Die deutsche Linke und der Nahost-Konflikt

(hpd) Wolfgang Gehrcke, Jutta von Freyberg und Harri Grünberg wollen in ihrem Buch Positionsbestimmungen zu aktuellen und historischen Fragen des Themas vornehmen. Bilanzierend betrachtet enttäuscht das Werk, da es auf Basis einer geringen Literaturkenntnis zusammen geschrieben wurde, sich zu wichtigen Problemen gerade nicht ausführlicher und klarer positioniert und doch mit pauschalen Zuordnungen über Israel und die Palästinenser arbeitet.

Die politische Linke hat sich in ihrer Geschichte immer etwas schwer mit der Einschätzung des Antisemitismus, des Judentums und Israels getan. Mit der Fixierung auf den Klassenkampf schwand die Aufmerksamkeit für die Probleme der Minderheit, mit der Solidarität gegenüber den Palästinensern fiel das legitime Sicherheitsinteresses Israels aus dem Focus des Interesses. Aktuell besteht ein Konflikt mit einer inner-linken Minderheit in Gestalt der „Antideutschen“, die den linken Israel-Kritikern Antisemitismus unterstellen. Grund genug zum Thema eine klare Positionierung vorzunehmen. Dies beabsichtigen jedenfalls Wolfgang Gehrcke, Bundestagsabgeordneter und Vorstandsmitglied der Partei „Die Linke“ und deren außenpolitischer Sprecher, mit seinen beiden Co-Autoren, den Politikwissenschaftlern Jutta von Freyberg und Harri Grünberg. Ihr gemeinsames Buch „Die deutsche Linke, der Zionismus und der Nahost-Konflikt. Eine notwendige Debatte“ versteht sich als eine Arbeit mit grundlegenden Bewertungen zum Themenkomplex.

Es enthält neun historisch-chronologisch gegliederte Kapitel: Dabei geht es zunächst um den Antisemitismus als Ursache für die historische Entstehung des Zionismus und die Haltung der Arbeiterbewegung zur Judenfrage und zum Zionismus bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs. Dem folgt eine Darstellung zur gesellschaftlichen Situation in Palästina in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und zum politischen Weg zur Gründung des Staates Israel. Anschließend geht es um Antisemitismus, Antizionismus und Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland und das Verhältnis der Sowjetunion zum Staat Israel. Dem schließen sich Ausführungen zur arabischen Revolution gegen den kolonialen und westlichen Einfluss sowie zur Funktion Israels im Kontext des westlichen Imperialismus an. Und gegen Ende stehen noch der Nahost-Konflikt im Diskurs der deutschen Linken und der Weg zum Frieden und die Aufgaben der Linken im Zentrum des Interesses. Gesonderte Erklärungen in Kästen erläutern dabei bestimmte Begriffe und Ereignisse.

Bilanzierend bemerken die Autoren: „Israel ist heute ein moderner kapitalistischer Staat. Er gehorcht den Gesetzen des Profites und sucht nach Expansionsmöglichkeiten. Der auf die Globalisierung ausgerichtete israelische Kapitalismus folgt nicht mehr den Gesetzen des Zionismus. Der verordnete Rückzug des Staates durch die neoliberale Wende der neunziger Jahre löst den sozialen Zusammenhalt der israelischen Gesellschaft auf. Zionismus wird nicht mehr als Solidargemeinschaft erlebt. Die Gegensätze zwischen arm und reich sind in Israel extrem gewachsen. Vor diesem Hintergrund diente der Zionismus als Kitt einer multikulturellen Einwanderergesellschaft“ (S. 254). Bezüglich der historischen Einschätzung des Zionismus nehmen Gehrcke, Freyberg und Grünberg eine kritische Position ein: „Wir haben festgestellt, dass die pauschale Ablehnung des Zionismus durch namhafte sozialdemokratische und kommunistische Theoretiker nicht gerechtfertigt war. Sie beruhte auf einem dogmatischen Verständnis der nationalen Frage ...“ (S. 7).

Insgesamt betrachtet enttäuscht das Buch über weite Strecken: Es ist auf Basis einer nur schmalen Literaturgrundlage zusammengeschrieben, wobei die Auswahl nicht über ein Qualitätskriterium erfolgte. Offenbar kannten sich die Autoren nicht so gut aus. Dies erklärt auch, warum man sich an einer Stelle sogar auf eine rechtsextremistische Quelle bezog, ohne es offenbar zu merken (vgl. S. 130, Anm. 163). Mitunter enthält das Buch zwar differenzierte Einschätzungen, etwa hinsichtlich des Verhältnisses der Weimarer KPD zu Antisemitismus und Judentum (vgl. S. 48). Meist werden die Seiten aber mit oberflächlichen Beschreibungen, hier und da gewürzt mit einigen Kommentaren gefüllt. Zu wichtigen Themen findet man keine dezidierten Darstellungen und Positionierungen, sei es zur Frage nach dem Antisemitismus innerhalb der Linken, sei es zu den legitimen Sicherheitsinteressen des Staates Israel. Ansonsten betont man die Legitimität der Kritik an dessen Politik, sofern sie Menschenrechte und Völkerrecht verletzt. Nur, wer stellt eine solche ernsthaft in Frage?

Armin Pfahl-Traughber

Wolfgang Gehrcke/Jutta von Freyberg/Harri Grünberg, Die deutsche Linke, der Zionismus und der Nahost-Konflikt. Eine notwendige Debatte, Köln 2009 (PapyRossa-Verlag), 270 S., 16,90 €