(hpd) Die Ratschlagliteratur mit Ritualvorschlägen boomt. Neben Versuchen, den strukturierten Alltag zu entschlüsseln und dem Trend, Rituale als pädagogische Hilfsmittel zu nehmen, kommen alte Rituale neu in die Debatte, wie die der Trauer- und Verlustbewältigung, des Abschiednehmens und der Erinnerung. Sie sind auf besondere Weise eingebunden in diejenigen Formen der Konflikt-, Situations- und Gefühlsbewältigung, in denen Kulturen dramatische Aufführungen arrangieren, um mit dem Tod sozial umzugehen.
Hatten früher Priester im Umgang mit dem Tod das Handlungs- und Deutungsmonopol, so gehören sie heute, zugespitzt gesagt, zum Hilfspersonal. Bestattern wird empfohlen, kirchliche Rituale und ihre Abläufe in ihren Grundzügen wenigstens zu kennen. (vgl. S. 35) Wie bezeichnend: Der Pfarrer wird engagiert und zum Dienstleister auf Bestellung (wohl nach Regionen unterschiedlich entsprechend dem Nordost-Südwest-Gefälle der Säkularität in Deutschland).
An die Stelle der Priester treten die kommerziell agierenden Bestatter, bei denen die Kundschaft jede beliebige Religion oder Weltanschauung bestellen kann, wenn sie sie nur zu bezahlen vermag. Ein Ratschlag an sie ist, gegenüber den Kunden eine Sprache zu vermeiden, „die zur Kirche gehört“. (S. 83) Eine bundesweite quantitative Erhebung zu den gewünschten Religionen oder Weltanschauungen würde hier ein interessantes Bild liefern, vorausgesetzt, man hat begründete Vorstellungen von den gegenwärtigen Weltanschauungen. Die Autorin benennt S. 98f selbst ein Forschungsprogramm zum Trauerverlauf, dem Fragen nach den real nachgefragten Werthaltungen hinzuzufügen wären. Jedenfalls befriedigt der Verlag vorhandenen Hunger nach Ritualwissen.
Multikulturalität hat die Bestatter in eine funktionale Sonderrolle gebracht, deren Kulturbedeutung sie zunehmend begreifen und die sie annehmen, wozu sie sich weiterbilden. Zwar ist die Weltlichkeit des Bestattens – genauer, die Entkirchlichung der sie konstruierenden Zeremonien – mehr als hundert Jahre alt, doch fällt die positive Hinwendung zu ihren Formen und Inhalten noch immer sichtlich schwer, vor allem deshalb, weil sie zum Ersten wenig untersucht sind; weil zum Zweiten „eingewanderte“ Religionen den Blick auf sich ziehen und von den „weltlichen Konfessionen“ ablenken; weil zum Dritten das Bestattungswesen das Stattfindende meist noch durch die Brille christlichen wie religiösen Brauchtums sieht; weil zum Vierten die irrige Annahme vorherrscht, die Weltlichen seien irgendwie religionsbedürftig; und weil zum Fünften vermutet wird, unter den „Konfessionslosen“ gäbe es gar keine „Konfessionen“ (Bekenntnisse und ihre Gemeinschaftsformen), obwohl gerade in diesem zunehmenden Bevölkerungsteil sehr differenzierte Werthaltungen vorhanden sind und durch die Selbstbestimmungsoption „weiche“ oder „offene“ Bekenntnisse provoziert werden, deren Träger in ihrer Würde und ihren Ritualbedürfnissen zu respektieren sind.
Die vorliegende, sehr verdienstvolle Publikation von Martina Görke-Sauer, freie Theologin, Trauerpsychologin und Autorin, widmet sich dem Thema auf der Basis fundierter Studien, zu denen zahlreiche Praxisseminare gehören. Das Inhaltsverzeichnis zeigt die Ganzheitlichkeit ihres Herangehens (siehe pdf im Anhang). Das Buch ist didaktisch gut angelegt. Die einzelnen Kapitel folgen sichtbar Vorträgen der Autorin, inklusive Merkzettel, Übersichtskästen und Seminarfragen. Das ist sehr hilfreich, wenn auch zu oft die religiöse Tradition und die christliche Herkunft unserer Bestattungskultur als allgemeine Folie nehmend.
Der Verlag bezeichnet die Verfasserin als „Ritualdesignerin“. Diese Berufungsbezeichnung benennt das Umfeld, in dem sie wirkt: Die Bestattungspraxis sucht nämlich nach neuen Angeboten, die den Säkularisierungen und besonders den Bedürfnissen derjenigen Menschen gerecht werden, die zu den 35 Prozent Konfessionsfreien gehören und zu denen noch diejenigen hinzukommen, die nur noch formell Kirchenmitglieder sind, sich aber vom traditionellen Glauben verabschiedet haben.
In der Analyse ist der Verfasserin unbedingt zuzustimmen: „Allerdings geben die Kirchen auf die Fragen und Ängste der Angehörigen keine wirkliche Antwort.“ (S. 11) Sie „vermissen ... bei den christlichen Konfessionen eine diesseitige Perspektive“ und suchen „nach neuen, individuelleren und ’diesseitigeren’ Formen des Abschieds“, in denen die „Lebensgeschichte des Verstorbenen beziehungsweise die Familiengeschichte der Trauernden“ die Tradition und Verkündigung überwiegen. (ebd.)
Deshalb wäre es S. 112 besser gewesen, zu den Fähigkeiten und Qualifikationen der Bestatter zu formulieren: „Kenntnisse religiöser und nichtreligiöser Bräuche und Rituale“. Die „weltlichen“ scheinen im Buch an verschiedenen Stellen auf, besonders bei den diversen Hinweisen an Trauerredner. Bei der Beschreibung der Kremation als einem Übergang (und Ritual) im wörtlichen und physischen Sinn (S. 73) wäre gedanklich anzuknüpfen, zumal anonyme Bestattungsweisen zunehmen (ohne dass hier das Ritualreservoir dem schon angemessen wäre) und der Friedhofszwang für Urnen wohl nicht ewig zu halten sein wird.
Während klar ist, was christlich oder muslimisch oder jüdisch genannt werden kann, was pantheistischen oder esoterischen Glaubensannahmen folgt, gibt es bezogen auf nichtreligiöse Formen große Unsicherheiten. Wer Charakterisierungen als „humanistisch“ möchte, ist in der Bring- und Nachweispflicht, was solche Qualitäten ausmacht. Das richtet sich nicht an die Autorin. Ihr kann vielmehr in der Kritik an kirchlicher Verkündigung und Verheißung beim Abschiednehmen mit dem Hinweis voll zugestimmt werden, dass sich diese tatsächlich „von humanistischen Denkmodellen“ (S. 11) unterscheiden, es allerdings Aufgabe aller daran Interessierten bleibt, über entsprechende Praxen und Vorschläge tiefer nachzudenken.
Horst Groschopp
Martina Görke-Sauer: Trauerrituale. Abschied gestalten.
Düsseldorf: Fachbuchverlag des deutschen Bestattungsgewerbes 2008, 116 S.
(Praxisratgeber für Bestatter, Bd. 3), ISBN 978-3-936057-25-6, 19,90 €
Mail: fachverlag@bestatter.de
Die „Humanistische Akademie Deutschland“ veranstaltet am 12. und 13. Juni 2009 in Hannover eine Konferenz zum Thema „Humanistische Bestattungskultur – Geschichte und Perspektiven weltlichen Abschiednehmens“. In loser Folge werden hierzu Beiträge und Rezensionen und demnächst das vollständige Programm vorgestellt.