Chancengleichheit und Elitenbildung

(hpd) Zwei sehr unterschiedliche Studien beschäftigen sich mit der Thematik der jetzigen wie der künftigen Führungselite und beide

kommen zu dem Ergebnis, dass in Deutschland die soziale Herkunft immer noch entscheidend ist

 

Eliten und Macht in Europa

Michael Hartmann ist an der Technischen Universität Darmstadt Professor für Soziologie mit dem Schwerpunkt Elitesoziologie. In seiner viel beachteten Studie "Der Mythos von den Leistungseliten (2002)" kam er anhand empirischer Daten zu dem Ergebnis, dass eine Chancengleichheit beim Zugang zu Elitepositionen in der Bundesrepublik nicht gegeben ist, sondern die soziale Herkunft einen großen Einfluss hat.

Seine neue Studie "Eliten und Macht in Europa" knüpft an die Vorgängerstudie an, weitet jedoch das Forschungsfeld auf Europa aus. Neben den drei großen EU-Ländern Deutschland, Großbritannien und Frankreich hat er dabei auch die Eliten aus Italien, Spanien, Österreich, den Niederlanden, Skandinavien und einigen osteuropäischen Ländern empirisch untersucht.

Hartmann ist es dabei gelungen, ein wirklich umfassendes Bild der Führungseliten Europas zu zeichnen. Er kommt dabei zu dem Ergebnis, dass die soziale Herkunft, die Bildungswege und die Karrieremuster der Eliten in den untersuchten Ländern höchst unterschiedlich sind. So zeichnen sich insbesondere Großbritannien und Frankreich durch eine sehr geringe soziale Mobilität aus. Hier läuft die Elitenrekrutierung ganz besonders über Elitebildungseinrichtungen zu denen eben nicht jeder einen Zugang hat und allzu oft die soziale Herkunft entscheidend ist. Ganz anders zum Beispiel sieht dies dagegen in den skandinavischen Ländern aus. Hier spielt die soziale Herkunft eine sehr viel geringere Rolle. Ferner gelingt es Hartmann anhand des gesammelten Materials auch nachzuweisen, dass es zwischen den Elitestrukturen und der sozialen Ungleichheit einen Zusammenhang gibt. Dabei gilt ganz simpel: Je exklusiver und homogener eine nationale Elite ist, umso größer ist auch die Kluft zwischen Arm und Reich.

Hartmann ist es erneut gelungen, eine unverzichtbare Studie vorzulegen. Sie sollte nicht nur Pflichtlektüre für angehende Soziologen werden, sondern jeder politisch interessierte Bürger, sollte sich die Daten dieser Studie genau ansehen. Besonders wünschenswert wäre es, wenn auch unsere politischen Eliten einmal einen Blick riskieren würden. Sie müssten sich allerdings dann von ihrem Lieblingsmärchen der Chancengleichheit verabschieden.

"Gestatten: Elite. Auf den Spuren der Mächtigen von morgen"

Die Jungjournalistin Julia Friedrich war gerade 25 Jahre alt, als sie sich zu Recherchezwecken für einen Bericht bei McKinsey bewarb. Zu ihrer Überraschung bestand sie den Auswahltest und ihr wurde ein lukratives Angebot unterbreitet. Ihre Ideale wollte sie jedoch nicht verkaufen, stattdessen animierten ihre Erfahrungen bei McKinsey sie dazu, sich auf die Spuren der Elite zu begeben.

Mit "Gestatten: Elite" legt sie nun ihre Ergebnisse aus einer einjährigen Recherche an den verschiedensten deutschen Eliteeinrichtungen vor. Im Gegensatz zum Eliteforscher Hartmann verfolgt Friedrich jedoch keinen wissenschaftlichen Ansatz. Die Stärke ihres Textes liegt darin, dass sie den Leser mitnimmt auf ihre Reise an die Kaderschmieden des Landes.

Sie berichtet unter anderem von einem Kindergärten, wo selbst die Kleinsten schon fit gemacht werden für den "Markt", von privaten Internaten, die ausschließlich Reichen vorbehalten sind und von der privaten European Business School, wo ebenfalls der Geldbeutel der Erzeuger entscheidend für den Zugang zu diesem Bildungsangebot ist.

Wer im Deutschland des 21. Jahrhunderts in der Wirtschaft Karriere machen will, der sollte also in erster Linie über das nötige Kleingeld verfügen. Damit bekommt man nicht nur eine bessere Bildung geboten, man wird auch von den Sorgen der Normalbevölkerung verschont und kann ungestört Seilschaften bilden. Leistungsbereit muss man allerdings schon sein, wer weniger als 70 Stunden die Woche arbeitet, gilt schnell als "Minderleister".

Aber wer möchte schon zu einer Elite gehören, deren einziges Ziel offenbar darin besteht, Geld zu verdienen? Nach der Lektüre des Buches von Julia Friedrich hoffentlich niemand mehr.

Frank Welker

 

Michael Hartmann: "Eliten und Macht in Europa. Ein internationaler Vergleich." Frankfurt: Campus, 2007, 268 Seiten. ISBN-13: 978-3593384344. EUR 19,90.

Julia Friedrich: "Gestatten: Elite. Auf den Spuren der Mächtigen von morgen." Hamburg: Hoffmann und Campe, 2008, 255 Seiten. ISBN-13: 978-3455500516. EUR 17,95.