Religionskritiker I: Antike und Mittelalter

Während des Mittelalters dominierten die christliche Kirche und Religion die europäischen Gesellschaften. Daher kamen religionskritische Stimmen entweder gar nicht auf oder wurden rigoros unterdrückt. Gleichwohl lässt sich für diese historische Epoche nicht pauschal von „christlichem Mittelalter“ sprechen, gab es doch eine Reihe von religionskritischen Tendenzen. Einige Philosophen entdeckten die Vernunft als Prinzip für ihr Denken, womit sich indirekt eine Relativierung der Glaubensansprüche verband. In der einfachen Bevölkerung entstand phasenweise eine wenig reflektierte Skepsis, die in Verbindung mit Formen eine Spottes über Kirchenvertreter und Varianten diffusen Unglaubens Glaubenssätze relativierte. Überwiegend akzeptieren die vorstehend genannten Tendenzen aber das Christentum oder die Religion, sie stellten dabei jedoch grundlegende Aspekte von deren Selbstverständnis in Frage. Dies gilt auch für die beiden mit diesen Vorbehalten exemplarisch als Religionskritiker im Mittelalter genannten Philosophen.
 

Der arabische Denker Ibn Rushd (1126-1198), der auch als Averroes bekannt wurde, spielte insbesondere als Aristoteles-Interpret eine wichtige Rolle. Mit Verweisen auf die materialistischen und naturwissenschaftlichen Auffassungen des antiken Philosophen kritisierte er Anhänger der orthodoxen Auffassung des Islam. Darüber hinaus ging Ibn Rushd von der Ewigkeit der Welt, der Sterblichkeit der Seele und der Unmöglichkeit göttlicher Schöpfung aus. Diese Positionen standen im Gegensatz zu den Grundlagen von Christentum, Islam und Judentum . Daraus leitete sich auch der Vorwurf ab, Ibn Rushd sei ein ungläubiger Gegner der drei Religionen und Autor blasphemischer Streitschriften gewesen. Er hatte sich aber nicht vom Islam abgewandt, sondern versuchte den Koran im Sinne einer Autonomie des Individuums zu deuten. Gegen Ende seines Lebens wurde Ibn Rushd angeklagt, die antike Philosophie zu Ungunsten des Islam ausgelegt zu haben. Man verbrannte seine Bücher und verbannte ihn.

An einige philosophische Lehren von Ibn Ruschd knüpfte der englische Scholastiker Wilhelm von Ockham (1285-1350) an. Er vertrat eine nominalistische Auffassung, wonach das Einzelne den primären Gegenstand der Erkenntnis bildete. Diese Perspektive ließ Ockham eine rigorose Trennung von Glauben und Vernunft vornehmen. Zwar begriff er Gott als Erhalter der Welt, aber dessen Einzigartigkeit sei nicht beweisbar und lediglich eine Sache des Glaubens. Darüber hinaus bestritt Ockham die Bedeutung Gottes bei der Entwicklung von Naturprozessen. Übertragen auf die gesellschaftliche Ebene ließen ihn seine Auffassungen eine konsequente Trennung von Kirche und Staat fordern. Ockhams Auffassungen entwickelten sich allerdings nicht hin zu einem säkularen Atheismus, sondern gehören allenfalls zur Vorgeschichte der Reformation. Gleichwohl sah man sie als religionskritisch an, wurde er doch vom Papst wegen ketzerischer Lehren angeklagt und nach einer Flucht vor Verhaftung mit einem Bann belegt.

Armin Pfahl-Traughber
 

 

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Epikur: Rom, Museo Barracco.

Protagoras: Oregonstate University.