Six Feet Under

DRESDEN. (hpd) Viele Menschen mögen sich nicht mit dem Thema Tod beschäftigen. Die Tatsache, dass alles Leben einmal ein Ende hat, macht vielen Angst. Aber wer das Sterben verneint, löst sich von einem Teil seines Lebens. Leben und Sterben sind untrennbar miteinander verbunden und Angst vor dem Ende hemmt die unbeschwerte Lebensfreude.

„Six Feet Under" ist eine aktuelle Ausstellung im Deutschen Hygienemuseum Dresden. Der Untertitel „Autopsie unseres Umgangs mit Toten" macht das Anliegen deutlich. Die Ausstellung zeitgenössischer Künstler aus dem Kunstmuseum Bern zeigt den aktiven und konstruktiven Umgang mit dem Thema Tod. Mannigfache Werke unterschiedlicher Genres aus verschiedenen Ländern und Kontinenten befassen sich mit dem Sterben und dem physischen Ende. Schmerz und Trauer über den Verlust eines geliebten Menschen sind ebenso Motiv, wie auch der eigene Tod.

Der soziale Umgang

Im Alltag sind in den Medien Tod und Gewalt ständig gegenwärtig, aber die Toten werden aus dem Sichtfeld möglichst schnell verbannt. Sie sind unerwünscht im Leben, gehören nicht mehr dazu, müssen weg. Wo befinden sich denn die Friedhöfe? Im 19.Jhd verlagerte man sie an die Peripherie der Städte. Der Umgang mit dem Tod fällt schwer. Dies wird auch an der Tatsache deutlich, dass es unzählige Begriffe und abmildernde Bezeichnungen dafür gibt, z.B. Ableben, Hinübergehen, Heimholen, Hingehen, Abberufen usw. Da der Tod oft ein Tabuthema ist, betonen die Begriffe meist den Übergang in ein Jenseits. Es mangelt am Willen, das Ende der menschlichen Existenz zu akzeptieren und sucht nach vielfältigen Vorstellungen der Überwindung des Todes.

Ein komplexes System von Ritualen und Symbolen, welches der Verarbeitung dieses endgültigen Punktes dient, ersetzt die Auseinandersetzung mit dem Tod. Der gesellschaftliche Wandel bis zur heutigen Gesellschaft bringt die Verdrängung des Sterbens und des Todes mit sich. Mit der Verdrängung des Sterbens aus dem Alltagsleben geht die Tabuisierung einher. Kennzeichnend für den zeitgenössischen Umgang ist auch die Verweigerung und Unmöglichkeit von Trauer. Es wird nicht mehr vehement und öffentlich getrauert. Trauern ist unschicklich und führt wiederum zu Unverständnis und Unsicherheit im Umgang mit den Trauernden. Traditionelle Trauerbräuche geraten in Vergessenheit. Der Tod ist kein Thema der Lebenden und wird als Problem alternder Menschen verstanden. Die Ausstellung bietet verschiedene Blickrichtungen auf den Tod, vor allem zeigt sie aber das endgültige Ende der körperlich-organischen und geistigen Existenz des Menschen.

Früher hatte ein Leichnam eine soziale Schlüsselrolle inne, brachte er doch ganze Dorfgemeinschaften zusammen. Sterbende waren in den Familienkontext eingebunden und wurden selbstverständlich bis zu ihrem Tod im häuslichen Umfeld betreut. Heute ist es mehr oder weniger eine Privatangelegenheit. Der direkte Umgang ist seltener geworden, wo der Tod nicht mehr in unmittelbarer Umgebung der Familie oder bei Krieg und Katastrophen in unmittelbarer Nachbarschaft mit Freunde und Kameraden erfolgt. Sterben ist anonymer geworden, wenn der Tod in Klinikbetten eintritt und die Beerdigung von Bestattungsunternehmen als Dienstleistung übernommen wird. Die Isolierung, Vereinzelung und Vereinsamung von Sterbenden kann man auch als Ent- Gemeinschaft-ung verstehen. Dem biologischen Tod geht ein soziales Sterben voran.

Der Tod als Motiv in der Kunst

Besonders Kunst und Künstler haben sich intensiv damit beschäftigt, so gibt es seit jeher Bilder und Skulpturen von Toten, um einfach das Gesicht und die Erinnerung an den Verstorbenen festzuhalten. In der zeitgenössischen Kunst wird das ursprünglich religiöse Ritual umgearbeitet und neu inszeniert oder der Tote wird durch Bilder oder Filme wieder ins Blickfeld geholt, um die Gedanken an den Menschen und das Gedenken an ihn wach zu halten. Sie dienen der privaten Huldigung eines verehrten oder geliebten Menschen. Künstler haben ihre private Beziehung thematisiert. Dies ist auch Folge der Säkularisation nach der französischen Revolution, die das Individuum in existentiellen Fragen auf sich selbst gestellt hat.

Es wird zum Spiel mit der Vergänglichkeit. Die Angst und Unsicherheit beim Umgang mit dem Tod und mit den Toten führte seit dem Mittelalter zu sehr verschiedenen Formen der individuellen Äußerung zu dieser Frage.

Gegenstand der Ausstellung ist auch die Todessehnsucht von Künstlern. Oft haben sie den eigenen Tod in Szene gesetzt, um zu sehen, was passiert, wie sie beurteilt werden, wer zum eigenen Grabe kommt. Aus dem romantischen Thema des aus dem Leben Gehens, wurde dennoch oft Realität. Es war der Zweifel an seinem Künstlersein und die Frage nach seiner Stellung in der Welt. Der Tod ist das Ende der physischen Existenz, möglicherweise auch der transformatorische Zustand in einer anderen Lebensform: Auferstehung und Reinkarnation.

Weiterleben erfolgt heute durch Digitalisierung. Tote leben fort in Bildern, Büchern, Tondokumenten, Legenden, Häusern und Denkmäler. Sie leben, solange sie im Bewusstsein sind.

Die ausgestellten Arbeiten zeigen den Tod in verschiedensten Facetten, würdig, grausam, plötzlich, zu früh, langsam, entsetzlich, erbarmungslos aber auch schön, erhaben und faszinierend. Er zeigt sich bunt, wie das Leben selbst. Die Arbeiten, die teilweise direkt für diese Ausstellung geschaffen wurden, sollen die Angst nehmen und das Sterben als etwas Natürliches zeigen.

Kulturelle Entwicklungen

Bei den alten Ägyptern und Griechen gehörte die Auseinandersetzung und die Vorbereitung für die Zeit des Sterbens zum Leben. Für die aufwändige Bestattungskultur wurde schon zu Lebzeiten die Einzelheiten der Beisetzung und Grablegung geregelt. Mit dem Ende des 17.Jhd., der Aufklärung und Säkularisation setzte eine Verweltlichung des Friedhofs- und Bestattungswesens ein. Bis ins 18.Jhd. blieb die Versorgung und Betreuung von Kranken und Sterbenden weitgehend Sache der Familien. Im 19.Jhd. übernahm der Staat im Rahmen hygienischer Maßnahmen die Bestattung der Toten.

Die Gesellschaft hat es jedoch versäumt, sich mit dem letzten Teil des Lebens auseinanderzusetzen. Statt würdevolles Sterben und natürliches Lebensende in der Öffentlichkeit zu thematisieren wird die Jugend idealisiert. Andererseits entstanden seit den 1980er Jahren Jugendbewegungen, wie Punk und New Romanticism die sich dem Tod auf ihre Weise gewidmet haben. Diese beschäftigen sich mit Tod und Vergänglichkeit auf sehr konträre, provokante Weise. Entstanden ist sie aus Symbolismus, Romantik und mystischen Götterkulten. Inzwischen ist sie aber der christlichen Symbolik beraubt und der Totenschädel ist zum Modeaccesoire geworden. In der Kunst werden spielerisch spöttisch Allmachtsfantasien und Endzeitstimmungen dargestellt. Die Frage nach dem Sein wird wichtiger. Was bleibt vom Memento mori? Tod wird zum glamourösen Fetisch der Lifestyle Generation „Erst unsterblich werden, dann sterben" (Heding und Grosselt 2001).

Wie viele Tabus in unsrer Gesellschaft noch abgebaut werden müssen, um wieder zu einem normalen Umgang mit Tod und Sterben zu kommen, zeigt auch die am Eingang aufgestellte Warnung, dass sich Menschen möglicherweise durch die Darstellungen verletzt und beleidigt fühlen könnten und dass die Ausstellung nicht für Kinder unter 12 Jahren geeignet ist, sowie die Empfehlung ab diesem Alter die Ausstellung nur in Begleitung von Erwachsenen zu besuchen.

Ende März 2008 wird die Ausstellung beendet sein - es sind also nur noch  wenige Tage, um diese sehenswerte Ausstellung zu besuchen.

 

Elke Schäfer