Habermas und die Religion

(hpd) Die „Rückkehr der Religionen" (Martin Riesebrodt) macht mitunter auch vor säkularen Denkern nicht halt. Zu ihnen gehört

der Sozialphilosoph Jürgen Habermas, der seit seiner Friedenspreisrede von 2001 verstärkt für ein konstruktives Miteinander von Glauben und Vernunft eintritt. Aufsehen erregte auch seine drei Jahre spätere Diskussion mit dem damaligen Kardinal Joseph Ratzinger über die vorpolitischen Grundlagen des demokratischen Rechtsstaates. In seiner Aufsatzsammlung „Zwischen Naturalismus und Religion" von 2005 hatte Habermas zuletzt für die Akzeptanz von Religionen als Sinnressource der Demokratie plädiert. Als Reaktion auf eine heftige Kritik des italienischen Philosophen Paolo Flores D'Arcais (Die Zeit, Nr. 48/2007, S. 53) bekannte Habermas zwar, er sei alt, aber nicht fromm geworden. Gleichwohl forderte der Philosoph, die demokratische Öffentlichkeit müsse auch für religiöse Beiträge offen bleiben und dürfe sich nicht von diesen Ressourcen der Identitäts- und Sinnstiftung abschneiden (vgl.: Die Zeit, Nr. 49/2007, S. 68).

Im Februar 2007 nahm Habermas an einer Podiumsdiskussion mit Vertretern der Hochschule für Philosophie der Jesuiten in München teil. Nun liegen die überarbeiteten Referate in einem Sammelband vor, welcher von Michael Reder und Josef Schmidt unter dem Titel „Ein Bewusstsein von dem, was fehlt. Eine Diskussion mit Jürgen Habermas" herausgegeben wurde. Darin findet sich zunächst eine Einführung zu Habermas' Verhältnis zur Religion von dem instrumentellen Verständnis auf dem Weg zur demokratisch verfassten Gesellschaft bis zur wohlwollenden Verhältnisbestimmung von Glaube und Vernunft im öffentlichen Diskurs. Dem folgt der Grundsatzbeitrag des Philosophen unter der Überschrift „Ein Bewusstsein von dem, was fehlt". Im Anschluss daran finden sich Kommentare von Norbert Brieskorn SJ, Friedo Ricken SJ und der beiden Herausgeber sowie eine Replik von Habermas auf diese Statements. Für die Mitarbeiter der Hochschule der Jesuiten führt seine Würdigung der Religion zu deren wichtiger Anerkennung im öffentlichen Dialog.

 

Habermas' Grundposition findet sich in folgendem Zitat: „Die religiöse Seite muss die Autorität der ‚natürlichen' Vernunft als die fehlbaren Ergebnisse der institutionalisierten Wissenschaften und die Grundsätze eines universalistischen Egalitarismus in Recht und Moral anerkennen. Umgekehrt darf sich die säkulare Vernunft nicht zum Richter über Glaubenswahrheiten aufwerfen, auch wenn sie im Ergebnis nur das, was sie in ihre eigenen, im Prinzip allgemein zugänglichen Diskurse übersetzen kann, als vernünftig akzeptiert" (S. 27). Weiter heißt es: „Gleichwohl verfehlt die praktische Vernunft ihre eigene Bestimmung, wenn sie nicht mehr die Kraft hat, in profanen Gemütern ein Bewusstsein für die weltweit verletzte Solidarität, ein Bewusstsein von dem was fehlt, von dem, was zum Himmel schreit zu wecken und wachzuhalten" (S. 30f.). Damit spielt Habermas erneut auf seine These von der möglichen Sinnressource der Religionen für die Ausgestaltung einer am öffentlichen Vernunftgebrauch orientierten deliberativen Demokratie an.

 

Da der Philosoph als einer der einflussreichsten Denker der Republik gilt, verdienen auch seine Auffassungen zur gesellschaftlichen Bedeutung des Glaubens Beachtung. Gleichwohl bedarf es auch aus mehreren Gründen einer kritischen Kommentierung: Es mag ja sein, dass Gehalte der religiösen Tradition konstruktive Potentiale für die politische Kommunikation im öffentlichen Raum enthalten, nur dann sollte man sie doch zumindest exemplarisch benennen. In der Bibel findet man das Gebot zur Verallgemeinerung von ethischen Handlungsmaximen (Matthäus 7,12), im Koran ein Plädoyer für einen Religionspluralismus (Sure 109,6). Derartige Auffassungen wurden aber schon in der griechischen Antike säkular begründet. Es bedarf daher für die Einforderung damit verbundener Normen und Regeln keiner religiösen Begründung. Ganz im Gegenteil, kann eine solche in einer multireligiösen Gesellschaft eine desintegrierende und konfliktreiche Wirkung haben. Darüber hinaus würden sich Anders- und Nichtgläubige keineswegs zwingend von solchen Vorgaben angesprochen fühlen.

Habermas geht in seinem Beitrag „Ein Bewusstsein von dem, was fehlt" weiterhin von der weltanschaulichen Neutralität des demokratischen Verfassungsstaates in Handlungen und Struktur aus. Und an anderer Stelle (vgl. Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 12/2007, S. 1444f.) sprach er davon, dass mögliche Wahrheitsgehalte religiöser Beiträge nur dann in verbindliche Entscheidungen der Politik einfließen dürften, wenn sie zuvor in eine allgemein zugängliche und damit säkulare Argumentation übersetzt werden würden. Warum sich dann aber zuvor die gemeinten Sinngehalte religiös artikulieren müssten und danach weltlich übersetzt werden sollten, bleibt in der Habermasschen Argumentationskette unklar. Darüber hinaus verkennt der Philosoph die Religionen eigenen Absolutheitsansprüche, welche in einer offenen Gesellschaft im politischen Raum Gefahren für den Pluralismus bergen. Die Inanspruchnahme der Vernunft für den Katholizismus durch Papst Benedikt XVI. steht dafür ebenso wie seine Polemik gegen die angebliche „Diktatur des Relativismus".

Armin Pfahl-Traughber

 

Michael Reder/Josef Schmidt (Hrsg.), Ein Bewusstsein von dem, was fehlt. Eine Diskussion mit Jürgen Habermas, Frankfurt/M. 2008 (Suhrkamp-Verlag), 111 S., 8 €. ISBN-13: 978-3518125373