1000 Polizisten für 1000 Kreuze

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Fotos: Laura Kase

BERLIN. (hpd) Ein christlich-fundamentalistischer Aufmarsch und seine kreativen Gegner in Berlin. Impressionen von Laura Kase.

Unter dem Motto „1000 Kreuze für das Leben“ demonstrierten vergangenen Samstag zum fünften Mal in Folge christliche Fundamentalisten in Form eines Schweigemarsches in der Hauptstadt gegen das bestehende Abtreibungsrecht in Deutschland.

In dunkler Trauerkleidung und mit weiß bemalten Holzkreuzen bewaffnet nutzten Sie die weit verbreitete apolitische Haltung der deutschen Bevölkerung gegenüber dem Thema Abtreibung für ihre frauenfeindliche und religiöse Agenda. Initiiert vom Bundesverband Lebensrecht e.V. wurde der „Marsch für das Leben“ unter anderem von den Vorsitzenden der Jungen Union sowie der Senioren-Union stark befürwortet und unterstützt.

Da jedoch im liberal geprägten Berlin eine solche Zurschaustellung christlicher Frauenfeindlichkeit nicht ohne Folgen bleibt, waren auch dieses Jahr rund 500 Gegendemonstranten an Ort und Stelle, um dem schweigenden Trauermarsch mit Lärm, Farbenfreude und gleichermaßen provokanten wie kreativen Aktionen entgegen zu treten.

Die bunte Menge aus Feministen, Antifaschisten und Humanisten fand sich nur wenige Meter entfernt von der christlichen Herde trauernder Schäfchen am Alexanderplatz ein, um in ihrer offiziellen Kundgebung klar Stellung zu den Forderungen der Religioten zu nehmen.

Das Spektrum der Sprüche reichte dabei von mutig-blasphemisch („Hätt’ Maria abgetrieben, wär’ uns das erspart geblieben“) bis witzig („Eure Kinder werden so wie wir“) und zeugte von der positiv geladenen, emanzipatorischen Stimmung der Pro-Choice Demonstranten.

 

Die euphorische Stimmung wurde jedoch durch die zahlreiche Anwesenheit von Polizisten getrübt, die aufgrund vergangener Erfahrungen strenge Taschenkontrollen durchführten und es beinahe unmöglich machten, ein paar Worte von der Kundgebung der christlichen Fundamentalisten zu erhaschen. Es gelang jedoch nach einiger Zeit trotzdem, sich nah genug an die Bühne der Gegenseite zu stellen, so dass man die christlichen Schuldgefühle und die fromme Lächerlichkeit live erleben konnte.

Dabei stach insbesondere eine Rede heraus, bei dem ein „persönlich betroffenes“ Opfer ihre Erfahrung mit Abtreibung zum Besten gab. Natürlich stellte sie den Vorgang des ambulanten Eingriffs auf monströse und überzogene Art und Weise („Da war Blut, sehr viel Blut“) dar und erklärte, dass sie nur dadurch, dass Jesus ihr erschienen sei, wieder zu sich fand. Als die labile junge Frau zudem erklärte, dass sie sich selbst als Mörderin erachtet und dankbar sei, dass Gott ihr für ihre Tat vergeben hat, wurde erneut klar, wie fundamentalistisch geprägt die Demonstration wirklich war. Der lauteste Beifall erklang, als sie ihre Ansprache mit den Worten beendete: „Gott ist mein und auch dein Richter, Halleluja, Amen!“.

Nach einer Konzerteinlage mit Liedtexten wie „Hast du den Mann vom Kreuz im Kreuz, kannst du aufrecht gehen“ begaben sich die Fundamentalisten schließlich auf ihren Trauermarsch, und die Gegendemonstranten ließen nicht lange auf sich warten, um den Christen weiter einzuheizen. Dabei stand die Kreativität der Gegenseite erneut im Vordergrund, so dass von falschen Mönchen bis hin zu einer Inquisitorischen Gruppe von Clowns alles vertreten war.

Der Grund für die offizielle Namensgebung der Gegendemonstration „1000 Kreuze in die Spree“ wurde ebenso an dieser Stelle deutlich. Das erklärte Ziel der Frauenrechtler war es, den marschierenden Kreuzträgern selbige abzunehmen, um sie in der nahe liegenden Spree zu versenken. Der Erfolg dieser Aufgabe fiel aufgrund des starken Polizeischutzes für die Fundamentalisten eher dürftig aus, so dass es am Ende nur eine Handvoll Kreuze waren, die demonstrativ im Berliner Gewässer schwammen.

Als die Demonstration vor der St. Hedwigskathedrale ihren Abschluss fand, war die komplette Trennung der beiden Kundgebungen schließlich perfekt, da die selbst ernannten „Lebensschützer“ einem abgeschirmten Gottesdienst in der Kathedrale des Erzbistums Berlin beiwohnten, während die Feministen und Humanisten jenseits der kompletten Absperrung der Kirche unermüdlich weiter lärmten, trommelten und demonstrierten.

Alles in allem war es bemerkenswert, wie sehr die christlichen Fundamentalisten versuchten, sich in einem wohlwollenden und gutbürgerlichen Licht zu präsentieren und ihre Demonstration gegen grundlegende Frauenrechte als „Zivilcourage für das Leben unschuldiger Kinder“ darzustellen. Obwohl es beruhigend war zu sehen, dass es zahlreiche Freidenker in Berlin gibt, die bereit sind, für ihre säkular-humanistische Anschauung auf die Straße zu gehen, so war es gleichermaßen erschreckend, wie sehr sich fundamentalistische Christen bereits in Deutschland etabliert haben.

Da die sogenannte „Pro-Life“ Bewegung meint, ihre Ansichten politisch für alle Bürger geltend machen zu müssen, kann sie nicht als pure Meinungsmache abgetan werden, sondern muss als das verstanden werden, was sie ist: der Versuch, christliche Überzeugungen über das individuelle Recht der Frauen auf Schwangerschaftsabbruch zu stellen.

Zudem ist diese aus den USA stammende Überzeugung der „Lebensschützer“ dafür bekannt, bereits Menschen das Leben gekostet zu haben. So hat der Tod des Arztes Dr. George Tiller tragische Berühmtheit erlangt, der als einer der wenigen Ärzte im mittleren Westen der USA auch Spätabtreibungen durchführte und von einem radikalen Abtreibungsgegner erschossen wurde.

Darüber hinaus muss betont werden, dass die Erfindung des ominösen „post-abortion-syndrome“, bei dem Frauen nach einer Abtreibung angeblich zwangsläufig mit Depressionen zu kämpfen haben, ein weiteres psychisches Druckmittel der Bewegung ist, um Frauen und Ärzten Schuldgefühle einzureden.

Aufgrund dieser Hintergründe und der Tatsache, dass eine Illegalisierung von Abtreibung keineswegs geringere Abtreibungsraten fördert, sondern lediglich dazu führt, dass eigenhändig durchgeführte Abbrüche hohe Sterblichkeitsraten unter den betroffenen Frauen verursachen, kann eine solche Demonstration nicht still und leise hingenommen werden.

Nicht umsonst war und ist das Symbol der „Pro-Choice“ Bewegung der Drahtkleiderbügel - und nicht umsonst müssen wir deshalb auch weiterhin alles tun, um den Einfluss von fundamentalistischen „Lebensschützern“ zu unterbinden.