HAMBURG. (hpd) Welche Verantwortung hat der Staat, seiner Schutzfunktion für Kinder zu entsprechen und die Weitergabe von sexueller Gewalt
der Genitalverstümmelung im immerwährenden Täter-Opfer-Zyklus in Deutschland zu durchbrechen?
Der Deutsche Juristinnenbund e.V., Landesverband Hamburg hatte eingeladen, Dienstag, den 29. Januar: Ein Abend - nicht nur für Juristen. Gastreferentin war Ines Laufer von der TaskForce für effektive Prävention gegen Genitalverstümmlung.
„Unsere Aufgabe ist es an erster Stelle, potentielle Opfer zu schützen, um damit den Kreislauf der Gewalt aufzubrechen. Das im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankerte Recht auf Schutz der Kinder und Selbstbestimmung ist ernst zu nehmen und durchzusetzen." „Dieses Recht steht über allen hier im Lande lebenden Menschen zu - egal, welcher ethnischen Gruppe sie entstammen." Ines Laufer, die Referentin, engagiert sich vehement für den absoluten Schutz der Mädchen und Frauen vor einer Genitalverstümmelung.
Genitalverstümmelung? Das gibt es wohl in Afrika, aber nicht hier.
Viele haben Kenntnis von dieser Gewalt gegen Mädchen und Frauen - meinen aber, das sei ein afrikanisches Problem. Oder eines der Entwicklungs-Probleme, die mit besserer Bildung und besseren wirtschaftlichen Verhältnissen beendet seien. Es gilt Vorurteile aufzuklären: „Dabei handelt es sich keinesfalls um ein Unterschichten-Problem. Diese Gewalt ist übergreifend, in allen Gesellschaftsschichten. Das System ist einfach und perfide."
Klar, schnell und deutlich blättert Ines Laufer ihr Wissen auf und erhärtet es anhand von schriftlichen Umfragen, Anhörungen, Hochrechnungen und Studien aus Österreich, Holland und der Schweiz. Amnesty hat diese "Stille Gewalt an Frauen" dokumentiert, Frauennews ausführlich dargestellt.
Bekannt für Genitalverstümmelungen sind Somalia, Äthiopien, Eritrea, Gambia, Sierra Leone, Ghana, Ägypten, aber auch der Jemen, Indonesien, Malaysia, Kurdistan/Irak,... und Frauen und Mädchen dieser Ethnien leben nicht nur in unseren Nachbarländern sondern auch in Deutschland. Es handelt sich hier in nach Schätzungen aufgrund der Zahlen aus dem Ausland in Deutschland um 30.000 bis 50.000 minderjährige Mädchen. Sie sind gefährdet, Opfer dieser sexuellen Gewalt zu werden.
30 bis 50.000 Mädchen sind in Deutschland gefährdet
Natürlich fragen wir uns, wer macht denn so etwas und wenn es geschieht, dann sind es doch die Frauen, die Mütter und Großmütter, die ihren Mädchen dieses antun. Geht es uns etwas an? Und von anderer Seite wird ein weiteres Argument eingeworfen: Die weibliche Genitalverstümmelung sei ein rein kulturell-ritueller Akt, den wir Europäer nicht verstehen und zu respektieren haben. Genitale Verstümmlung wird damit zu einem kulturrelativistisch besetzten Thema degradiert in dem die Täter geschützt und die Opfer ungeschützt bleiben.
Der Grund ist einfach. In bestimmten Stammes-Gesellschaften, in denen der männliche Clan mit Prügel, drakonische Strafen auch über den Körper der Frau bestimmt, hat kaum eine Frau die Möglichkeit, diesem absoluten Abhängigkeitsverhältnis zu entkommen und die Jungfräulichkeit als Attribut der Erstbenutzung wird dem Clan mit einem Brautgeld bezahlt.
Hier schließt sich der Kreislauf in dem die Frauen, Großmütter, Mütter, Schwestern, selbst genital verstümmelt, ihre eigene oft eingetretene Traumatisierung nicht erkennen können oder wollen und ihren Mädchen eben gleiches Unrecht zufügen und zumuten.
Es sind Parallelwelten. Die Verstümmlungen finden allen Ortens statt, auch hier in Deutschland, bei einem Besuch im Heimatland, bei den Großeltern, Verwandten. Es ist nicht der deutsche Pass, der diese Mädchen vor der Verstümmelung bewahrt. Wer denkt, die deutsche Staatsbürgerschaft bewahrt gefährdete Mädchen, der irrt.
Das Problem ist der Politik und den Ärzten bekannt...
Die Bundesregierung und der Bundestag haben sich seit Jahren mehrfach mit diesem Problem beschäftigt, erst 2005 in einem Bericht zur Menschenrechtspolitik und im August 2007 im Nationalen Integrationsplan.
Was wird gegen Genitalverstümmlungen empfohlen? 2005: „Aufklärungskampagnen durch Publikationen, Medien und Workshops, die in den betroffenen Ländern über die Verletzung der Menschenrechte und Menschenwürde der beschnittenen Frauen und über die medizinischen Risiken dieser traditionellen Praxis aufklären." Seit 1997 werden diese Programme von der Bundesregierung mit 6 Mio. Euro gefördert. Und 2007 - bezogen auf Genitalverstümmelungen in Deutschland: „Stärkere Prävention und verbesserter Schutz sind unerlässlich." „Geplant ist ein Gesundheitsmobil für bundesweite Beratung, Gesundheitsförderung, -recht und -prävention der Migrantinnen, die von Genitalverstümmlung bedroht oder betroffen sind."
Die Bundesärztekammer hat im November 2005 „Empfehlungen zum Umgang mit Patientinnen nach weiblicher Genitalverstümmelung" beschlossen. Nach Ablehnung und Verurteilung dieser Praxis, Beschreibung der akuten und chronisch somatischer Komplikationen sowie der psychischen und sozialen Folgen der Genitalverstümmelung, wird ein „Ausblick" formuliert: „Eine Beseitigung der Praxis der weiblichen Genitalverstümmlung wird in erster Linie nur durch politische und soziale Maßnahmen in den Herkunftsländern möglich sein. Aufgabe der Ärztinnen und Ärzte und der psychosozialen Beratungsstellen in Deutschland ist es, den betroffenen Frauen eine Betreuung zu ermöglichen, die den kulturellen Hintergrund respektiert, einfühlsam reagiert und eine individuelle Lösung des Konflikts sucht."
Ist das der richtige Weg? „Nein. Ganz klar Nein", sagt nicht nur Ines Laufer von der im Jahr 2007 gegründeten TaskForce. „Die Rechtslage ist in Deutschland eindeutig. Die Paragraphen 223 bis 226 des Strafgesetzbuches stellen die Genitalverstümmelung als Körperverletzung und schwere sowie gefährliche Körperverletzung und die Misshandlung von Schutzbefohlenen unter Strafe. Aber für die Ärzte in Deutschland besteht keine Meldepflicht – und ihre Schweigepflicht wird in der Realität zu einem Täterinnenschutz, da die sich sicher sein können: Wir werden nicht angezeigt.
Trotz aller Gesetze – auch in Norwegen, Schweden, Dänemark und Frankreich – kommt es nur in Einzelfällen zu einer Anzeige und Verurteilung. Das kann nicht der Weg sein.
...aber wer schützt die Kinder und Mädchen effektiv in Deutschland?
Für Ines Laufer kam die Erkenntnis, wie es möglich ist, innerhalb eines halben Jahres eine kompletten Schutz für alle gefährdeten Kinder und Mädchen in Deutschland zu realisieren, als sie das Buch von Ayaan Hirsi Ali las: „Ich klage an. Plädoyer für die Befreiung der muslimischen Frauen."
In entschlossener Klarheit veränderte Hirsi Ali die Perspektive weg von den Täterinnen, weg von der Hoffnung auf die Einsicht der Eltern, weg von Hilfsprogrammen – und stellt den Opferschutz an die erste Stelle: Schutz für alle durch regelmäßige Untersuchungen auf Genitalverstümmelung – analog den Reihenuntersuchungen zur Zahn-Prophylaxe. Der Befund ist eindeutig und schon bei oberflächlicher Betrachtung leicht ersichtlich feststellbar.
Notwendige Maßnahmen wären:
- Differenzierte Feststellung der Risikogruppe
- Regelmäßige, obligatorische Untersuchungen durch Amtsärzte
- Schaffung einer gesetzlichen Meldepflicht
Und wenn die Eltern ihr Kind ins Ausland, in die Heimat verbringen, um sich der Entdeckung oder der Strafverfolgung zu entziehen? Diese Frage konnte Ines Laufer bis zum Dezember 2004 auch nicht beantworten. Dann sprach der Bundesgerichtshof ein Urteil (AZ: XII ZB 166/03 vom 15.12.2004).
- Einschränkung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes der Mutter / der Eltern
In diesem Urteil u.a. heißt: „Die Durchführung der Bescheidung von Mädchen stellt eine erhebliche Beeinträchtigung des Kindeswohls dar. Es handele sich um Genitalverstümmelungen, in denen eine schwere Menschenrechtsrechtsverletzung zu sehen sei und die in ihrer Intensität den gravierendsten Erscheinungsformen asylerheblicher Verfolgungsmaßnahmen, wie der Folter, nicht nachstehe." Und „daß nach Auskunft lokal tätiger Nichtregierungsorganisationen fast alle ethnischen Gruppen Genitalverstümmelungen praktizierten und zwischen 80 bis 90 % der weiblichen Bevölkerung beschnitten seien." Die Mutter sei auch nicht der Lage, die Gefahr von dem Kinde anzuwenden, „da traditionell die Großfamilie mitentscheide, ob eine Beschneidung durchgeführt werde." Der Mutter wurde das Aufenthaltbestimmungsrecht für das Kind insoweit entzogen, dass sie das Kind nicht nach Gambia verbringen darf.
Ein Bündel schwieriger Fragen...
Das, was zum Schutz der Kinder und Mädchen so einfach machbar erscheint, stößt auf eine Reihe von Fragen.
- Ist die Feststellung einer ethnischen Risikogruppe eine vermeidbare Diskriminierung? Nein, diese Diskriminierung ist unvermeidlich.
- Werden damit nicht alle Angehörigen dieser Gruppe unter einen Generalverdacht der Täterschaft gestellt? Ja, aber die Gutwilligen werden es wahrscheinlich verstehen.
- Warum hat die Unschuldsvermutung keine Priorität? Weil die Dunkelziffern so hoch sind.
- Werden die zu schützenden Kinder durch diese Untersuchungen nicht wiederum diskriminiert? Dafür müssen Lösungen gefunden werden, damit das nicht passiert.
- Ist die Beschränkung des Elternrechts nicht ein Dammbruch, den es zu vermeiden gilt? Dem steht § 225 StGB - Misshandlung von Schutzbefohlenen - eindeutig entgegen.
- Die Migrantenverbände könnten dagegen sein? In der Güterabwägung steht der Opfer- und Kinderschutz an erster Stelle, alles andere ist zweitrangig.
- usw., usf.
...Wer eine bessere Lösung kennt, möge sie benennen
Ines Laufer hat die Erfahrung gemacht, dass die in der Politik dafür Zuständigen es bei den Deklarationen und „Aufklärungskampagnen" belassen wollen. Aber sie ist zuversichtlich: „Wenn der politische Wille da ist, wird sich eine Lösung finden lassen."
Doch sie ist auch zornig: „Wenn es den Abgeordneten schon egal ist, diese durchaus schwierigen Fragen zur erörtern und die Mädchen zu schützen, dann sollen sie doch wenigstens öffentlich zugeben, dass sie von der Gefährdung von bis zu 50.000 Kindern und Mädchen wissen und eine Genitalverstümmelung in Deutschland hinnehmen."
Evelin Frerk / Carsten Frerk
Der 6. Februar 2008 ist der Internationale Tag gegen die Genitalverstümmlung von Frauen (Female Genitale Mutilation).