Interview mit Karlheinz Böhm.
Die Weihnachtszeit steht vor der Türe und damit wieder die alljährliche Flut an Spendenappellen verschiedenster
Hilfsorganisationen. Doch sehr oft kommt nur ein Teil der Spendengelder tatsächlich bei den Betroffenen an. An der organisierten Beruhigung des kollektiven schlechten Wohlstandsgewissens verdienen oftmals nicht wenige mit, seien es Spendensammel-Drückerkolonnen oder aufgeblähte Verwaltungsapparate von Hilfsorganisationen. Im schlimmsten Falle dienen Hilfsprojekte in Entwicklungsländern letztlich nur als Vorwand für religiöse Missionierung in den betroffenen Gebieten. Auch an den Hilfsprojekten in den Ländern selbst verdienen oftmals wieder einzelne Produzenten von "Hilfsgütern" in den "Geberländern" kräftig mit.
Anders bei der Stiftung "Menschen für Menschen" des Schauspielers Karlheinz Böhm. Der Fassbinder-Darsteller und Hauptdarsteller im legendären Film "Peeping Tom", den meisten jedoch am ehesten bekannt durch seine Hauptrolle in den "Sissi"-Filmen der 50er-Jahre, ist kein "Charity"-Mensch, sondern er sieht in seiner Arbeit für die Menschen Äthiopiens seine menschliche Verpflichtung.
Alles begann, als der politisch durch die 60er/70er-Jahre geprägte Schauspieler der mediensatten Konsumgesellschaft 1981 in jener berühmten "Wetten dass...?"-Sendung den Spiegel vorhielt, in dem er "wettete", dass es nicht gelingt, dass auch nur jeder dritte Zuschauer der Sendung lediglich eine D-Mark für hungernde Menschen spenden wird, falls doch, werde er persönlich das Geld zu den betroffenen Menschen bringen. Natürlich "gewann" Böhm die Wette, aber etwas über eine Million DM kam trotzdem zusammen, der Grundstein einer Hilfsorgansisation, die am 13. November 25 Jahre alt geworden ist.
Anlässlich dieses Jubiläums sprach der Humanistische Pressedienst mit dem mittlerweile 78-jährigen Schauspieler:
hpd: 25 Jahre „Menschen für Menschen" - kaum eine Hilfsinitiative genießt soviel Sympathie wie Ihre Stiftung. Wo sehen Sie die Gründe für diese Erfolgsgeschichte?
Karlheinz Böhm: Ja, ich glaube sagen zu dürfen, zum einen, ich habe vom ersten Tag an der Spenderin oder dem Spender gegenüber eine ganz tiefe Verantwortung empfunden und alles, was ich getan habe, vom ersten Tag an kann man sagen, als ich angefangen habe für „Menschen für Menschen" etwas aufzubauen, habe ich in dieser Verantwortlichkeit für die Menschen getan, die mir ja das Vertrauen geben, die ganze Arbeit zu machen. Das kommt ja nicht aus meiner Tasche, ich kann mir zwar leisten - das darf ich reinen Herzens sagen - dass ich das ganze, was ich tue, ohne ein Gehalt mache, dass ich also nicht dafür bezahlt werde. Aber auf der anderen Seite, alle Projekte, die ich gemacht habe, das sind ja inzwischen schon sehr viele geworden, werden durch das Vertrauen von den Spenderinnen und Spendern aufgebaut, die mir seit 25 Jahren dieses Vertrauen geben. Da sehe ich den einen Grund. Der andere Grund ist aber auch, dass ich von vorneherein herangegangen bin und versucht habe, nicht als Entwicklungshelfer in das Land Äthiopien zu kommen, sondern den Menschen in Äthiopien die Möglichkeit zu geben, sich selber zu entwickeln.
hpd: Im Gegensatz zu vielen anderen Hilfsorganisationen tritt „Menschen für Menschen" den Betroffenen in den Hilfsgebieten menschlich respektvoll gegenüber. Warum setzt sich die Einsicht, dass Betroffene in Entwicklungsländern durchaus selbst in der Lage sind ihre Existenz zu sichern, wenn man ihnen nur die nötigen Voraussetzungen dafür schafft, so schwer bei anderen - v.a. staatlichen - Entwicklungshilfeprogrammen durch?
Karlheinz Böhm: Ja, ich glaube, das hängt zum Teil damit zusammen, dass wenn man ja über den Kontinent Afrika spricht, so spricht man - und verzeihen Sie mir, wenn ich das auch in dieser Formulierung sage - über die „kleinen armen schwarzen Negerlein", die ein bisschen Hilfe bekommen müssen, weil sie doch so arm sind. Da muss man ein bisschen unterstützen, ein bisschen Hilfe geben. Tatsache ist, dass der Kontinent Afrika fast ein ganzes halbes Jahrtausend, sprich 487 Jahre, auf die brutalste Art und Weise unterdrückt wurde und man jegliche Form einer eigenen Entwicklung in allen Gebieten, ob das kulturell ist, ob das wirtschaftlich ist, ob das soziologisch ist, ganz gleich auf welchen Gebieten verhindert hat. Weder in den Schulen, noch in den Universitäten und auch nicht auf höherer Basis nimmt man zur Kenntnis, dass wir eigentlich in Wirklichkeit diesem Kontinent und seinen ganzen Staaten gegenüber eine hohe Verantwortung haben. Ich darf Ihnen vielleicht in dem Zusammenhang noch etwas sagen, das auch in Vergessenheit geraten ist: Bei einem G8-Gipfel vor 2 Jahren hat man sehr „großzügig" beschlossen, dass man für einige afrikanische Staaten die Schulden, die sie haben, etwas reduzieren oder abstreichen wird. Das fand ich einen Zynismus, wie er historisch selten stattgefunden hat. Denn die Schulden, die die reichen Industriestaaten heute an dem Kontinent Afrika haben, sind in Nullen nicht zu berechnen. Das sind Billionen und Aber-Billionen, die überhaupt noch nicht berechenbar sind. Und dass wir dann sagen, wir müssen denen „Schulden streichen", das finde ich also nicht nur zynisch und rücksichtslos, ich finde es wirklich historisch lächerlich.
hpd: Ihre Arbeit besitzt gerade dadurch Glaubwürdigkeit, dass Sie sich - und Ihre Ausführungen gerade haben dies wieder gezeigt - nicht davor scheuen, immer wieder auch öffentlich die Ursachen für die Hungersnot in den sogenannten Entwicklungsländern und auch die Verantwortlichkeiten dafür konkret zu benennen. Würde man das Geld, das in nur wenigen Tagen für den „Krieg gegen den Terror" ausgegeben wird, in einen „Kampf gegen den Hunger" investieren, müsste weltweit kein einziger Mensch mehr hungern, hätte Zugang zu sauberen Trinkwasser, zu Bildung und vielem mehr - frustriert Sie das nicht in ihrer alltäglichen Arbeit, Herr Böhm?
Karlheinz Böhm: Sie haben das sehr richtig ausgedrückt und dass mich das manchmal zu einer hellen Verzweiflung bringt, das können Sie sich vorstellen, denn ich sehe es überhaupt nicht notwendig, in keinster Weise, dass Waffenindustrie überhaupt existiert. Denn wenn ein Mensch Waffen in der Hand hat, versucht er Kriege zu führen, versucht Konflikte mit Waffen zu lösen oder was immer. Das hat sich in der Geschichte der Menschheit über Millionen von Jahren immer wieder bewiesen. Und da finde ich, das haben Sie sehr gut und richtig formuliert, wenn man die Gelder hätte, die nicht nur für den „Krieg gegen den Terror", sondern überhaupt für Waffen ausgegeben werden, dann könnte man wirklich den Hunger total abbauen auf dem Großkontinent Erde. Wobei man sich dann mal fragen muss, warum gibt es denn überhaupt einen „Krieg gegen den Terror"? Warum ist Terror entstanden und gegen was? Das ist eine ziemlich wichtige Frage, die man sich stellen muss und die vielleicht in manchen Fällen zu keinen sehr angenehmen historischen Rückblicken führt.
hpd: Sie - und vor allem auch Ihre Frau - setzen sich vehement und mit großem Erfolg für die Abschaffung der Beschneidung von Frauen ein. Welche Rolle spielen die Religionen hierbei? Ist die Beschneidung in Äthiopien ein rein islamisches Problem?
Karlheinz Böhm: Darf ich Ihnen von vorneherein sagen, derjenige - Sie werden mir das verzeihen, wenn ich das sage, weil ich meine Frau ungemein verehre und respektiere für das was sie tut, sie wird Ihnen, wenn Sie mit Ihr sprechen genau das selbe sagen -, derjenige, der angefangen hat, gegen Frauenbeschneidung zu arbeiten, ist nicht meine Frau gewesen, sondern meine Wenigkeit. Ich habe vor mehr als acht Jahren eine Kampagne begonnen, im Erer-Tal, unserem ersten Projektgebiet, die ganz erstaunlich war: da sind ungefähr so 7-8 Tausend Menschen zusammengekommen und ich habe sowohl den Vertreter des Islam, also den Imam, als auch den Patriarchen der Region für den christlich-orthodoxen Glauben dazugebeten. Und ich habe sie vor den Menschen gefragt, ob die Beschneidung irgendetwas mit der Religion, sprich mit dem Koran oder mit der Bibel zu tun hätte. Und beide Religionsführer haben ganz klar vor den Menschen gesagt, es hat nichts damit zu tun, obwohl immer wieder in den Gesellschaftsschichten und in den Regionen Äthiopiens, wo es diese Beschneidung leider noch immer gibt, gesagt wird, es sei aus religiösen Gründen, dass man das machen müsse. Aber es ist ganz klar nachweisbar, dass es das nicht ist. Und ich habe also dann diese Aktion immer weiter ausgeweitet und ich glaube, die Tatsache, dass ich als Mann - und sogar als andersfarbiger Mann - hergegangen bin und darauf hingewiesen habe, dass diese schädliche Tradition alles andere als berechtigt ist und ungerecht ist, sämtlichen Mädchen und Frauen und Kindern gegenüber, mit denen das schon Tausende Jahre gemacht wurde und mit denen das noch immer gemacht wird zum Teil. Das hat dazu geführt, dass so viele Aktionen dagegen entstanden sind. Und dass meine Frau sich natürlich, je mehr sie sich in die Arbeit von „Menschen für Menschen" eingearbeitet hat, als Frau auch ganz ungeheuer gegen diese Beschneidung einsetzt, das ist überhaupt keine Frage und wir dürfen reinen Herzens sagen, dass wenn das so weitergeht, dass wir vielleicht noch erleben werden, zumindest zu Lebzeiten meiner Frau, die ja 36 Jahre jünger ist als ich, dass die Beschneidung in Äthiopien nicht mehr stattfindet.
Die Beschneidung in Äthiopien ist also kein rein islamisches Problem. Im Islam ist die Beschneidung zwar viel grausamer, wie im Christentum: die islamische Beschneidung schneidet einfach alles ab, was zwischen den Beinen von einem Mädchen ist, während bei den Christen „nur" die Spitze der Klitoris, die also das geschlechtliche Vergnügen der Frau zur Folge hat, abschneidet. Aber das sagt sehr viel über das aus, was diese schreckliche Beschneidung eigentlich ist: sie ist von Männern über viele tausende Jahre hinweg in der Vergangenheit bereits erfunden worden, damit Frauen keinen Spaß am Sex haben und sie deshalb abhängig sind von ihren Männern und nicht zu anderen gehen. Das ist der tiefere Grund.
hpd: Da wir gerade über Religionen sprechen: Wie ist Ihr persönliches Verhältnis zu Religionen?
Karlheinz Böhm: Wissen Sie, ich finde, die intimste Frage, die es überhaupt gibt und die man einem Menschen stellen kann, ist, was für eine Religion er hat. Also gut, wenn ich Ihnen sage, ich glaube an die oder jenige christliche oder islamische Religion, ich glaube daran, was da alles gesagt wird, an dieses oder jenes - schön. Aber wenn ich Ihnen sagen müsste, an was ich glaube, dann würde ich Ihnen zur Antwort geben: Schauen Sie doch meine Arbeit an!
hpd: Wurde Ihr diesbezügliches Denken durch Ihr jahrelanges Engagement in irgendeiner Weise beeinflusst?
Karlheinz Böhm: Nein, es ist nur vertieft worden.
hpd: Nach 25 Jahren „Menschen für Menschen" hagelt es von vielen Seiten Lob. Wie ist Ihr persönliches Resümee, wenn Sie diese 25 Jahre Revue passieren lassen?
Karlheinz Böhm: Zum einen, das sogenannte „hagelnde Lob", das sehe ich als ein hagelndes Lob für die Spenderinnen und Spender, die mir das Vertrauen gegeben haben. Und dass die gelobt werden für das Vertrauen, das sie mir geben, finde ich wunderbar und freue mich über jede und jeden einzelnen von ihnen. Auf der anderen Seite: dass wir in diesen 25 Jahren für die Menschen in Äthiopien sehr viel erreichen konnten in einem - sagen wir mal - relativ limitierten Gebiet in diesem riesigen Land Äthiopien, das ja dreimal so groß wie die heutige Bundesrepublik Deutschland ist, und das Gebiet, in dem wir arbeiten ist etwas so groß wie der Freistaat Bayern und in diesem Gebiet leben etwa drei Millionen Menschen. Wir haben aber auch in Hungersnöten immer wieder Menschen helfen können und dafür bin ich zutiefst dankbar. Denn ich werde immer wieder gefragt, ob ich nicht meinen Beruf als Schauspieler vermisse - und da muss ich sagen: wenn ich nur denke an ein Menschenleben, dass ich retten durfte, dann ist das viel, viel mehr als viele tausende Erfolge, die ich vielleicht in meinem Beruf gehabt hätte oder haben werde oder haben könnte, denn wenn ich daran denke, vermisse ich gar nichts.
hpd: Wenn Sie momentan sehr viele Wünsche erhalten, so möchte ich Sie zum Abschluss einmal umgekehrt fragen: Was wünschen Sie der Stiftung „Menschen für Menschen" zum 25. Geburtstag?
Karlheinz Böhm: Dass eines Tages der Vertreter der äthiopischen Regierung, wer immer das dann ist und wann immer das ist, entweder zu mir oder zu meiner Frau als meiner Nachfolgerin oder wer immer das dann nach meiner Frau sein würde, kommt und sagt: Passt mal auf, Ihr ward jetzt soundsolang hier, vielen Dank, Ihr habt uns viel geholfen, aber wir brauchen Euch nicht mehr!
hpd: Herr Böhm, wir danken Ihnen ganz herzlich für das Gespräch.
Das Gespräch führte René Wiedmann
(Wenn Sie die Arbeit von „Menschen für Menschen" finanziell unterstützen möchten, können Sie das direkt über das <Online-Formular> auf der Homepage der Stiftung tun.)