Inwieweit ein Schwangerschaftsabbruch illegal ist und strafrechtlich verfolgt wird, das ist innerhalb der Europäischen Union (EU) Sache der einzelnen Staaten. Und so reicht die Bandbreite von einer eher liberalen Rechtslage in den Niederlanden oder in Frankreich bis zu einer besonders strengen Regelung in Polen. Trotz dieser Nicht-Zuständigkeit der EU laufen derzeit aber zwei Vorstöße, dies zu ändern. Eine kommt aus dem EU-Parlament, eine andere von einer Bürgerinitiative.
Initiative aus dem EU-Parlament
Nachdem Frankreich als erstes Land der Welt im Jahr 2024 Abtreibung ausdrücklich zu einem verfassungsmäßigen Recht erklärt hatte, forderte eine Mehrheit von 336 EU-Abgeordneten gegen 163 Stimmen im April dieses Jahres Entsprechendes auf EU-Ebene. Das Recht auf Abtreibung solle in der EU-Grundrechtecharta verankert werden. Die Abgeordneten wollen Artikel 3 der Charta folgendermaßen ändern: "Jeder Mensch hat das Recht auf körperliche Selbstbestimmung, auf einen freien, informierten, umfassenden und allgemeinen Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheit und den damit verbundenen Rechten sowie zu allen damit zusammenhängenden Gesundheitsdienstleistungen ohne Diskriminierung, einschließlich sicherer und legaler Abtreibung."
Die Abgeordneten fordern die Mitgliedstaaten auf, Abtreibungen vollständig zu entkriminalisieren und Hindernisse für Abtreibungen zu beseitigen und zu bekämpfen. Die EU-Parlamentarier verurteilen die Tatsache, dass in einigen Mitgliedstaaten Abtreibungen aufgrund der "Gewissensklausel" von Ärzten und in einigen Fällen von ganzen medizinischen Einrichtungen verweigert werden, oft in Situationen, in denen jede Verzögerung das Leben oder die Gesundheit der Patientin gefährdet. Abtreibungsmethoden und -verfahren sollten verpflichtender Bestandteil der Studienpläne für Ärzte und Medizinstudenten sein, so das Parlament. Die Mitgliedstaaten sollten den Zugang zu sämtlichen Dienstleistungen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und der damit verbundenen Rechte sicherstellen, einschließlich umfassender und altersgerechter Sexual- und Beziehungserziehung. Zugängliche, sichere und kostenlose Verhütungsmethoden und -mittel sowie Beratung bei der Familienplanung sollten zur Verfügung gestellt werden, wobei besonderes Augenmerk auf gefährdete Gruppen zu richten sei.
Weil der Antrag der Abgeordneten nicht bindend ist und eine Einstimmigkeit der EU-Mitgliedstaaten erforderlich wäre, um die Charta zu ändern, wird der Antrag wohl ins Leere laufen und hat kaum mehr als einen Appell-Charakter.
Bürgerinitiative "My Voice, My Choice"
Einen anderen, vielleicht Erfolg versprechenderen Weg geht eine Bürgerinitiative mit dem Namen "My Voice, My Choice", die mehr als 1,2 Millionen Unterschriften sammelte und damit die EU-Kommission zwingt, sich mit ihrem Anliegen zu befassen. Die Kampagne zielt dabei ausdrücklich nicht darauf ab, Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zu harmonisieren oder in geltendes nationales Recht einzugreifen. Vielmehr wird eine "unterstützende Zuständigkeit der EU" eingefordert. Die Kampagne "My Voice, My Choice" fordert die Europäische Kommission auf, Ländern, die sich solidarisch beteiligen würden, finanzielle Unterstützung als Ausgleich für ihre Bemühungen zukommen zu lassen.
In der Begründung des Antrags von "My Voice, My Choice" heißt es:
"Der fehlende Zugang zu Abtreibungen in vielen Teilen Europas stellt nicht nur ein Risiko für die physische Gesundheit von Frauen dar, sondern bedeutet auch zusätzliche wirtschaftliche und mentale Belastungen für Frauen und Familien – häufig in Randgruppen, die es sich am wenigsten leisten können. Es ist umfassend dokumentiert, dass Abtreibungen nicht abnehmen, wenn reproduktive Gesundheit als Luxusgut gehandelt wird. Dies führt nur dazu, dass sich Frauen unsicheren Abtreibungen unterziehen. Um dies zu ändern, fordern wir die Europäische Kommission im Geiste der Solidarität auf, eine Maßnahme vorzuschlagen, die finanzielle Unterstützung für Mitgliedstaaten vorsieht, die sichere Schwangerschaftsabbrüche für jede Frau in Europa, die noch keinen Zugang zu sicheren und legalen Abtreibungen hat, durchführen könnten. Zahllose Frauen haben bereits ihr Leben oder ihre Lebensgrundlage verloren, weil sie keinen Zugang zu sicherer Abtreibung hatten. Damit muss Schluss sein. Mit dieser Europäischen Bürgerinitiative streben wir eine gerechtere Politik an, die unsere europäischen Werte mit mehr Mitgefühl und konkreter zum Ausdruck bringt."
Die EU-Kommission muss nun das Thema auf die politische Agenda setzen. Bis Anfang März 2026 muss sie eine offizielle Stellungnahme mit detaillierten Angaben zu den geplanten Maßnahmen abgeben.







