Zur Fusion der Flensburger Kliniken und ihren verhängnisvollen Folgen für das Recht auf Abtreibung

Wenn der Papst über Frauen entscheidet

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Flensburg
Flensburg

Das katholische Malteser Krankenhaus St. Franziskus-Hospital in Flensburg und das Evangelische Diakonissenkrankenhaus (DIAKO) schließen sich aus wirtschaftlichen Gründen – getrieben von einem gewinnorientiert ausgerichteten Krankenhaussystem – unter dem Namen "Fördeklinikum Katharinen-Hospital" zusammen. Der Neubau am Standort Peelwatt soll 2030 bezogen werden. Was nach Modernisierung und Effizienz klingt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als folgenschwerer Rückschritt – moralisch, sozial und rechtlich. Denn unter der harmlosen Überschrift "ökumenische Fusion" vollzieht sich ein Schritt, der tief in das Selbstbestimmungsrecht von Frauen eingreift: Im neuen Zentralklinikum sollen keine Schwangerschaftsabbrüche mehr vorgenommen werden.

Bundesweit werden Krankenhäuser von säkularen oder konfessionellen, von sogenannten Freien Trägern geführt. In Flensburg fusionieren derzeit zwei kirchliche Träger, ein evangelisches und ein katholisches Krankenhaus. "Eine ökumenische Fusion zweier christlicher Krankenhäuser für eine moderne Gesundheitsversorgung im Norden Schleswig-Holsteins ist beispielhaft und zukunftsweisend", lobt Geschäftsführer Thorsten Stolpe auf der Homepage des neuen Klinikums. Doch das "Zukunftsweisende" liegt im Argen: Die katholischen Malteser haben durchgesetzt, dass Abtreibungen künftig generell ausgeschlossen werden sollen. Schon jetzt werden legale Schwangerschaftsabbrüche in beiden Kliniken schrittweise eingestellt – lange bevor der Neubau überhaupt eröffnet ist. Die Empörung in Flensburg ist entsprechend groß. Der Südschleswigsche Wählerverband (SSW), SPD und verschiedene feministische Gruppen warnen vor einem drohenden Versorgungsengpass für ungewollt Schwangere. Sie fordern von der Landesregierung, Alternativen zu schaffen und ambulante Angebote auszubauen.

Der Fall ist vergleichbar mit dem bundesweit in die Schlagzeilen geratenen Fall des Klinikums Lippstadt, gegen das sich der Chefarzt Joachim Volz vor den Arbeitsgerichten wehrt. Auch Volz werden nach einer Krankenhausfusion Schwangerschaftsabbrüche verboten. Der hpd hat darüber berichtet

Die evangelische Diakonie Schleswig-Holstein ist ein riesiger Sozialkonzern mit über 30.000 Beschäftigten. Die katholischen Malteser wirken daneben beinahe klein. Sie unterhalten in Deutschland nur zwei Krankenhäuser: in Erlangen und in Flensburg. Trotzdem setzen sie sich ideologisch durch. Nach ihrer katholischen Lehre gilt Abtreibung als Mord, Ausnahmen sind nur erlaubt, wenn das Leben der Frau unmittelbar bedroht ist. Papst Franziskus hat diese Position mehrfach bekräftigt und Ärztinnen und Ärzte, die Abbrüche vornehmen, als "Auftragsmörder" bezeichnet.

Dabei ist diese Haltung keineswegs so alt, wie sie gerne dargestellt wird. Erst 1869 erklärte Papst Pius IX. den Embryo ab dem Moment der Befruchtung für "beseelt". Davor galt ein Abbruch in den ersten drei Monaten durchaus als hinnehmbar, weil nach ihrer Lehre die lebendige Seele des Menschen erst nach 40, bzw. nach 80 Tagen vorhanden war. Das kam von einem Papst, der sich dann 1871 selbst für unfehlbar erklärte und wirkt bis heute in die Rechts- und Gesundheitspolitik hinein.

Die Evangelische Kirche verspielt ihre Glaubwürdigkeit

Die evangelische Ethik erkennt hingegen das Selbstbestimmungsrecht der Frau an. Deshalb sind für sie Schwangerschaftsabbrüche nach geltendem Recht möglich. Umso unverständlicher, dass die evangelische Kirche in Flensburg "ohne Not" die katholische Doktrin übernimmt. Die evangelische Bischöfin für den landeskirchlichen Bezirk, Nora Steen Schleswig – sie ist zugleich Aufsichtsratsvorsitzende der Diakonie in Schleswig-Holstein – erklärte dazu im Flensburger Tageblatt, sie bedauere zwar die katholische Haltung, wolle aber im "ökumenischen Geist" mit der Katholischen Kirche weiter im Gespräch bleiben. Die Evangelische Kirche hat damit ein massives Glaubwürdigkeitsproblem auch gegenüber ihren eigenen Mitgliedern.

Der Sozialethiker Professor Hartmut Kreß von der Universität Bonn weist darauf hin, dass kirchliche Fusionsentscheidungen nicht einfach an kirchlichem Arbeitsrecht vorbeigeschleust werden dürfen. Wenn einzelne evangelische Einrichtungen die Grundsätze ihrer Kirche aufgeben, um katholische Dogmen zu übernehmen, müsse geprüft werden, ob das überhaupt rechtmäßig sei. Denn das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Grundsatzentscheidung 1993 zum § 218 StGB vorgeschrieben, dass einzelne konfessionelle Einrichtungen, wie z.B. Krankenhäuser, nicht von sich aus Pflichten vorschreiben dürften. Sie müssen von der jeweiligen verfassten Kirche, also ihrer Synode, festgelegt werden.

Auch die Verfassungsrechtlerin Prof. Mangold, Professorin für Europarecht an der Europauniversität in Flensburg, vertritt hier eine klare Position: "Es gibt kein kollektives religiöses Weigerungsrecht." Das Grundgesetz schützt zwar die Gewissensfreiheit des Einzelnen, nicht aber das Dogma einer Institution. Ein Krankenhaus darf seine Ärztinnen und Ärzte nicht zwingen, sich an die moralischen Vorstellungen einer Religion zu halten, die nicht die ihrige ist. Schon gar nicht, wenn es sich – wie in Flensburg – um eine gemischt-konfessionelle Trägergesellschaft handelt.

Eine solche Klinik kann sich schlicht nicht auf eine gemeinsame Glaubenslehre berufen. Theologisch gesehen gibt es nun mal eine katholische und eine evangelische Dogmatik – aber keine gemeinsame "ökumenische Lehre", die Schwangerschaftsabbrüche verbietet. Bei dieser Thematik stehen sich die katholische und evangelische Position diametral gegenüber. Wenn sich in einer Fusion die restriktivere Seite durchsetzt, verliert die andere ihre religiöse und ethische Identität – und das Grundrecht auf individuelle Gewissensfreiheit wird kollektiv abgeschafft.

Gegen die Verfassung und sozial verheerend

Das Bundesverfassungsgericht hat 1993 klar entschieden: Die Bundesländer müssen eine flächendeckende Versorgung mit Einrichtungen für Schwangerschaftsabbrüche sicherstellen (BVerfGE 88, 203). Niemand soll dafür länger als einen Tag unterwegs sein müssen. Diese Regelung wurde in § 13, Absatz 2 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes (SchKG) übernommen. Doch in Schleswig-Holstein, 32 Jahre später, ist dieses Konzept noch immer nicht umgesetzt.

Schon heute gilt die Versorgungslage im Norden als prekär. Pro Familia berichtet, dass es im Land nur noch etwa 25 Stellen für operative Abbrüche gibt, laut Bundesärztekammer sogar nur zehn. Lange Anfahrtswege und Wartezeiten belasten Frauen zusätzlich. Noch kritischer ist zum Beispiel die Lage in Nordfriesland. Trotzdem beschwichtigt Gesundheitsministerin Kerstin von der Decken (CDU) und winkt ab: In Flensburg sei die Versorgung "stabil und zugänglich", sagte sie im Landtag, auch nach der Fusion. Der SSW bringt es auf den Punkt: "Schwangerschaftsabbrüche sind medizinische Grundversorgung. Wenn das neue Klinikum sie nicht anbietet, ist das Land in der Pflicht!"

Zwischen Dogma und Doppelmoral

Während die katholischen Malteser sich hartnäckig auf ihr angeblich "christliches Menschenbild" berufen, ist der praktische Effekt verheerend: Frauen, die sich für eine Abtreibung entschieden haben, können ihr Recht nicht wahrnehmen. "Seit Jahren windet sich der gottlose Ritterorden mit der Formulierung – nur bei Lebensgefahr der Schwangeren – aus der Verantwortung", sagt das feministische Netzwerk fem.aktion Flensburg. Der Antifeminismus der katholischen Kirche blockiere die seit 1997 bestehende legale Möglichkeit, in der DIAKO Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen. Die Stadtverwaltung versucht sich derweil in Zweckoptimismus, doch ihre Vorschläge bleiben halbherzig. Der Preis für diese Haltung wird von den Betroffenen gezahlt. Frauen werden künftig gezwungen sein, stundenlang durch Schleswig-Holstein zu fahren, um einen Eingriff vornehmen zu lassen, der legal ist, aber moralisch stigmatisiert wird.

Die Fusion des evangelischen und katholischen Krankenhauses in Flensburg ist kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt – ein Lehrstück darüber, wie ökonomische Zwänge, kirchliche Machtinteressen und politisches Lavieren zusammen wirken, um Grundrechte zu schleifen. Wenn religiöse Dogmen bestimmen dürfen, welche medizinischen Leistungen ein öffentlich finanziertes Krankenhaus anbietet, dann ist das kein Ausdruck von Glaubensfreiheit, sondern ein Angriff auf die Selbstbestimmung der Frauen und auf die Neutralität des Staates. Nicht der Papst – sondern das Grundgesetz – muss darüber entscheiden dürfen, welche medizinische Versorgung Frauen in Flensburg zusteht.

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