Christen und Muslime in Nahost

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Historiker Prof. Dr. Bernard Heyberger / Foto: Exzellenzcluster „Religion und Politik“

MÜNSTER. (hpd/exc) Als Christen und Muslime in Nahost noch ihre Kultur teilten, war das Hauptthema des Historikers Bernhard Heyberger, der über Religionen im Vorderen Orient vom Mittelalter bis heute referierte. Erst im 18. Jahrhundert trennten christliche Missionare diese kulturelle Nähe.

Christen und Muslime im Nahen Osten haben Historikern zufolge über Jahrhunderte überraschend ähnliche Bräuche und Rituale gepflegt. „Christen aßen kein Schweinefleisch und Muslime färbten in der Karwoche Eier. Anhänger der verschiedenen Religionen verehrten zuweilen dieselben Heiligen, besuchten dieselben Wallfahrtsorte oder folgten denselben Hochzeits- und Trauerritualen“, sagte der französische Historiker Prof. Dr. Bernard Heyberger am Dienstagabend in Münster. Erst in der Neuzeit hätten die orientalischen Christen ein konfessionelles Bewusstsein entwickelt und sich von den Muslimen abgegrenzt.

„Die konfessionelle Abgrenzung der orientalischen Christen begann im 18. Jahrhundert unter dem Einfluss von Missionaren, die sich am abendländischen Christentum orientierten, und nahm mit der Bildung der Nationalstaaten im Vorderen Orient im 20. Jahrhundert zu“, erläuterte der Direktor des „Institut d'études de l'Islam et des sociétés du monde musulman“ in Paris. „Nationalstaaten gerieten in Konkurrenz und bekämpften ethnische, konfessionelle und sprachliche Vielfalt – bis hin zu Völkermorden und ethnischen Reinigungen.“

Heute herrsche für Christen im Nahen Osten große Unsicherheit, unterstrich der Experte. Ihre Zahl sei im 20. Jahrhundert fast überall zurückgegangen, weil sie Regionen wie den Libanon, die Osttürkei und den Irak verlassen hätten. „Und während wir hier darüber sprechen, spielt sich in Syrien ein grausamer Bürgerkrieg ab.“ Doch die Geschichte des Christentums im Nahen Osten sei nicht beendet. „Nach Saudi-Arabien zum Beispiel sind eine Million Christen etwa aus Indien oder von den Philippinen eingewandert.“ Außerdem seien überall in der Region materielle Zeugnisse wie Kirchen und Klöster erhalten. „Staat und Bürger müssen entscheiden, wie sie damit umgehen.“

Orientalische Christen keine Opfer muslimischer Unterdrückung

Orientalische Christen könnten angesichts dieser historischen Entwicklung nicht allein als Opfer muslimischer Unterdrückung betrachtet werden, so der Wissenschaftler. Das greife für viele Epochen zu kurz. „Die Christen teilten über Jahrhunderte mit ihren jüdischen und muslimischen Nachbarn Kultur und Weltanschauung.“ Im Mittelalter etwa hätten sie in neutralen Räumen dieselben Anstandsregeln, Sitten und ethischen Grundsätze befolgt. „Der christliche Glaube wurde vor allem in äußeren Handlungen gelebt. Kennzeichen waren die Liturgie und das Fasten.“ Die individuelle Beichte hingegen sei im Orient nicht üblich gewesen.

„Christliche Glaubensgrundsätze blieben damals im Orient verschwommen und beschränkten sich auf das Auswendiglernen“, sagte Prof. Heyberger. Hochzeiten und Trauerfeiern seien nach orientalischer Sitte begangen worden. „Als die christlichen Behörden aus Damaskus Ende des 18. Jahrhunderts die Hochzeitsfeiern im christlichen Sinne reformieren wollten, wendete sich ein Teil der Christen an muslimische Richter, die die Reformen im Namen der Tradition verurteilten.“

Zwar seien christliche und jüdische Untertanen, die „Dhimmi“, in islamischen Reichen des Mittelalters Diskriminierungen wie Kopfsteuer, Kleiderbestimmungen und Einschränkungen im Ehe- und Erbrecht ausgesetzt gewesen, führte der Forscher aus. „Doch sie gehörten vollständig zur Gesellschaft und waren rechtlich nicht schlechter gestellt.“ Ein Christ konnte demnach wie jeder Angehörige des muslimischen Staates, des „Dar al-Islam“, Eigentum besitzen, Geschäfte machen und einen Vertrag vor dem Cadi, dem islamischen Richter, abschließen.

ska/vvm