MARBURG. (hpd/hu) Sabriye Tenberken erhält das "Marburger Leuchtfeuer" 2009. Oberbürgermeister Egon Vaupel wird ihr die Auszeichnung am 26. April im Rahmen einer Feierstunde im Historischen Saal des Marburger Rathauses überreichen. Die Laudatio auf die blinde Pädagogin wird Dieter Gutschick halten.
Ende April scheidet Gutschick nach 20 Jahren aus seiner Funktion als Geschäftsführer der Deutschen Behindertenhilfe Aktion Mensch (AM) in Bonn aus. Umso erfreuter zeigten sich die Stadt Marburg und die Humanistische Union (HU) als Veranstalter über seine Zusage, trotz der Vorbereitung seiner eigenen Verabschiedungsfeier die Laudatio auf die 38-jährige Tibetologin zu halten.
Erste Blindenschule Tibets
1998 gründete sie in Lhasa die erste Blindenschule Tibets. Mittlerweile hat sie gemeinsam mit ihrem Mitstreiter und Lebensgefährten Paul Kronenberg im indischen Kerala ein Ausbildungszentrum für behinderte Sozial-Manager aufgebaut.
Ende April weilen beide zu einem Kurzbesuch in Deutschland. Die Preisverleihung im Marburger Renaissance-Rathaus bildet den feierlichen Abschluss dieses Heimatbesuchs.
Das soziale Engagement von Bürgerinnen und Bürgern halten die Humanistische Union und der Magistrat der Universitätsstadt Marburg für ein unerlässliches Element jeder demokratischen Gesellschaftsordnung. Demokratie kann nach Überzeugung des HU-Ortsverbands Marburg nur verwirklicht werden, wenn auch sozial benachteiligte Personen und Personengruppen in ihrer Würde und in ihren Bürgerrechten uneingeschränkt respektiert werden. Herausragende Beispiele dieses gelebten Respekts vor der Würde aller Menschen - gerade auch der "Underdogs" - soll das "Marburger Leuchtfeuer für Soziale Bürgerrechte" auszeichnen.
Marburger Tradition
Marburg kann auf eine lange Tradition sozialen Engagements zurückblicken: Beginnend mit dem Einsatz der Landgräfin Elisabeth von Thüringen für Kranke und Arme im frühen 13. Jahrhundert reicht sie über die Gründung der Deutschen Blindenstudienanstalt (BliStA) im Jahr 1916 als wichtigste Bildungseinrichtung für Blinde im deutschsprachigen Raum und die Ansiedlung der Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung (BVLH) in Marburg vor gut 50 Jahren bis hin zu zahlreichen Aktivitäten unterschiedlichster sozialer Einrichtungen in der mittelhessischen Universitätsstadt.
In Marburg hat auch Sabriye Tenberken von 1983 bis 1992 das Gymnasium besucht. An der Carl-Strehl-Schule (CSS) der BliStA hat sie 1992 ihre Reifeprüfung abgelegt. Hier hat sie auch erstmals die Idee entwickelt, sich für die Lebensbedingungen von Menschen in der sogenannten "3. Welt" zu engagieren.
In ihrer Heimatstadt Bonn hat sie anschließend Tibetologie studiert. Dazu musste sie eine spezifische Blindenschrift für die tibetische Sprache entwickeln, weil es tibetisches Braille zuvor noch nicht gab.
Als die junge Tibetologin 1997 erstmals nach Tibet reiste, war sie erschüttert von den Lebensbedingungen der Blinden dort. Ihr Engagement zugunsten einer gleichberechtigten Bildungsmöglichkeit für Blinde war die folgerichtige Konsequenz.
Die fünfte Preisträgerin
Tenberken ist bereits die fünfte Preisträgerin des "Marburger Leuchtfeuers". Im Jahr 2005 hat die Frankfurter Hörfunk-Journalistin Ulrike Holler die Auszeichnung als Erste erhalten. Ein Jahr später folgte der Frankfurter Sozialethiker Prof. Dr. Friedhelm Hengsbach SJ. 2007 ging der undotierte Preis an die langjährige Marburger Gewerkschaftsvorsitzende Käte Dinnebier. Das "Marburger Leuchtfeuer" 2008 schließlich erhielt der Kasseler Devianz-Forscher Prof. Dr. Dr. Dr. Rolf Schwendter.
"Mit der Wahl der diesjährigen Preisträgerin möchte die Jury vor allem Menschen mit Behinderungen ermutigen, sich mit ihren individuellen Fähigkeiten und Ideen selbstbewusst in die Gesellschaft einzubringen. Dabei müssen sie selbstverständlich keine Vorzeige-Behinderten werden", erklärt die Jury in ihrer Preisbegründung. "Bei aller berechtigten Kritik an ungerechten Verhältnissen hierzulande wollen wir aber auch die Sensibilität dafür schärfen, dass Menschen in anderen Teilen der Welt noch viel härter um ihre Existenz kämpfen müssen als wir. Mit Sabriye Tenberken würdigt die Jury deshalb auch das international ausgerichtete Engagement für eine gerechtere Weltordnung."
Franz-Josef Hanke