Die Paralleluniversen von Bobostan

Hochburg des esoterikaffinen Milieus

“Sagarpuri” hätte sich einen schlechteren Ort aussuchen können. Nicht nur liegt das Geschäft direkt neben der Mariahilferstraße, der Shoppingmeile schlechthin in Österreich. Der sechste und der siebte Bezirk, durch die diese Straße verläuft, sind auch die Hochburgen des alternativen bürgerlichen Milieus, das seit Jahren den Esoterik-Boom speist.

In kaum einer anderen Gegend Österreichs finden sich so viele Akademiker wie hier. Die Durchschnittseinkommen sind entsprechend hoch. Zahlreiche Foto- und Werbeagenturen sind hier angesiedelt, ebenso Architekten. Auch die Grünen haben unweit von hier ihre Bundeszentrale. Nirgendwo finden sie so viele Wähler wie hier.

Nur wenige Häuser von der grünen Zentrale entfernt der Esoterikshop “Energethiker Wien”, nach Eigendefinition ein “spirituelles Kaufhaus”. Das Glück, das es hier zu kaufen gibt, wird auch online angeboten. Man schöpft aus ähnlichen Reservoirs.

Hier gedeihen Privatschulen. Von den elf Volksschulen des sechsten und siebten Bezirks gehören nicht weniger als fünf privaten Betreibern. Vom Montessori-Schulverein bis zur Erzdiözese Wien. Private Kindergärten gibt es sonder Zahl. Die Mittelschicht kapselt sich ab.

“Gebildete können Irrationales besser rationalisieren”

Raimundpassage im sechsten Wiener Gemeindebezirk
Raimundpassage im
sechsten Wiener Gemeindebezirk

Dass gebildete Schichten besonders empfänglich für Esoterisierung sind, ist für Autor Johannes Fischler nur auf den ersten Blick ein Widerspruch. “Gerade intelligente, sich skeptisch einschätzende Menschen sind oftmals die besseren Gläubigen. Haben sie sich erstmal ein Stück weit auf eine glitzernde Scheinwelt eingelassen, so verfügen sie oftmals über ein enormes intellektuelles Repertoire, ihr eigenes Handeln vor anderen und vor allem vor sich selbst zu rechtfertigen. Sie können also ihren eigenen Irrationalismus besser rationalisieren. Außerdem sind sie selbst wohl die letzten, welche sich selbst ihren Irrglauben eingestehen würden. Zudem triggern esoterische Lehren vor allem auch unseren Narzissmus. Und gerade in dieser Hinsicht wird auch die Mittelschicht immer anfälliger.”

Alternativ-Cluster Raimundpassage

Rund um den Laden “Om Namo Narayan” in der engen Raimundpassage hat sich beinahe ein Cluster für das alternative Bürgertum gebildet. Hier finden sich auch zwei alternative Kosmetikinstitute, die mit “natürlicher” Behandlung werben. Worunter ihrer Meinung auch die eine oder andere esoterische Variante zu verstehen ist.

Ein vegetarisches Restaurant rundet die Idylle für das Milieu ab. Als Draufgabe gibt’s seit kurzem ein Tee-Fachgeschäft. Das ist in Wien relativ selten.

Direkt neben dem Eso-Laden ein Woll- und Strickgeschäft im modernen Bioschick. Die Rückkehr der alternativen Bürgersfrau ins Biedermeier inszeniert sich als Avantgarde der Kreativität und des Umweltbewusstseins. Ostentative Konsumverweigerung gibt’s hier zu kaufen.

“Man erkauft sich das gute Gewissen”

“Verstanden sich derartige Bewegungen früher noch als Gegenmodell zu Kapitalismus und Moderne, so entpuppen sie sich heutzutage geradezu als Inbegriff von Ablasshandel und Konsumzwang”, erklärt Fischler. “Im Dienste der Nachhaltigkeit erwirbt man teure Bio- oder Fairtrade-Produkte und erkauft sich via Lifestyleshopping ein gutes Gewissen. Esoterische Konsumenten hingegen wollen mithilfe von spirituellen Ausbildungen und magischen Artikeln die Welt transformieren. Sie überfrachten ihr Dasein mit so etwas wie einen höheren Auftrag. In meinem Buch nenne ich das Mindstyle-Shopping.”

Die Involvierten würden sich mit der eigenen fortwährenden Konsumation der eigenen Gläubigkeit versichern. “So nach dem Motto, ‘mein eigenes wiederholtes Geldopfer beweist mir doch den Ruf meiner innersten Herzensebene’”, schildert der Psychologe. Konsumismus und Gläubigkeit würden hier Hand in Hand gehen. “Das ist eben Esoterik 2.0”.

Außergewöhnliche Dichte an Angeboten

Im Umkreis von vielleicht zweihundert Metern eine Ärztegesellschaft für Akupunktur und ein Arzt, der “Quantenmedizin” anbietet. Für Fischler die neueste Spielart esoterischer Weltverzauberung. Nur diesmal seien es eher die technikaffineren Männer die hier angesprochen werden sollen: “Irrationalismus in rationalem Gewand”.

In dieser Dichte findet man das sogar in den bürgerlichen Bezirken Wiens innerhalb des Gürtels praktisch nicht. Wiewohl ein Blick ins Telefonbuch zeigt, dass Esoterikläden- und verlage hier wesentlich häufiger sind als sonstwo. In den proletarischeren Bezirken sind sie rare Ausnahmen. Lediglich im 21. und 22. Bezirk findet sich wieder eine Häufung einschlägiger Angebote, meist entlang der Ausfallstraßen. Hier wird offenbar der Speckgürtel mitbedient.

Ich werde fotografiert

Kritischen Nachfragen gegenüber zeigt sich das esoterische Milieu wenig offen. Als ich den Schaukasten des Esoterikladens am Eingang der Raimundpassage fotografiere, steht der Ladenbesitzer plötzlich neben mir und macht mit seinem Handy ein Foto von mir. Zu Recherchezwecken, wie er sagt. Ein schönes Bild sei es geworden.

Scientology und andere Sekten fotografieren Menschen gerne, die sie als Gegner ausmachen. Rechtsradikale ebenso. Sie verwenden das Fotografieren als bewusste Einschüchterung. Mag sein, dass “Sagarpuri” das so nicht gemeint hat. Andererseits hat sein Lächeln nicht wirklich freundlich gewirkt.

Christoph Baumgarten

Weitere Reportagen und Kommentare des Autors zum Thema Esoterik hier:
http://hpd.de/node/15674
http://hpd.de/node/16330
http://hpd.de/node/12004
http://hpd.de/node/17759
http://hpd.de/node/16907