„Grundrechte im Schatten der Götter"

MÜNCHEN. (hpd) Im Anschluss an die interne Mitgliederversammlung des Internationalen Bundes des Konfessionslosen und Atheisten (IBKA e.V.) am vergangenen Samstag, fand am Sonntag eine offene Tagung zur Religionskritik statt, die mit „vorsichtigem Optimismus" ausklang.

 

Die offene Tagung stand unter Thema „Grundrechte im Schatten der Götter". Zunächst nahm Dr. Roland Seim („Zwischen Medienfreiheit und Zensureingriffen", „Ab 18") die Anwesenden mit auf einen schnellen Ritt durch die Geschichte der Zensur von Religionskritik oder sonst wie „religiös Anstoßendem" in der Bundesrepublik. Dabei reichte die Spannbreite von Karikaturen bis hin zu Madonnas Performance am Kreuz. Seine Ausführungen ergänze Seim mit umfangreichem Bildmaterial, so wurden auch Zensurfälle und -versuche vorgestellt, die heute weitgehend vergessen sind oder die heute keinerlei Anstoß mehr erregen würden. Aus den Beispielen wurde deutlich, dass der Zorn von Klerus und Politik sich weder an harscher Kritik noch an außerordentlicher Brutalität entzündete. Es war vielmehr die Profanisierung angeblich „heiliger" Bilder, etwa die an Da Vincis „Letztes Abendmahl" angelehnte Darstellung von 13 oberkörperfreien Frauen als Jeans-Werbung, welche den Zorn von Klerus und Medien weckte.

Emanzipatorische Religionskritik?

Daran schloss sich ein Vortrag von Gunnar Schedel (Alibri-Verlag) an, welcher die Geschichte der Religionskritik in Europa, von Epikur bis Dawkins, nachzeichnete. Dabei wurde klar, dass es durchaus anti-emanzipatorische „Religionskritik" gibt und gab, etwa die bloße Verteufelung anderer Religionen als der eigenen als „falsch" und die im Kern rassistische Ansicht, es gäbe eine genuin deutsche (heidnische) Religion und der „Volksglaube" müsse von den undeutschen Ansichten des Christentum gereinigt werden. Anti-emanzipatorisch sind diese „Kritiken" da sie erstens nur einzelne Aussagen kritisieren und nicht das System des Glaubens und damit im System unüberprüfbarer „Wahrheiten" verbleiben und weil sie andererseits nicht auf die individuelle Selbstbestimmung des Menschen abzielten.

Demgegenüber stellte Schedel die emanzipatorische Religionskritik, die einzige, die für ihn dieses Wort tatsächlich verdient hat. Sie ziele auf die Verbesserung der Lebensbedingungen im Diesseits und kritisiere das System des „Glaubens statt Wissens" im Kern. Als wesentliche Träger dieser Kritik in der Geschichte machte der Referent einerseits das liberale Bürgertum und andererseits die Arbeiterbewegung aus. Nachdem sich jedoch die Lebensbedingungen gebessert und die politischen Verhältnisse verändert hatten, ließen im 20. Jahrhundert zunächst die Liberalen und später auch die Arbeiterbewegung von grundsätzlicher Religionskritik ab, sodass sie heute keiner speziellen Gesellschaftlichen Schicht mehr zugeordnet werden kann. Besonders seit den 80er Jahren verschob sich die Kritik nach Meinung des Redners zunehmend in Richtung Kirchenkritik, das Thema „Trennung von Staat und Kirche" gewann an Bedeutung. Vor dem Hintergrund des weltweit erstarkenden religiösen Fundamentalismus zeige sich in jüngster Vergangenheit eine - auch in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommene - Rückkehr zur Kritik an den Grundpfeilern religiösen Glaubens, vor allem vorangetrieben durch die so genannten „Neuen Atheisten" in den USA (etwa Hitchens, Dawkins, Dennett, Harris).

Podiumsdiskussion mit „vorsichtigem Optimismus"

Nach einer kurzen Pause wurde die Runde mit einer Podiumsdiskussion fortgesetzt. Dabei stellten sich neben den beiden Referenten auch Dietmar Holzapfel (Verbot eines kritischen Wagens zum Christopher Street Day 2006), Wolfram P. Kastner (Polizeiliche Unterbindung einer Kunstaktion in der er als Papst verkleidet auf das noch heute gültige Reichskonkordat zwischen Hitler und dem Vatikan aufmerksam machen wollte), Ulrich Fuchs (Anwalt und Mitglied der Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union) sowie Roland Seim (Verleger) und Bernd Stromberger, der Komponist des "In Nomine Patris"-Musicals, zur Zeit in allen Gazetten der Landeshaupststadt, den Fragen des Publikums. Moderiert wurde die Diskussion wie auch der ganze Tag von Assunta Tammelleo (bfg München). Es wurden vom Publikum erstaunlich viele Aspekte angesprochen, so auch ein geplantes Zensur-Museum. Trotz aller Kritik, vor allem am unprofessionellen Verhalten der Polizei in vielen Fällen, wagten die Diskussionsteilnehmer am Ende einen „vorsichtigen Optimismus" hinsichtlich Religionskritik und dem Überleben von Kunstfreiheit und Demokratie zu äußern.

Am Ende bedankte sich Rudolf Ladwig im Namen des Veranstalters IBKA e.V. bei allen Teilnehmern, den Gastgebern (Dietmar Holzapfel und Sepp Sattler, Betreiber des Oberangertheaters) und insbesondere bei Assunta Tammelleo für die gelungene Organisation des gesamten Wochenendes. Beim anschließenden Buffet ergaben sich noch viele weiterführende Gespräche und die Planungen für weitere Veranstaltungen laufen gewiss.

Martin Hergert