Von Primaten und Philosophen

(hpd) Der bekannte Primatenforscher Frans de Waal geht in seinem neuen Buch „Primaten und Philosophen" mit Verweis auf seine Forschungen mit Bonobos und Schimpansen davon aus, dass moralische Verhaltensweisen wie Empathie und Rücksichtnahme bei Menschen wie Tieren als Vorteil im Evolutionsprozess aufkamen. Damit widerlegt er mit dieser besonderen Argumentation erneut die Auffassung, wonach der Mensch durch den gnadenlosen Vorgang der natürlichen Auslese selbst zu einem gnadenlosen Wesen geworden sei.

 

Wie kam es dazu, dass die Menschen eine Moral entwickelten? Waren dafür religiöse oder philosophische Vorgaben entscheidend? Oder kann entsprechendes Sozialverhalten auch als biologische Beigabe auf die Evolution des Menschen zurückgeführt werden? Sind wir von Natur aus eher bösartige und selbstsüchtige Wesen, was nur durch ein kulturelles Mäntelchen verdeckt wird? Oder entstand moralisches Verhalten auf natürliche Weise im Rahmen einer Anpassung in gruppenspezifischen Entwicklungsprozessen, welche Empathie, Fairness und Reziprozität aufkommen ließen? Die Antwort auf derartige Fragen ist von großer Bedeutung für das grundlegende Verständnis des Menschen als sozialem Wesen. Einen Beitrag zu der damit verbundenen Debatte liefert der Niederländer Frans de Waal, der als Professor für Primatenverhalten an der Emory University in Atlanta (USA) lehrt. Sein Buch „Primaten und Philosophen. Wie die Evolution die Moral hervorbrachte" enthält dazu einen komprimierten Beitrag, kritische Reaktionen darauf und eine ihnen folgende Antwort.

Ausgangspunkt für die Argumentation de Waals ist die Kritik an der „Fassadentheorie", welche den Menschen als egoistisches und unsoziales Wesen deutet und in der Moral lediglich eine gesellschaftlich und kulturell bedingte Umkleidung dieser Eigenschaften sieht. Gegen diese Auffassung argumentiert er aus der Perspektive einer evolutionären Ethik: Hierbei unternimmt der Autor aber keine Rückgriffe auf die Entwicklungsgeschichte der Menschheit, sondern bringt die Ergebnisse seiner Forschungen zum Sozialverhalten von Bonobos und Schimpansen in Stellung. Auch bei ihnen seien Dankbarkeit und Empathie, Gemeinschaftssinn und Gerechtigkeitsempfinden, Solidarität und Tröstung auszumachen. Daraus zieht de Waal den Schluss: „Die Evolution hat Spezies hervorgebracht, die genuin kooperativen Impulsen folgen" (S. 71). Letztendlich stelle gerade ein solches Verhalten einen Vorteil im Überlebenskampf dar. Es sei ein Irrtum, dass die natürliche Auslese als gnadenloser Vorgang nur gnadenlose Kreaturen hervorgingen könne.

Bilanzierend formuliert der Autor: „Wir halten nicht scheinheilig alle zum Narren, wenn wir uns moralisch verhalten, sondern treffen Entscheidungen, die aus sozialen Instinkten erfolgen, welche älter sind als unsere Spezies, auch wenn wir diese erweitern um die einzigartige menschliche Komplexität der leidenschaftslosen Sorge für andere und für die Gesellschaft als ganze" (S. 75). Und weiter heißt es zu den Gemeinsamkeiten im Sozialverhalten von Menschen und Tieren: „Würden wir unsere gemeinsame Grundlage mit den Primaten vernachlässigen und die evolutionären Wurzeln der menschlichen Moral bestreiten, wäre dies, als würden wir an die Spitze eines Turms gelangen, nur um dann zu verkünden, dass der Rest des Gebäudes belanglos sei, dass der wichtige Begriff des ‚Turms' seiner Spitze vorbehalten werden sollte. ... Sind Tiere moralisch? Schließen wir einfach, dass die Tiere mehrere Stockwerke im Turm der Moral belegen. Die Ablehnung selbst dieses moderaten Vorschlags kann nur zu einem verkümmerten Begriff von dem Gebäude als ganzem führen" (S. 200).

De Waals Beitrag ist aus den „Tanner-Lectures on Human Values" hervorgegangen. Darauf reagierten kritisch einige Philosophen wie Christine M. Korsgaard, Philip Kitcher oder Peter Singer, deren Stellungnahmen mit einer Antwort von de Waal ebenfalls in dem Band abgedruckt sind. Einzelne Differenzen bestehen hauptsächlich in der Deutung von Moral als Weiterentwicklung sozialer Instinkte, grundlegende Gemeinsamkeiten in der Akzeptanz der evolutionären Perspektive als Gegensatz zu der „Fasadentheorie". Somit enthält man bei der Lektüre des Bandes noch einen interessanten Einblick in die Debatte, welche bei Übereinstimmung in den Kernfragen doch um die besondere Interpretation de Waals geführt wurde. Kritische Einwände wären durchaus angebracht: So problematisiert der Hauptautor etwa den von ihm selbst eingeräumten Unterschied im Sozialverhalten von Menschen und Primaten nicht näher. Die Auseinandersetzung mit derartigen Detailaspekten schmälert aber nicht die Überzeugungskraft von Waals grundlegenden Erkenntnissen.

Armin Pfahl-Traugher

Frans de Waal, Primaten und Philosophen. Wie die Evolution die Moral hervorbrachte, München 2008 (Carl Hanser Verlag), 220 S., 19,90 €

 

Das Buch ist auch im denkladen erhältlich