Die Neue Aufklärung

(hpd) Glaubt man dem, was die Medien veröffentlichen, herrscht eine neue Aufregung um eine neue Religionskritik von neuen Atheisten. Aber nichts ist zu hören von der Neuen Aufklärung. Dabei kann man den Zeitgeist besser verstehen, wenn man herausarbeitet, was diese Neue Aufklärung umfasst.

Ein Essay von Eike Michael Scholz

Die Neue Aufklärung ist das vorbehaltlose öffentliche Stellung beziehen gegen jede Ursache von Unmündigkeit. Unmündigkeit ist die Unfähigkeit, selbstständig erkennbar falsche oder unangemessene Urteile als solche zu erkennen. Vorbehaltlos ist diese Stellungsnahme, wenn sie in keinem Teilbereich menschlichen Lebens Unmündigkeit akzeptiert. Unangemessen sind zum einen Urteile deren Konsequenzen im Widerspruch zu dem Beobachtbaren und Belegbaren stehen. z.B.: Makroevolution findet nicht statt; Der Holocaust fand nicht statt; Der Mensch wird nicht durch Gene beeinflusst; Der Mensch wird nicht wesentlich durch Kultur beeinflusst u.s.w.

Unangemessen ist es zum anderen, ein bisher unbekanntes und bisher nicht verstandenes Phänomen auf das Wirken von Geistern, Göttern, oder sonstigen magischen Konzepten zurückzuführen. Unwissenheit und fehlendes Verständnis belegen Unwissenheit und fehlendes Verständnis, sie sind kein Beleg für Übernatürliches. Die Neue Aufklärung richtet aber sich nicht nur mit Vehemenz gegen diesen klassischen Aberglauben, sondern gegen jede Ideologie. Ideologie ist jedes Ideensystem, dessen Inhalte nicht konsistent mit den von den Wissenschaften gesammelten Daten sind und/oder dessen Methoden nicht konsistent mit Wissenschaftlichen Methoden sind. Wissenschaft umfasst dabei alle Methoden, die geeignet sind wahre Aussagen über die Realität zu finden und Falsche zu erkennen. Wahrheit wird dabei als Übereinstimmung mit den Tatsachen verstanden. Wissenschaft umfasst weiter die Ergebnisse sowie die philosophische Reflexion und Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Methoden.

In ihrer Vorbehaltlosigkeit mutet diese Aufklärung den Menschen zu, Trost, Hoffnung und Lebenssinn nicht mehr in Ideensystemen zu finden, welche zu ihrer Akzeptanz Unmündigkeit benötigen. Menschen können und sollen in einer persönlichen Wahl aus der Vielzahl der nicht ideologischen Ideen, die am Anfang des 21 Jahrhunderts zur Verfügung stehen oder entwickelt werden können, Trost, Hoffnung und ihren Lebenssinn finden. Die Neue Aufklärung schätzt und benötigt daher die Ergebnisse der Geistes-, Kultur-, Struktur- und Naturwissenschaften sowie der Künste.

Wie die klassische Aufklärung (Immanuel Kant: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?) benötigt die Neue Aufklärung vor allem die Freiheit, von seiner Vernunft uneingeschränkten öffentlichen Gebrauch zu machen. Dieser Gebrauch ist ausgezeichnet durch das Bestreben seine Aussagen so klar wie möglich zu formulieren, damit im öffentlichen Diskurs fehlerhafte und unangemessene Annahmen klar herausgearbeitet und verworfen werden können. Im Aufrechterhalten dieses öffentlichen Diskurses liegt der Wert der Neuen Aufklärung. Durch das beständige öffentliche Ausformulieren von Thesen und Gegenthesen sollen Menschen lernen, ob eine Polemik zu stark übertreibt, ob ein Satz die nötige Verständlichkeit vermissen lässt, ob Begriffe zu ungenau oder vieldeutig benutzt werden und ob Thesen bekanntem wissenschaftlichen Wissen widersprechen oder logisch fehlerhaft sind. Durch permanentes Vorbild soll gelernt werden, wie man angemessene von unangemessenen Aussagen unterscheidet. Die Protagonisten der neue Aufklärung stehen daher dafür ein, dass auch das Absurde oder offensichtlich Falsche immer wieder aufs neue veröffentlicht werden darf, und fühlen sich verpflichtet jenes immer wieder aufs neue zu widerlegen oder auf die bekannten Widerlegungen hinzuweisen.

In diesem Öffentlichen Gebrauch der Vernunft liegt das aufklärerische und lehrende Moment der Neuen Aufklärung. Das Wissen um die Unterscheidung zwischen einem noch angemessenen und einem schon nicht mehr angemessenen Urteil, lässt sich nur Vermitteln indem man die Grenze zwischen angemessen und unangemessen immer wieder aufs Neue austestet. Dabei lässt sich selbstverständlich das gelegentliche Überschreiten derselben nicht vermeiden. In diesem Sinn ist die politische Korrektheit die einflussreichste Gegenströmung zur Neuen Aufklärung. Die politische Korrektheit verbietet das Ausformulieren bestimmter Positionen und verhindert so, die Grenze zwischen angemessenem und unangemessenem Urteil öffentlich kenntlich zu machen.

Mit dem Begriff der Neuen Aufklärung ist auch die Position vieler Neuer Atheisten und die deren Kritiker zu verstehen. Sie testen aus, bei welchen Übeln der Vorwurf an die Religion diese Übel zu verursachen oder zu begünstigen unangemessen wird. Man sollte allerdings nicht den Fehler machen, die Neue Aufklärung auf das Religiöse zu reduzieren. Zu ihr gehören genau so alle Menschen die parawissenschaftliche Aussagen untersuchen sowie alle die politische Ideen kritisieren oder diese durch den öffentlichen Gebrauch der Vernunft zu verteidigen.

Die Neue Aufklärung schließt sich an die Klassische Aufklärung an, führt sie fort und wird erst dann ihr Ende finden, wenn der öffentliche Gebrauch der Vernunft nicht mehr stattfindet, oder als solcher von großen Teilen der Öffentlichkeit nicht mehr wahrnehmbar ist.