eines gemeinsamen Regelwerks mitgearbeitet. Darin ist unter anderem vereinbart, dass rein erfolgsorientierte Bezahlung untersagt ist. Als Mitglied der ‚Qualitätsinitiative‘ halten wir uns an diese Regeln“, heißt es in einem Mail von Kommunikationschef Matthias Spiegelfeld.
Ein Viertel Gehalt aus Provisionen
Eine formal richtige Antwort. „Rein erfolgsorientiert“ werden die Spendensammler heute nicht mehr bezahlt. Anzeigen in Studierendenjob-Börsen versprechen immer ein gewisses Fixgehalt. Allerdings ist es keine Seltenheit, Prämien von bis zu einem Viertel des Fixums in Aussicht zu stellen. „Das Festgehalt beträgt 1.700 Euro à 5 Wochen (mindestens 4 Wochen), möglich sind über 2.100 Euro Vergütung auf Provisionsbasis, erfolgsbedingt“, heißt es in dieser Anzeige. Die Anzeige unmittelbar darunter bietet:
- einen abwechslungsreichen + interessanten Job für Rotes Kreuz, Bund Naturschutz, …
- Teamwork mit jungen Leuten
- flexible Zeiteinteilung
- professionelle Schulungen und laufendes Coaching
- sinnvolle Tätigkeit mit Funfaktor
- hervorragender Verdienst (ca. € 1.000 – € 3.000/Monat)
Garantien, dass Ehrgeiz und Aussicht auf hohes Gehalt nicht mit den jungen Leuten durchgehen, sehen anders aus. Für die Auftraggeber ist die Lösung nicht ganz billig. Laut Jahresbericht hat World Vision im Vorjahr 639.256,69 Euro für „Spendergewinnung“ ausgegeben. Immerhin sechs Prozent des Gesamtbudgets. Und das bei einem vergleichsweise hohen Anteil an Langzeitspendern.
Straßenaktionen eher ungewöhnlich
Straßensammelaktionen sind bei Organisationen, die in der Entwicklungshilfe tätig sind, eher ungewöhnlich, sieht man vom Roten Kreuz ab. Auf eine Anfrage des hpd heißt es von der Caritas Steiermark, die sich genauso wie World Vision als christliche Hilfsorganisation präsentiert: „Die Caritas führt keine Straßensammlungen durch.“ Lieber setzt man auf Werbung. Plakatfirmen stellen häufig Plakatflächen zur Verfügung, Zeitungen Platz für Inserate. Wenn alle Stricke reißen, finden sich meist Firmen, die eine Kampagne sponsern. Das gilt für konfessionelle wie nicht-konfessionelle Organisationen.
Im Zweifelsfall können die größeren Organisationen auf ihre Mitglieder zurückgreifen, die von Tür zu Tür laufen; mitunter nicht minder bedenklich als die Straßensammelaktionen via Fundraiser-Firmen. Die Dreikönigs-Aktion schickt alljährlich tausende Kinder durchs Land, die an Türklingel und Türklingel läuten. Statt Argumenten gibt’s religiöse Lieder. Kritiker sehen das als Missbrauch kindlichen Engagements und nicht selten als Belästigung. Der Großteil der Öffentlichkeit gibt sich mit derlei Bedenken nicht ab. Die Aktion ist zum Liebkind der Medien geworden. Spitzenpolitiker lassen es sich nicht entgehen, sich mit den kindlichen Spendensammlern fotografieren zu lassen.
Im Wettbewerb um Spenden zeigt sich World Vision im Moment erstaunlich aktiv. Neben der offensiven Kampagne um „Passanten für unsere Entwicklungsprojekte zu interessieren und ggf. für eine Patenschaft oder unseren neuen ‚Starthelfer‘“ (Spiegelfeld) hat die Organisation die Aktion „Wasserspende“ initiiert. In Lokalen zahlen Gäste zwei Euro für ein Glas Wasser. Ein Euro geht an World Vision, einer an den Wirt. Die Aktion hat zahlreiche Kritiker auf den Plan gerufen. In österreichischen Lokalen gibt es traditionell Wasser umsonst. Spenden könne man anderswo heißt es, andere kritisieren, dass die Wirte die Hälfte des Geldes bekommen. Nicht zu vergessen, dass in den Augen mancher die Aktion eine Zugangshürde für weniger zahlungskräftige Kunden ist. Die bestellen das Wasser aus Kostengründen. Allerdings dürfte das bei der Klientel der teilnehmenden Lokale eine geringere Rolle spielen. Es sind beinahe ausnahmslos In-Lokale. Dass sich die eher aus Imagegründen am Projekt beteiligen, lässt sich nicht von der Hand zu weisen. Entwicklungshilfe wirkt sich immer positiv auf das Bild aus, das die Öffentlichkeit von einem hat.