In vielen Gemeinschaften spielen patriarchale Traditionen noch immer eine große Rolle. Manche von ihnen bedeuten Gewalt, Zwang und jahrelanges Unrecht: Weibliche Genitalverstümmelung und Zwangsverheiratung sind schwere Menschenrechtsverletzungen. Durch sie werden Mädchen und Frauen oft auf Jahre traumatisiert und leiden auch gesundheitlich unter den Folgen. Ihre Sexualität wird kontrolliert und eingeschränkt, und das seit Jahrhunderten.
Weibliche Genitalverstümmelung gilt oft als Übergangsritus ins Erwachsenenalter und als Voraussetzung für eine Verheiratung. In solchen Fällen können FGM (female genital mutilation) und EFM (early and forced marriage) eng verwoben sein. Wie kommt man gegen so tief verwurzelte, gewaltvolle Traditionen an? Terre des Femmes (TDF) hat dazu jetzt ein neues EU-Projekt gestartet: "Join our CHAIN".
Enge Zusammenarbeit mit betroffenen Communitys
Im neuen Projekt "Join Our CHAIN" arbeitet TDF erneut mit Community-TrainerInnen zusammen – einer engagierten und von TDF gut ausgebildeten Gruppe von Frauen und Männern, die selbst aus betroffenen Communitys kommen. Sie sind oft bereits erfahren in der Sensibilisierungsarbeit zu diesen Themen, gut vernetzt, und ihre Stimme hat Gewicht. Im Rahmen von "Join our CHAIN" werden sie in zahlreichen Gesprächen und Aktivitäten für ein Umdenken werben, um letztlich eine Abkehr der Menschen von diesen Praktiken zu erreichen.
"Um Mädchen und Frauen vor gewaltvollen Traditionen zu bewahren, braucht es viel Aufklärung, Feingefühl und einen langen Atem. Terre des Femmes ist froh, die Arbeit gegen weibliche Genitalverstümmelung und Zwangsheirat im neuen EU-Projekt 'Join our CHAIN' fortsetzen zu können", sagt Christa Stolle, Bundesgeschäftsführerin von Terre des Femmes. "Gemeinsam mit den drei anderen NGOs und den unersetzlichen Community-TrainerInnen werden wir unsere Kräfte bündeln und starke Interventionsketten einrichten, um noch mehr Mädchen und Frauen zu schützen und noch viel mehr Menschen aufzuklären", so Stolle weiter.
Schutz von Gefährdeten in der Praxis verbessern
TDF ist dabei nicht allein: Drei weitere NGOs sind Teil von "Join our CHAIN", Community-TrainerInnen werden nicht nur in Berlin, sondern auch in Mailand und Dublin im Einsatz sein. Im Rahmen des Projekts werden außerdem Fachkräfte geschult, damit etwa MitarbeiterInnen von Jugendämtern, PolizistInnen und Flughafenangestellte Warnsignale bemerken – und dann wissen, wie den Betroffenen geholfen werden kann. Dafür werden Interventionsketten entwickelt und Handlungsempfehlungen für mehrere Regionen weiterentwickelt – für Berlin gibt es seit 2022 einen Wegweiser, der im Vorgängerprojekt CHAIN entstanden ist.
Diese vier europäischen Partnerorganisationen haben sich zu "Join our CHAIN" zusammengefunden: ActionAid International Italia ETS, Akina Dada Wa Africa Limited aus Irland, das Netzwerk End FGM EU aus Brüssel, und Terre des Femmes.
"I work to end FGM because to me, FGM represents this patriarchal idea of 'It's ok to control a women's bodies and sexualities'. And female genital mutilation is just one example of many many other ways that society tries to control women and girls, and it needs to stop", sagt Myriam Mhamedi, Senior Communications and Campaign Officer im Netzwerk EndFGM EU beim Kick-off-Treffen der Partner-Organisationen in Berlin.
Bei dem Treffen in den Räumen der Terre des Femmes-Geschäftsstelle waren sich alle Beteiligten einig: Regelmäßiger Austausch und dauerhafte Vernetzung auf europäischer Ebene sind von großem Nutzen für das Engagement in den einzelnen Ländern.
Weltweiter Tag der genitalen Selbstbestimmung am 7. Mai
Im Rahmen des WWDOGA (Worldwide Day of Genital Autonomy) wird Terre des Femmes-Koordinatorin Gislinde Nauy bei der großen Kundgebung in Köln sprechen (auch im Live-Stream). TDF ist jedes Jahr dabei und setzt mit vielen anderen Organisationen ein Zeichen für Kinderrechte und körperliche Unversehrtheit.
TDF-Kampagne "Unfestive Cakes"
Am 7. Mai startet TDF die Social Media-Kampagne zur Aufklärung über FGM. "Unfestive Cakes" (Gestaltung: TBWA Zürich) sendet mit den eindrucksvollen Motiven, bei denen Cupcakes symbolhaft für weibliche Genitalien zu sehen sind, die klare Botschaft: Nicht jedes Ritual ist ein Fest. Und jede und jeder sollte über FGM Bescheid wissen.
Fakten und Zahlen zu FGM
200 Millionen Mädchen und Frauen sind weltweit von weiblicher Genitalverstümmelung betroffen, bei Früh- und Zwangsverheiratung sind es 650 Millionen. In Deutschland gibt es allein 103.900 FGM-Betroffene, und bis zu 17.200 Mädchen sind gefährdet. Das ergab die aktuelle Dunkelzifferschätzung von Terre des Femmes.