Christen für gemeinsames Schulfach Ethik

BERLIN. (hpd) In den Diskussionen um „Pro Reli" und „Pro Ethik" in Berlin hat sich eine Gruppe von PfarrerInnen und TheologInnen zu Wort gemeldet, die den jetzigen Zustand in Berlin - gemeinsames Pflichtfach Ethik und individuelle Teilnahme am freiwilligen Religionsunterricht - erhalten wissen wollen.

Eine „Initiative Christen pro Ethik" hat sich heute Vormittag im Café Konzerthaus neben der Französischen Friedrichstadtkirche am Gendarmenmarkt der Presse und der Öffentlichkeit vorgestellt.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es handelt sich ausnahmslos um Christen, die zwar für die Einrichtung bzw. den Erhalt des gemeinsamen Pflichtfaches Ethik eintreten, aber sehr wohl auch den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen erhalten wissen wollen.

Zur Einleitung berichtete Pfarrer Stephan Frielinghaus von der benachbarten Französischen Friedrichstadtkirche über den massiven Aufwand und Druck, der seitens der Initiative „Pro Reli" und der Evangelischen Landeskirche auf die Kirchengemeinde mit Mails, Briefen, kartonweise Informationsmaterial, Aufrufen, Anrufen, etc. auf die Kirchengemeinde ausgeübt werde und dass er das nicht gutheiße, obwohl nicht alle vier der PfarrerInnen an dieser Kirche der gleichen Meinung seien. So geht es ihm darum, zu bekunden, dass nicht alle Evangelischen der gleichen Meinung seien, dass man „Pro Reli" bedingungslos unterstützen müsse.

Er betonte, dass jedes Jahr in Berlin mehr muslimische als nicht-muslimische Kinder geboren werden und er habe kein Interesse, dass immer mehr Kinder ausschließlich nur die Ansichten ihrer eigenen Religion erfahren würden, beispielsweise die Muslime zur Homosexualität und die Katholiken zur Abtreibung. In den öffentlichen Schulen müsse es ein Fach geben, in dem alle Schüler Fragen der Ethik und Normen gemeinsam diskutieren.

„Keine Parallelgesellschaften"

Die evangelische Theologin Ruth Priese, die gemeinsam mit dem katholischen Theologen Josef Göbel, die Initiative vorangebracht hat, betonte, dass der Berliner Senat in Übereinstimmung mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15.3.2007 handele, in dem es heiße (Randnummer 42): „ Der Ethikunterricht in seiner konkreten Ausgestaltung zielt hier auf die Ausbildung einer dialogischen Gesprächskultur, in der Konsens angestrebt und Dissens akzeptiert und ausgehalten wird (...). Dabei erfahren die Gesichtspunkte des Perspektivenwechsels, der unterschiedlichen Erfahrungswelten und der Empathie besondere Betonung (...). Angestrebt wird mithin, dass sich Schüler auch unterschiedlicher Religionszugehörigkeit und Weltanschauung untereinander über Wertfragen austauschen. Angesichts dieser Unterrichtsziele durfte der Berliner Landesgesetzgeber im Ergebnis davon ausgehen, bei einer Separierung der Schüler nach der jeweiligen Glaubensrichtung und einem getrennt erteilten Religionsunterricht sowie einer Aufspaltung der Unterrichtsgegenstände auf verschiedene andere Fächer oder der Möglichkeit der Abmeldung von einem Ethikunterricht könne den verfolgten Anliegen im Lande Berlin möglicherweise nicht in gleicher Weise Rechnung getragen werden wie durch einen gemeinsamen Pflicht-Ethikunterricht." (AZ: 1 BvR 2780/06)

Religionsunterricht ist das Eine, Ethikunterricht das Andere

Auch die anderen anwesenden Unterstützer der Initiative „Christen pro Ethik" (Prof. Dr. Michael Bongardt, Direktor des Instituts für Vergleichende Ethik an der Freien Universität Berlin, Dr. Gerhard Weil, Sprecher der Initiative Pro Ethik, Peter Kreisel, Bundesvorsitzender des Fachverbandes Ethik e.V., und Gert Schubert, Schulrat und Religionslehrer i. R.) waren sich in dieser Ansicht einig. Im Religionsunterricht sollen die Kinder entsprechend ihrer Tradition die Möglichkeit haben ihre „religiöse Sprache" zu erlernen, dabei sprechen sie auch über andere Religionen. Die notwendige „interkulturelle Dialogfähigkeit" wird jedoch nur im Ethikunterricht ereicht, indem mit anderen Kulturen und Religionen gesprochen wird. Insofern ist nach Ansicht der Initiative beides notwendig und beides nebeneinander zu erhalten. Sie sind keine Alternativen, sondern hätten unterschiedliche Aufgaben. Das schließe eine gegenseitig ausschließende Pflichtwahl - wie von „Pro Reli" gefordert - aus.

In diesem Sinne wurde der nachfolgende Aufruf formuliert.

                      Christen für das gemeinsame Schulfach Ethik

                                                   AUFRUF

Das Volksbegehren „Pro Reli" erweckt durch die Unterstützung der beiden großen Kirchen und einiger Religionsgemeinschaften den Eindruck, als gäbe es keine guten Gründe für Christinnen und Christen, den Ethikunterricht als gemeinsames Schulfach für alle Schülerinnen und Schüler zu unterstützen.

Um solchem Eindruck zu wehren, wenden wir uns mit diesem Aufruf an die Öffentlichkeit.

Weil auch wir „der Stadt Bestes suchen" (Jer. 29, 7), begrüßen wir die mit dem Schuljahr 2006/2007 erfolgte Einführung des Ethikunterrichtes als ordentliches Lehrfach für alle Jugendlichen der 7. bis 10. Klassen in Berlin. Dieser Unterricht bietet Jugendlichen unterschiedlicher religiöser, weltanschaulicher, kultureller und sozialer Herkunft und Prägung die Möglichkeit, über ihre Werte und Lebensvorstellungen miteinander und nicht gegen- oder übereinander zu reden. Sie können gemeinsame Werte entdecken, Respekt gegenüber anderen Positionen einüben und lernen, Unterschiede zu tolerieren. Gemeinsame Werte, Respekt und Toleranz sind für das friedliche Zusammenleben der Menschen in einer multikulturellen und multireligiösen Stadt wie der unseren unverzichtbar.

Religions- und Weltanschauungsunterricht kann in Berlin wie bisher freiwillig von der 1. bis zur 13. Klasse besucht werden; in den Schuljahren 7 bis 10 nun zusätzlich zum Ethikunterricht. Wir halten Freiwilligkeit in der Entscheidung für einen Bekenntnisunterricht für angemessen. Sie dient der Entfaltung einer religiösen oder weltanschaulichen Beheimatung der jungen Menschen.

Wir bedauern, dass die Initiatoren des Volksbegehrens mit der Kampagne "Pro Reli" den Ethikunterricht als gemeinsames Schulfach abschaffen wollen. Denn das wäre die Folge einer Wahlpflicht zwischen Ethikunterricht und Religions- bzw. Weltanschauungsunterricht.

Wir sehen in dem Berliner Modell eines gemeinsamen Pflichtfaches Ethik und eines freiwilligen Religions- und Weltanschauungsunterrichts eine auch für andere Bundesländer nachahmenswerte Regelung. Ihre Übernahme würde helfen, dass die öffentliche Schule der Pluralität und den ethischen Herausforderungen unserer Gesellschaft angemessen begegnet. Großbritannien gibt mit dem staatlich verantworteten Pflichtfach zur Einführung in die großen Weltreligionen hierfür ein gutes Beispiel.

Der gemeinsame Ethikunterricht in Berlin ist ein sehr junges Fach, das weiter entwickelt und sorgfältig begleitet werden muss. Wir erwarten deshalb, dass Inhalten und Konzepten für das neue Fach viel Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Wir rufen die Christen und alle Mitbürgerinnen und Mitbürger in unserer Stadt und in Deutschland dazu auf, das gemeinsame Berliner Schulfach Ethik zu unterstützen.

 

Erstunterzeichnerinnen: Niederländisch-ökumenische Gemeinde, Berlin - Ökumenisches Netzwerk "Initiative Kirche von unten" (Ikvu) Bonn - Aktionskreis Halle (AKH) - Studienrätin Ingrid von Bahder - Pfarrerin Almuth Berger - Gerlinde Bernsdorf - Gerd Börner - Prof. Dr. Michael Bongardt - Ursula Broghammer, Halle - Lehrerin Barbara und Dr. Peter Bruger - Bettina und Dr. Jan Diestelmeyer - Monika und Dr. Gregor Doberschütz, Leipzig - Brigitte Draeseke, Magdeburg - Dr. Erika Drees, Stendal - Dr. Eugen Drewermann (Theologe und Psychotherapeut), Paderborn - Enno Ebbert - Antje Eberhardt - Silvia und Prof. Dr. Eugen Eichhorn - Pfarrerin Karin Eimer - Dr. Wernfried Fieber, Halle - Pfarrer Stephan Frielinghaus - Antje und Dr. Klaus Galley - Joachim Garstecki, Magdeburg (Theologe) - Gerlind Gebauer - Kornelia und Josef Göbel (Theologe) - Katharina Göbel - Bernd Göhrig (Theologe), Frankfurt/a.M. - Margret und Klaus Gubener, Bad Freienwalde - Dr. Heidi und Hanns-Uwe Günther, Zöberitz - Dr. Barbara Hähnchen - Herbert Hahn, Worbis - Martin Haesner - Kornelia und Jonas Hellinger - Rudolf Hickel (Theologe) - Helmut Hiller, Dessau - Hildegard Hoffmann (Theologin und Katechetin) - Pfarrer Dr. Willibald Jacob - Barbara Jokiel, Gütersloh - Siegfried Kaiski, Halle - Elke Kaminski (Ethiklehrerin) - Elke und Georg Kehrt - Rita Keil - Eva-Maria Kenngott (Fachdidaktikerin LER) - Dr. Erhard Kinzel, Brachstedt - Annemarie und Klaus Körner, Petershagen - Dorothea Körner (Theologin) - Peter Kriesel (Theologe und Pädagoge), Brandenburg - Christian Lange (Theologe) - Pfarrerin Gisela Lattmann-Kieser - Coletta Kromer - Prof. Dr. Jürgen Lott, Bremen (Theologe und Religionspädagoge) - Pfarrer Martin Lotz - Inga Lotz-Bartelsen - Pfarrer Dr. Karl Martin - Anneliese Mikowski (Lehrerin) - Almut Mohrmann - Barbara Mühle - Anne und Karl Mo-schek (Katechetin/Theologe), Leipzig - Lieselotte Müller (Pädagogin) - Ahmad Ohadi - Norbert Perner, Magdeburg - Irmela und Pfarrer Georg Pfeil - Dr. Ursula Pfender (Pädagogin) - Dr. Reinhard Piechocki, Kasnewitz - Isabelle Pignal (Franz./Deutschlehrerin), Grenoble - Ruth Priese (Theologin) und Prof. Karl-Heinz Priese - Monika Rebitzki - Astasia Regner, Nlenburg - Regina Reichert - Ekkard Remoli, Leipzig - Erdmute Remoli - Pfarrerin Marianne Remoli, Werni-gerode - Pfarrerin Irmela Richter - Christoph Rinneberg, Wermbach - Renate Romberg - Daniela und Matthias Schebera - Dr. Norbert Schenke, Dresden - Pfarrer Hans Simon - Waldtraut und Dr. Udo Skladny (Theologe) - Marga Schmidt, Groß-Gerau - Prof. Dr. Helmut Schmidt - Pädagogin Charlotte und Prof. Dr. Alf Schönfeld - Christina Schrape - Dr. Angelika Schrem (Psychologin) - Gert Schubert (Schulrat und Religionslehrer) - Pfarrerin Friederike Schulze -Antje Schwarzer - Gerhart Streicher (Theologe), Ilmenau - Christa und Markus StrobI - Pfarrer Willi Versiege, Nienburg - Christa und Dr. Klaus Wazlawik - Fabian Weber - Pfarrer Henning von Wedel - David Wieblitz - Dr. Peter Wilms, Halle - Annemarie und Bernhard Willner (Theologe), Herzberg - Ute und Klaus Winkelmann (Katechetin/Theologe), Herne - Angelika Zilm

Berlin am 2. Dezember 2008

P.S.: Personen ohne Ortsangabe wohnen in Berlin. Berufsbezeichnungen nur bei Fachbezug

 

Koordinierungskreis: Stephan Frielinghaus (Pfarrer), Josef Göbel (kath. Theologe), Hildegard Hoffmann (ev. Theologin/Katechetin), Martin Lotz (Pfarrer), Ruth Priese (ev. Theologin), Hans Simon (Pfarrer), Henning von Wedel (Pfarrer).