MÜNSTER. (exc/hpd) Im Skandal um Missbrauchsfälle in der Kirche hat die Münsteraner katholische Theologin Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins die Bischöfe und Ordensoberen vor Vertuschung und Verdrängung gewarnt. „Es geht nicht um wenige Einzelfälle, sondern um ein verbreitetes Phänomen“, sagte die Sozialethikerin vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ am Mittwoch.
Die kirchliche Leitung dürfe die Tragweite des Problems nicht verdrängen. „Versuche, sich zu entlasten, indem man auf ‚die Gesellschaft‘ und bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen verweist, sind völlig fehl am Platze“, so Heimbach-Steins. „Sie widersprechen der gesamten moraltheologischen Tradition der Kirche, die Gewissen und Verantwortung der Person immer stark gemacht hat.“
Ohne Aufklärung sei verlorenes Vertrauen nicht zurückzugewinnen, unterstrich die Theologin. „Sexueller Missbrauch ist ein schweres Vergehen gegenüber Kindern.“ Täter und Mitwisser müssten die Verantwortung übernehmen. „Um der Opfer willen gibt es keine andere faire Lösung und die Kirche fügt ihrer eigenen Glaubwürdigkeit schweren Schaden zu, wenn sie die Probleme zu vertuschen sucht.“ Ein Teil des Problems sei ja die Einsicht, dass das Wissen um Missbrauchsfälle viel zu lange unter Verschluss gehalten wurde. „Dafür, dass das nicht fortgesetzt wird, trägt die jeweilige Diözesan- oder Ordensleitung die Verantwortung.“
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, hatte die Missbrauchsfälle am Montag zum Auftakt der Vollversammlung der Bischöfe verurteilt und sich bei den Opfern entschuldigt. Für Donnerstag kündigte er eine gemeinsame Erklärung der Bischöfe an. Außerdem werde er das Thema bei seinem für März geplanten Besuch in Rom mit Papst Benedikt XVI. erörtern.
Sozialethikerin Heimbach-Steins empfahl, die Kirche solle den Aufklärungsprozess nicht alleine stemmen wollen. „Es wäre falsch, wollte man versuchen – wie zuweilen in der Vergangenheit geschehen – das Ganze möglichst ‚unter der Decke‘ zu halten und allenfalls intern zu sanktionieren. Das Beispiel der Jesuiten zeigt: Es braucht eine externe Instanz, die Aufklärung und Beratung leistet, die das Vertrauen aller Beteiligten hat, anwaltlich für die Opfer eintritt und zugleich den Tätern einen Weg der Klärung eröffnet.“
Die Kirche muss sich laut Heimbach-Steins fragen, „wie im priesterlichen Leben ein gesunder Umgang mit der Sexualität gepflegt und das Bedürfnis nach Geborgenheit, Liebe und Fürsorge unter den Klerikern kultiviert und verantwortungsvoll gelebt werden kann.“ Das Problem vollständig auf den Zölibat zu schieben, wäre nach Einschätzung der Theologin zwar „bei weitem zu einfach, ja falsch“. Sonst gebe es nicht auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen Kindesmissbrauch. Gleichwohl habe die Kirche besondere Schwierigkeiten.
Das verbreitete Phänomen sexueller Übergriffe hängt nach den Worten der Forscherin mit der nicht gereiften Sexualität mancher Erwachsener zusammen, die dann auch nicht „erwachsen“ gelebt werde – ob hetero- oder homosexuell, ob in einer Paarbeziehung oder auch im bewussten Verzicht eines zölibatären Lebens. „Das ist ganz sicher ein Thema, dem sich die kirchlichen Verantwortlichen in der Priesterausbildung und Begleitung stellen müssen. Tabus und Verspanntheiten in der kirchlichen Sexualmoral, nicht zuletzt im Umgang mit Homosexualität, die in Klerikerkreisen ein verbreitetes Phänomen ist, tun ein Übriges.“
Viola van Melis
Zentrum für Wissenschaftskommunikation
des Exzellenzclusters "Religion und Politik"
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