Weltanschauungsgemeinschaften

(hpd) Christine Mertesdorfs juristische Dissertation, die in der Reihe »Schriften zum Staatskirchenrecht. Herausgegeben von Campenhausen,

Link und Winter« erschienen ist, füllt eine in diesem Bereich bestehende Lücke, nämlich die ausreichende Berücksichtigung der rechtlichen Lage der nichtreligiösen Weltanschauungen.

Die Autorin gibt zuerst einen historischen Überblick zur verfassungsrechtlichen Stellung der Weltanschauungsgemeinschaften. Dieser beginnt mit der Liberalisierung und Pluralisierung der weltlichen und religiösen Lebensentwürfe von etwa 1800 und erstreckt sich über die erste verfassungsrechtliche Verankerung der positiven und negativen Religionsfreiheit in der Weimarer Rechtsverfassung bis heute. Danach nimmt die Autorin eine Analyse des Begriffs der Weltanschauung vor. Sie geht dabei, wie auch im Folgenden, so vor, dass sie zunächst die vorhandenen Positionen ausführlich darstellt und dann in einer kritischen Zusammenfassung eine eigene Position begründet. Zusammengefasst versteht die Autorin unter Weltanschauung eine auf Dauer angelegte Gemeinschaft mit einem weltanschaulichen Konsens, der nach außen bezeugt wird (S. 243). Die Abgrenzung zur Religion, die sie als etwas wesentlich anderes sieht (S. 88), bestehe darin, dass die Welterklärung immanent und nicht transzendent sei (S. 243).
Die Autorin gibt einen umfassenden Überblick über alle Gemeinschaften, die im weitesten Sinne unter diese Definition fallen könnten, und prüft diese auf ihren Charakter als Weltanschauungsgemeinschaften. Die untersuchten Gruppen reichen von der Anthroposophie über den Atheismus, die Europäische Arbeiterpartei, die FKK-Bewegung, die Heilsarmee, den theoretischen Marxismus, New Age, den Satanismus bis zum Zentrum für experimentelle Gesellschaftsgestaltung. Auch Geschichte und aktuelle Tätigkeitsfelder der Freidenkerbewegung und der humanistischen Gemeinschaften werden ausführlich besprochen.

Danach untersucht die Autorin das rechtliche Verhältnis von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, insbesondere die Frage ihrer rechtlichen Gleichstellung und gleicher Rechte zunächst für das Grundgesetz und dann für die einzelnen Länderverfassungen. Dabei spricht sie unter anderem den Weltanschauungsgemeinschaften sowohl aus dem Grundgesetz wie auch aus den Länderverfassungen ein Recht auf Erteilung resp. Durchführung eines weltanschaulichen Unterrichts (S. 521) und auch das Recht zur Anstaltsseelsorge (S. 552) zu.

Das Buch ist ein sehr nützliches Nachschlagewerk. Es gibt einen umfassenden Überblick über die heute vorhandenen Weltanschauungsgemeinschaften und über die rechtliche Diskussion zu dem Verhältnis von Weltanschauungsgemeinschaften und Religionen. Die Autorin tritt für eine völlige Gleichstellung der Religionen und Weltanschauungsgemeinschaften ein. Etwas anderes kann in einer liberalen Gesellschaft wie der unseren wohl auch nicht mehr sinnvoll vertreten werden. Dies sieht auch die Autorin so. Aufgrund der sozialen Entwicklung sei auch eine »Öffnung der wörtlich auf Kirchen und Religionsgemeinschaften bzw. religiöse Momente beschränkten Gewährleistungen auch für Weltanschauungsgemeinschaften und weltanschauliche Momente« erforderlich (S. 499).

Thomas Heinrichs

Christine Mertesdorf, Weltanschauungsgemeinschaften. Eine verfassungsrechtliche Betrachtung mit Darstellung einzelner Gemeinschaften, Frankfurt/M. 2008 (Peter Lang), Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 800 Seiten, 101,20 €, ISBN 978-3-631-57576-5