STRAUBING. (hpd) Wie berichtet werden in einem niederbayerischen Provinzzoo drei Schimpansen - Sebastian, Alfons und Lutz - unter indiskutablen Bedingungen in einem Betonkasten gehalten: Eine „Affenschande“.
Auf Initiative örtlicher Tierrechts-AktivistInnen und vor dem Hintergrund eines kritischen Berichtes im Bayerischen Fernsehen richtete die Landtagsfraktion von B90/Die Grünen Anfang August 2009 eine parlamentarische Anfrage an die Bayerische Staatsregierung, in der um Aufklärung zur Sache gebeten wurde. Die Antwort des zuständigen Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit liegt jetzt vor.
Erwartungsgemäß wird auf die wesentlichen Punkte der Anfrage unvollständig, irreführend, falsch oder überhaupt nicht eingegangen. An manchen Stellen wird dahergelogen, dass sich die Balken biegen, was die Vermutung nahe legt, dass das zuständige Ministerium einfach beim Straubinger Tiergarten angerufen und sich die Antworten von dort hat diktieren lassen.
So heißt es etwa zur Frage nach den Maßen der Straubinger Schimpansenanlage, die beiden Innengehege wiesen eine Grundfläche von je ca. 21 m2 auf, die Raumhöhe betrage 3,50m. Die Schlafboxen der Schimpansen stünden auch tagsüber offen und könnten als Rückzugsmöglichkeit genutzt werden.
Innengehege Sebastian Tatsächlich liegt die Raumhöhe nur bei 3m und unterschreitet damit das im Säugetiergutachten von 1996 geforderte (und in sich völlig unzureichende) Mindestmaß von 4m um 25%. Die geforderte Grundfläche von 25qm für je zwei Tiere wird in der gemeinsamen Haltung von Alfons und Lutz um 16% unterschritten, das geforderte Raumvolumen des Geheges folglich um ganze 37%. Während der kalten Jahreszeit haben die Tiere keinen Zugang zum sogenannten Freigehege, sie können also die viel zu kleine Innenanlage über Monate hinweg nicht verlassen. Sie haben dort keinerlei Rückzugsmöglichkeit oder Sichtschutz: die Schlafboxen stehen tagsüber NICHT offen, vielmehr werden sie morgens verschlossen, so dass die Schimpansen für die Besucher jederzeit beobachtbar bleiben
Da die Gehege der Straubinger Schimpansenanlage allein von ihrem Raumvolumen und den mangelnden Rückzugsmöglichkeiten her eine „artgerechte Haltung“ gemäß den Richtlinien des Rates der Europäischen Union (Richtlinie 1999/22/EG Art.3) nicht zulassen, deren Einhaltung Voraussetzung für die Erteilung einer Betriebserlaubnis ist, müsste diese gemäß Art 4(5a/b) der Richtlinie dem Tiergarten Straubing sofort entzogen werden; hilfsweise müsste ein Haltungsverbot für die Schimpansen ausgesprochen werden.
Dass zumindest letzteres grundsätzlich möglich und auch durchsetzbar ist, zeigt sich in einem 2001 gegen den Straubinger Zoo verfügten Haltungsverbot für Eisbären, deren Gehege hinsichtlich Größe und Beschaffenheit als richtlinienwidrig befunden wurde. Die über Jahre hinweg auf einem völlig unzulänglichen Betonareal zusammengepferchten Eisbären mussten an andere Einrichtungen abgegeben werden, eine Neuaufnahme von Eisbären wurde dem Zoo auf Dauer untersagt.
In vorliegendem Fall hingegen sieht die Bayerische Staatsregierung keinerlei Anlass, einzuschreiten. Auch mit Blick auf die zugegebenermaßen unzulänglichen Haltungsbedingungen der drei Schimpansen wird nach Kräften abgewiegelt.
Während immerhin zugestanden wird, dass Schimpansen „normalerweise in einer Gruppe leben“ und deshalb die Einzelhaltung von Sebastian „nicht den natürlichen Bedürfnissen von Schimpansen“ entspricht, wird darauf verwiesen, dass Sebastian gewissermaßen selbst an seinen Lebensumständen schuld sei: er sei „wegen Unverträglichkeit gegenüber den beiden anderen Affen dauerhaft in Einzelhaltung untergebracht“. Im Übrigen habe man durchaus „Versuche zur Vergesellschaftung aller Schimpansen unternommen“, die aber „keinen Erfolg“ gehabt hätten.
Tatsächlich war ein Versuch der Neuvergesellschaftung Sebastians im Jahre 2001 in äußerst dilettantischer Manier von fachlich unqualifiziertem Zoopersonal, sprich: ohne Hinzuziehung primatologischer Experten durchgeführt worden. Sebastian hatte bis dahin problemfrei mit einem weiteren Schimpansen namens Cain in seinem Gehege gelebt, der auf ungeklärte Weise im Zuge einer Narkose verstorben war.
Aus dem Umstand, dass die Haltung von Sebastian als nicht artgerecht eingeräumt wird - er lebt seit neun Jahren in Isolation -, ergibt sich freilich keinerlei Konsequenz. Umsoweniger aus dem unterschlagenen Umstand, dass auch die paarweise Haltung von Alfons und Lutz den Richtlinien für „artgerechte Haltung“ widerspricht.. Laut o.a. Säugetiergutachten ist „eine dauerhafte paarweise Haltung von Schimpansen unnatürlich und daher abzulehnen“. Die Haltungserlaubnis müsste insofern sofort entzogen werden.
Stattdessen aber, wie die Bayerische Staatsregierung dekretiert, „muß die Schimpansenhaltung im Tierpark Straubing vorläufig geduldet werden.“ Die Anregung, „die Haltung unter Einbindung eines Sachverständigen für Primatenhaltung möglichst zu optimieren“ ist völlig unverbindlich, desgleichen die Ansage, es solle „langfristig die Schimpansenhaltung aufgegeben werden“.
Ungeklärt bleibt: Was genau soll in welcher zeitlichen Perspektive „optimiert“ werden? Und wann genau und mit welcher Perspektive für die drei Schimpansen soll die Schimpansenhaltung aufgegeben werden? Die Behauptung der Staatsregierung, es habe „der Tierpark Straubing bereits Kontakt mit der Primatenauffangstation aap in Amstelveen, NL, aufgenommen und um Übernahme der Schimpansen oder zumindest von Sebastian gebeten“, ist laut schriftlicher Auskunft der Direktion von aap unzutreffend: eine entsprechende Kontaktnahme seitens des Tiergartens Straubing habe es nie gegeben.
Falls sich nichts tut, sitzen die drei Schimpansen auf gänzlich unabsehbare Zeit in ihrem Betonkasten. Bekanntlich haben Schimpansen in Gefangenschaft eine Lebenserwartung von bis zu 70 Jahren: Lutz und Alfons sind 17 Jahre alt, Sebastian ist 34.
Um das zu verhindern haben niederbayerische Tierrechtsaktivisten rechtliche Schritte gegen das zuständige Ministerium auf Entzug der Betriebserlaubnis bzw. Haltungsverbot für Primaten im Tiergarten Straubing eingeleitet. Auch eine Strafanzeige gegen den zuständigen Amtstierarzt (anstelle der ursprünglich geplanten Dienstaufsichtsbeschwerde, die angesichts der Positionsnahme der Staatsregierung keine Aussicht auf Erfolg hätte) wegen Verstoßes gegen die Verpflichtungen aus seiner Amtsstellung als sogenannter „Beschützergarant“ nach §16a TierSchG ist in Vorbereitung.
Colin Goldner