(hpd) Der Islamwissenschaftler und Terrorismusexperte Guido Steinberg plädiert in seinem Buch „Im Visier von Al-Qaida. Deutschland braucht eine Anti-Terror-Strategie“ für eine Abkehr von der einseitigen Fixierung auf eine militärische Vorgehensweise bei der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus. Kenntnisreich und sachlich plädiert er stattdessen für einen stärker politisch ausgerichteten Weg, der auf die Delegitimierung der gewaltgeneigten Gruppen in ihren Gesellschaften eintritt.
Worin sollen die Leitlinien einer Bekämpfung des islamistischen Terrorismus bestehen? Über diese Frage wird seit den Anschlägen vom 11. September 2001 kontrovers diskutiert: Die Einen fordern ein rigoroses militärisches Vorgehen gegen die bestehenden Basen in Afghanistan oder Pakistan, die Anderen wollen die gesellschaftlichen Ursachen für das Aufkommen des Terrorismus beseitigt sehen. Während die etablierte Politik eher auf den erstgenannten Weg setzt, plädiert die intellektuelle Debatte eher für die zweite Variante. Dabei muss zwischen diesen beiden Wegen gar kein Gegensatz bestehen. Oder anders formuliert: Beide Strategien sollten zur Anwendung kommen, wobei das Entscheidende allerdings die Gewichtung ist. Darauf verweist auch der promovierte Islamwissenschaftler Guido Steinberg, ehemaliger Terrorismusreferent im Bundeskanzleramt und heute Mitarbeiter der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, in seinem Buch „Im Visier von Al-Qaida. Deutschland braucht eine Anti-Terror-Strategie“.
Auf nur knapp über hundert Seiten geht der angesehene Experte in acht Kapiteln auf die unterschiedlichen Teile einer solchen Vorgehensweise ein: Zunächst plädiert er für eine neue Terrorismusdebatte, welche Radikalisierungsprozesse unter jungen Muslimen stärker ins Zentrum des Interesses rückt. Darüber hinaus solle die Politik Überreaktionen bei der Terrorismusbekämpfung vermeiden, seien solche wie der Irak-Krieg der USA doch ein bedeutender Mobilisierungsfaktor für gewaltgeneigte Gruppen. Außerdem müssten in der deutschen Diskussion die Frage der Integrationsproblematik und Terrorismusbekämpfung voneinander getrennt werden, da es hier doch nur einen geringen Zusammenhang gebe. Stattdessen solle mehr auf die Entschärfung von Regionalkonflikten, den Anstoß von Reformen und die Stabilisierung von Gesellschaften in der arabischen Welt gesetzt werden. Und schließlich fordert Steinberg auch eine neue Sicherheitsarchitektur für Deutschland, etwa über die Funktion eines erneuerten Bundessicherheitsrats als Koordinierungsinstrument.
Als Leitlinie einer neuen Anti-Terror-Strategie gelten folgende Grundprinzipien: „Der wichtigste Grundsatz für eine solche politische Terrorismusbekämpfung ist, dass der Staat die terroristischen Organisationen von ihren Unterstützern und Sympathisanten isolieren muss. ... Wenn sich ein Staat hingegen ausschließlich auf eine repressive Bekämpfungsstrategie verlegt, läuft er Gefahr, den Terroristen neue Anhänger in die Arme zu treiben und das Problem damit zu perpetuieren. Genau das hat die westliche Politik seit 2001 getan – mit Deutschland im Schlepptau.“ Und weiter: „Eine erfolgreiche Terrorismusbekämpfung muss kurzfristig effektiv und langfristig deeskalierend sein. Und das Verhältnis zwischen Repression und Politik muss in Deutschland (ebenso wie in den USA und der gesamten westlichen Welt) neu ausgelotet werden – zugunsten der Politik. ... Erfolg in der Terrorismusbekämpfung bedeutet, dass niemand mehr auf Usama Bin Laden hört, nicht, dass Usama bin Laden von einer amerikanischen Rakete getötet wird“ (S. 10-12).
Steinberg kommt das Verdienst zu, an die notwendige Delegitimierung terroristischer Gruppen innerhalb ihres Umfeldes zu erinnern. Gerade dieser Gesichtspunkt spielte bei der stark militärisch und repressiv ausgerichteten Anti-Terrorismus-Strategie des Westens bislang nur eine untergeordnete Rolle. Ansätze zu einem geänderten Verständnis lassen sich zwar in Afghanistan ausmachen, sie verharren aber immer noch in überkommenen Denkstrukturen. Hier bringt Steinbergs kenntnisreiche und zugespitzte Analyse zwar nicht unbedingt neue, aber inhaltlich gewichtige Ansätze in die Debatte.
Außerdem macht der Autor gut begründet auf die notwendigen Veränderungen in den Gesellschaften und der Politik der arabischen Welt aufmerksam, steht doch häufig der durchaus nachvollziehbare Unmut über die dortigen Zustände am Beginn eines Radikalisierungsprozesses hin zum Terrorismus. Hier und da hätte Steinberg noch etwas stärker die praktischen Probleme bei der Umsetzung einer neuen Strategie benennen können. Gleichwohl schmälert dieser Einwand nicht den Wert des Buchs.
Armin Pfahl-Traughber
Guido Steinberg, Im Visier von Al-Qaida. Deutschland braucht eine Anti-Terror-Strategie, Hamburg 2009 (Edition Körber-Stiftung), 108 S., 10 €
Keine weiteren Soldaten nach Afghanistan! (25.2.2010)