Die Paralleluniversen von Bobostan

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Fotos: © Christoph Baumgarten

WIEN. (hpd Die alternativen Milieus der Mittelschicht haben sich eine eigene Konsuminfrastruktur geschaffen. Unter emotional aufgeladenen Schlagworten wie “Nachhaltigkeit” und “Natur” gedeihen vom Bioladen bis zur Alternativ“medizin” ganze Branchen. Im Windschatten breiten sich esoterische Angebote aus. Ein Lokalaugenschein aus Wien.

 

Sitarklänge dringen durch die Tür des kleinen Esoterikladens in der Wiener Raimundpassage im sechsten Gemeindebezirk. In dem engen Hof riecht es nach den Räucherstäbchen, die im Inneren abgebrannt werden.

“Om Namo Narayan” heißt das Geschäft. Eine unter indischen Yogis beliebte Grußformel. Die hinduistische Komponente darf nicht allzu eng gesehen werden. Der Laden, bestehend aus einem Verkaufsraum, bietet das branchenübliche beliebige Sammelsurium an Versatzstücken verschiedenster Religionen, Kulturen und Traditionen.

Eine bunte Mischung

Hier stehen Engelsfiguren, Teemischungen, Elefanten, Fotos von Yogis und Lamas hängen an der Wand. Irgendwo ein Engelspray, dazwischen Tarot- und Heilkarten und Lebensratgeber verschiedenster Art. Diverse Halbedelsteine dürfen nicht fehlen. Ein Buch von Colin C. Tipping mit dem Titel “Ich vergebe” verspricht im Untertitel den “radikalen Abschied vom Opferdasein”.

Aushangkasten des Esoterikladens Om Namo Narayan
Aushangkasten des
Esoterikladens Om Namo Narayan

Auf dem Verkaufstresen ein Titel von Paolo Coelho und die Autobiografie des Dalai Lama. Ein bisschen Feng Shui und die Kryons gibt’s zum Drüberstreuen. Nur die in diesen Kreisen durchaus nicht unübliche rechtsradikale Literatur scheint es hier nicht zu geben. Zumindest springt nichts einschlägiges ins Auge.

“Was mir in Esoterikläden immer sofort auffällt, ist diese multisensorische Überladung” betont der Esoterikexperte Johannes Fischler. “Engel, Elfen, Buddhas, Einhörner … alles duftet, alles glitzert, alles blinkt – man könnte fast meinem man stünde am Christkindlmarkt. Die Marketinfachleute nennen das Multisensual Enhancement.”

Ziel sei es, “den Kunden zu berauschen, das Instinkthafte zu wecken und so seine Konsumfreude anzuregen. Die gleiche Strategie verfolgt man in Spielcasinos. Nicht umsonst spricht man vom sogenannten Las-Vegas-Prinzip. Nur dort geht es um den Jackpot, hier um Erleuchtung. Dabei zählt immer meine Opferbereitschaft, mein Investment.”

Die dunkle Seite der Esoterik

“Diese kunterbunte und liebliche Ästhetik kann auch täuschen”, sagt der Autor des Buches New Cage – Esoterik 2.0. “Blättert man in einschlägigen esoterischen Fibeln, so stößt man schnell auf Begriffe wie Atlantis, Lemurien, Aufgestiegene Meister oder auch die auf die sogenannte Große Weisse Bruderschaft – allesamt Termini aus der Wurzelrassenlehre von Helena Blavatsky.”

Blavatsky gilt als Begründerin der modernen Esoterik im Westen. So machte sie den Karma-Begriff außerhalb des buddhistischen Raumes populär. Auf Blavatsky gehen direkt und indirekt zahlreiche esoterische Strömungen zurück, wie die Theosophie, die Anthroposophie und teilweise auch die Ariosophie. Blavatsky hat bereits im 19. Jahrhundert die weiße “Arische” Wurzelrasse als rein und überlegen dargestellt. Juden seien ein “abnormes und widernatürliches” Bindeglied zwischen zwei “Wurzelrassen”.

Ein paar Schritte von der Raimundpassage entfernt findet sich eine Apotheke, die Engelsprays im Angebot hat. “Achtet man hier ein wenig auf die Etiketten, so sprüht sich der Bobo von heute oft unwissend eben genau wieder diese Weisse Bruderschaft in die Aura - Rassenideoligie im schicken Viloettglasflacon. Kuschelweich aber knallhart”, sagt Fischler. Bewusst verwendet der Psychologe hier den Begriff “Hard Core Esoterik”.

Kritische Journalisten unerwünscht

Der Besitzer des Eso-Ladens in der Passage, ein untersetzter Mann um die 50, fädelt Plastikperlen auf einen Armreif. Kundschaft scheint heute rar zu sein. Nein, Zeit für ein Gespräch mit einem Journalisten habe er gerade nicht, sagt er.

Er nennt sich heute Sagarpuri und hat eine vielversprechende Juristenkarriere aufgegeben. Seit zehn Jahren ist der gebürtige Oberösterreicher hauptberuflicher Esoteriker und führt mit seiner Frau den kleinen Laden. Sein Dasein im esoterischen Paralleluniversum hat ihn offenkundig wenig zugänglich für einen neutralen Blick gemacht. Als er erfährt, dass die Reportage auf dem hpd erscheinen soll, macht er zu und komplimentiert mich mehr oder weniger deutlich hinaus.

Für ein Interview mit einem kritischen Medium “steckt zu viel Herzblut drin”. Sagarpuri erwartet sich Jubelberichterstattung, macht er im Gespräch klar. “Wir geben gern unser Wissen und Know How weiter. Aber Berichte aus kritischer Distanz, da hab ich kein Interesse.”

Eine Nebenbemerkung legt den Schluss nahe, dass er in irgendeiner Form schon Bekanntschaft mit Sektenbeauftragten der katholischen und der evangelischen Kirche geschlossen hat. Ich verlasse den Laden wie gewünscht.

“Viel Feind, viel Ehr”

Szeneübliches Verhalten, das Johannes Fischler nicht verwundert. “Schließlich gilt im Esoterischen ein jeder, der hier nicht Part of the Game ist, als jemand in der sogenannten ‘alten Energie’, jemand der eben noch nicht ‘weit genug’ sei. Diskussionen mit Therapie-Resistenten werden deshalb gemieden, schließlich zögen diese den eigenen spirituellen Energielevel herunter. In vielen esoterischen Lehrbüchern werden Kritiker auch gerne zu sogenannten energetischen Blutsaugern oder Energievampiren stilisiert. In der Fachsprache nennt man das auch Disconnect Policy, eine Taktik, wie wir sie normalerweise nur von Scientology oder ähnlichen Kulten kennen.” Die dahinterstehende Logik folgt laut Fischler einem einfachen Prinzip: “Viel Feind, viel Ehr”.