PARIS. (hpd) Vor dem Hintergrund der sich verschärfenden Auseinandersetzungen über die Wege der Integration nicht originär-westeuropäischer ethnischer und religiöser Gruppen in die EU-Staaten findet ein Wiederaufleben der bereits Anfang dieses Jahrzehnts gestarteten Islamophobie-Diskussion in ganz Europa statt.
Quer durch alle religiösen, weltanschaulichen, kulturellen und politischen Strömungen geht dabei der Graben zwischen Gegnern und Anhängern dieser Anschauung. »Links« und »rechts«, sind dabei Begriffe, die offensichtlich keinen Sinn mehr haben. Besonders in den Ländern, wo die Verabschiedung eines sogenannten „Burkaverbotsgesetz“ auf der Tagesordnung steht, spitzt sich die Diskussion zu: In Belgien und Frankreich.
Illustrativ für die gegeneinander in Stellung gebrachten Argumente kann die Diskussion in Frankreich stehen. Mitte 2009 hatte dort bereits ein kommunistischer Abgeordneter die Debatte mit Verbotsabsichten angestoßen, und dabei von der rechten Regierungsmehrheit Unterstützung empfangen. Nun verabschiedete vor kurzem die Nationalversammlung einstimmig eine unverbindliche Resolution gegen das Tragen des ganzkörperlichen muslimischen Schleiers, als einem ersten Schritt vor der Debatte im Juli, um einen umstrittenen Gesetzesentwurf zum Verbot des Tragens von Niqab und Burka auf der Straße. Die rechte Mehrheit und die Sozialisten stimmten für diesen Text und verkünden, dass "radikale Verhaltensweisen schädlich für die Würde und die Gleichheit zwischen Männern und Frauen sind, dass dabei das Tragen eines ganzkörperlichen Schleiers im Widerspruch zu den Werten der Republik steht".
Einige Abgeordnete, darunter die Kommunisten und Grünen, boykottierten aus unterschiedlichen Sichtweisen die Abstimmung mit der Begründung, dass die Abstimmung nur versuchte, im Voraus einen Konsens für die Gesetzesvorlage der Regierung über ein Verbot der Burka zu erreichen. Noël Mamère (Grüne) wies u. a. daraufhin, dass die Zahl der Frauen, die von diesem Schleier betroffenen ist, nur "marginal“ ist: Von insgesamt 5 bis 6 Millionen Muslimen tragen nach Quellen des Innenministeriums in Frankreich weniger als 2.000 Frauen Niqab oder Burka (inklusive die Frauen von Botschaftern und die shoppenden arabischen Prinzessinnen in den Pariser Luxusboutiquen).
Der Text der Regierung, der derzeit fertiggestellt wird, und dem bereits durch den Ministerrat zugestimmt wurde, legt fest, dass unter Androhung einer Geldbuße von 150 Euro "keine Person in der Öffentlichkeit Kleidung tragen darf, die ihr Gesicht verdeckt". Die sozialistische Partei verteidigt ihren eigenen Text. Dieser will es nur in den öffentlichen Einrichtungen, Verkehrsmitteln und Geschäften sowie auch für Minderjährige verbieten. Ein Verbot auf der Straße kann, nach der Meinung vieler Juristen, verfassungswidrig sein. Auf diesem Hintergrund und auch im Kontext mit der durch Sarkozy betriebenen Initiative zur „Nationalen Identität“ (hpd berichtete) aktualisierte sich die Debatte um den Gebrauch des Begriffes „Islamophobie“ in allen französischen Medien, sowohl auf wissenschaftlicher als auch auf eher populistischer Ebene. Dabei geht es leider weniger um die Ursachen dieser Erscheinung als mehr um die philologische Essenz des Wortes.
Das philologische Chaos
Illustrativ für die Diskussion und ihre aktuelle volksnahe Dimension ist zunächst eine Diskussion auf der Website von Agorafox, einer Stiftung öffentlichen Charakters, die sich als Ziel setzt, durch informelle Beiträge seinen Lesern die Meinungs- und Informationsfreiheit zu sichern.
Dort wurde die Diskussion eröffnet durch einen Beitrag von Antoine Martin (alias avraidire) über die Islamophobie. A. Martin ist ein zur christlichen Pfingstgemeinde bekehrter Atheist, der sich zum Ziel setzt, die biblischen Wahrheiten zu verteidigen. Was schreibt er nun zu dieser Problematik? Nach seiner Meinung kann Phobie als "irrationale Angst" übersetzt werden. Das Wort sei von Muslimen erfunden worden. Sie wollten, dass in Europa "Islamophobie" als Verbrechen bzw. Straftat deklariert wird. Er stellt sich nun die Frage, ob Islamophobie Rassismus ist?
Die etwa skurrile Argumentation von Martine lautet wie folgt:
„Der Islam ist eine Sammlung von Ideen, insbesondere religiöser Natur. Der Islam ist keine Rasse. Eine Idee besteht in der Welt des Geistes, eine Rasse ist etwas Konkretes, eine Person. Zu sagen also, dass Kritik am Koran und an der geistigen Argumentation für die Behauptung, dass Muhammad ein Prophet ist, Ideen, die als Islam bekannt sind, Rassismus ist, ist absurd.“
Dann entwickelt er einige definitorische Prämisse:
1. Der Islam ist eine Reihe von Ideen, insbesondere religiöser. Also keine Person.
2. Der Kommunismus ist eine Reihe von Ideen, insbesondere politischer und wirtschaftlicher Natur. Also keine Person.
3. Der Kapitalismus ist eine Sammlung von Ideen, insbesondere wirtschaftlicher Natur. Dies ist keine Person.
4. Das Judentum ist eine Reihe von solchen religiösen Vorstellungen.
Somit:
1. Der Kommunist ist die Person, das Lebewesen, das mit den Ideen genannt Kommunismus einverstanden ist.
2. Der Kapitalist ist die Person, die mit den Ideen genannt Kapitalismus übereinstimmt.
3. Der Muslim ist derjenige, der mit den Ideen, genannt Islam einverstanden ist.
Und nun?
Die Frage ist: Ist die Islamophobie das Gleiche wie Judenhass (oder Antisemitismus)? Überhaupt nicht: Judenhass ist die Diskriminierung und Verfolgung von Personen (die Juden). JUDAISMOPHOBIE aber kritisiert die Gesamtheit von Ideen (nicht Personen) religiöser Natur, das Judentum. Weil der Islam keine Person ist, ist es nicht das Gleiche wie Judenhass (Antisemitismus).
Der Unterschied zwischen einem Muslim und einem Juden:
1. Der Muslim glaubt in einer Reihe von religiösen Ideen, dem Islam.
2. Der Jude kann sein:
a. Ein Jude, der am Judentum (als Satz von religiösen Vorstellungen) glaubt, wie die orthodoxen Juden.
b. Ein Jude, der Atheist ist wie Freud, Marx (Gründer des Kommunismus) und Spinoza (Philosoph).
c. Ein Jude, der an das Christentum glaubt, wie der Komponist Mahler, der Philosoph Husserl (Schöpfer der Phänomenologie und Lehrer von Heidegger), der britische Premierminister Disraeli, der Komponist Felix Mendelssohn. Und so weiter.
Die wahre Definition des Wortes Islamophobie:
Technisch gesehen ist es die Kritik von Ideen, und nur von Ideen. Zu sagen, dass dies ein Verbrechen ist, verstößt gegen das Recht der freien Meinungsäußerung, es ist Unterdrückung, die Intoleranz gegenüber einer religiösen Gruppe.
Das eigentliche Verbrechen (und es gibt bereits Gesetze dagegen) ist es, eine Person zu diskriminieren, eine Person, die an den Islam glaubt. Das richtige Wort (nie von muslimischen Führern verwendet) ist MUSLIMOPHOBIE.
Die DEFINITION des Wortes Islamophobie durch Muslime:
Für sie ist es nicht nur "eine Reihe von religiösen Ideen zu kritisieren" (den Islam an sich), sondern:
1. Ihre Ideen zu kritisieren und auch:
2. Diskriminierung und Verfolgung von Menschen (MUSLIMOPHOBIE).
3. Für viele enthält es selbst Rassismus.
Martine schließt dann:
„Wie man sieht, ist die Art und Weise, wie Muslime den Begriff Islamophobie verstehen, nicht logisch, rational oder intelligent. Voltaire und andere Philosophen ihrer Zeit würden die Situation komisch und absurd empfinden.“
Der Kampf im Internet
Sofort kamen im Blog enthusiastisch bejahende Reaktionen wie: „Bravo für diesen Artikel, Avraidire!“; „Wir haben in einem säkularen und gerechten Land wie Frankreich die Pflicht, die verbrecherische Ideologie des Koran und des Islam zu denunzieren. Misstrauen wir denen, die sich verteidigen, indem sie Kritik Islamophobie (ein Begriff, erfunden von einem Muslim) oder Rassismus nennen. Sie sind meist von sehr schlechtem Glauben!“. Oder etwas ironisch: „Außerdem führt der Koran zu Alkoholphobie, obwohl die Medizin entdeckt hat, dass zwei Gläser Rotwein pro Tag ein guter Weg sind, um gesund zu bleiben! Diese menschenverachtende Religion ist ein Skandal überhaupt!“
Stark verbreitet ist auch die Undankbarkeitsargumentation: So Ton Père: „Die, die sich über den Rassismus der Franzosen beschweren, sollen doch erklären, warum letztere Gastgeber für so viele Zuwanderer auf ihrem Boden sind, indem sie ihnen Asyl, Unterkunft, Wohnen und soziale Rechte geben, und vor allem, warum so viele kommen, um das zu genießen. Der Umzug in ein Land voll von rassistischem Hass wäre in der Tat entweder ein masochistisches Delirium oder ein Verlangen nach Eroberung.“
Andere widersprechen vehement der Logik von Avraidire. So schreibt S. Reboul: „Eine rationale Kritik am Islam wie am Christentum, als religiösen Ideologien, ist keine Phobie. Dies entgegen dem, was die islamischen Fundamentalisten (wie die christlichen Fundamentalisten) uns glauben machen wollen. Sie übernehmen ihre Sprache ohne Kohärenz. (…) Im Gegensatz dazu sind alle Muslime im Allgemeinen blind als Feind abzulehnen, ob fundamentalistisch oder nicht, das ist Islamophobie, so wie sie selbst Phobie definieren. (…) Man soll übrigens unterscheiden zwischen denjenigen, die eine irrationale und blinde Angst (und daher nicht kritische) vor Muslimen (gelebte Phobie) haben, und denjenigen, die diese Angst ausnutzen, ohne das Gefühl selbst zu haben (z. B. J.M. Le Pen) um die Ersten zu manipulieren (Demagogie).“
Wenn Avraidire sich dann als Christ outet und schreibt: „Wir als Christen sind berufen, unseren Nächsten zu lieben. Dies bedeutet, dass wir Muslime lieben. Man soll Ideologie (Islam) nicht mit dem Einzelnen (Muslim) verwechseln“, dann bricht der Sturm los. So Firedog z. B.: „ Pff, was auch immer! So, Du liebst die Muslime, aber nicht den Islam? Nun, ich liebe alle, außer Leuten wie Du, die Menschen mit einem von ihren unterschiedlichem Glauben verunglimpfen. Machen Sie doch einen Artikel über Pädophilie in der christlichen Kirche, die Massaker im Namen des sogenannten Herrn der Christen (…) Beginne damit DICH infrage zu stellen, bevor Du das bei anderen, unabhängig von ihrem Glauben, tust!“ Und mit ironischem Hinweis auf die philologische Überlast des Artikels: Bastos: „Wirklich? Und das ist, wie Du deine Nächsten liebst? Mit dem Versuch, das Leiden einer ganzen Gemeinschaft zu ignorieren, Opfer von Vorurteilen und Diskriminierung auf Grund dessen, dass sie nicht das richtige Wort in Französisch zu benutzen wissen, um sich zu verteidigen?“ Oder Shuker Princo: „Die Aussagen, die Sie in diesem Artikel machen, sind gerade gut genug, um die ordnungsgemäße Verwendung des Französisch durch die Französische Akademie zu bedienen.“
Und als Fazit der verworrenen Lage vielleicht COLR: „Der Artikel ist, was er ist: Wenn der Autor Christ ist, wie hier, ist das Missionierung gegen eine andere Religion; ist er ein Jude, so wird er als schmutziger Zionist behandelt werden; ist er laizistisch, dann wird man ihn fragen, warum er den Islam und nicht das Christentum angreift; ist er ein Muslim, wird ihm vorgeworfen werden, sich an den Westen verkauft zu haben, ein Verräter an seinen Brüder, ein Kollaborateur, ein Harki ... zu sein. Also, egal was der Autor ist: Man wird ihm vorwerfen DIESEN Artikel geschrieben zu haben. Fazit: Es ist verboten, diese Art von Artikel über die "Islamophobie" zu schreiben.“
Wissenschaftliche Kontroverse
Die ganze Verworrenheit wurzelt wahrscheinlich darin, dass auch wissenschaftlich der Begriff und seine Entsprechungen in verschiedenen Sprachen und so auch in der französischen Sprache sehr umstritten sind. Der Gebrauch des Wortes ist relativ neu: Die erste Studie zum Thema erschien unter dem Titel Islamophobia: Fact not fiction, erst 1997 bei Runymede Trust, einem antirassistischen Zusammenschluss in Großbritannien. Laut der bekannten, laizistischen, französischen Journalistin und Essayistin Caroline Fourest wurde das Konzept der Islamophobie in Europa durch die Übersetzungen von englischen islamistischen Gruppen eingeführt. Nach seinem Erstgebrauch während der iranischen Revolution durch Ayatollah Khomeini, um die Gotteslästerung gegenüber dem Islam zu benennen, wurde der Begriff 1990 durch die islamistische Gruppe Al-Muhajiroun unter Leitung von Omar Bakri aufgegriffen, der aufrief zum Widerstand gegen die Islamophobie, und Muslime als "durch den Westen misshandelte Minderheiten" charakterisierte. Erst danach wurde er durch moderate Muslime oder liberale Aktivisten und Antirassisten übernommen. Der französische Journalist Alain Gresh verneint jedoch diese Theorien der iranischen Mullahwurzel und weist unter anderem auf die Verwendung des Begriffs "islamophobe Raserei“ in Frankreich seit 1925 hin.
Heute wird dieser Begriff vor allem verwendet, um die spezifische Feindseligkeit gegenüber der Bevölkerung muslimischer Herkunft oder Religion zu beschreiben. Allerdings stellt diese einfache Definition ein Problem dar, denn wörtlich bedeutet Islamophobie nicht Angst vor Muslimen, sondern Angst vor einer bestimmten Religion, dem Islam. Je nach den alternativen Definitionen kann man so zwei Positionen unterscheiden: einerseits die Islamophobie der rassistischen Art ("Muslim" als ethnische Gruppen) oder als Fremdenfeindlichkeit (der Islam als Teil des "Fremden") und andererseits als legitime Kritik an einem der religiösen Dogmenwerke.
So kann der Begriff der Islamophobie aus verschiedenen Aspekten heraus kritisiert werden. Gegner weisen darauf hin, dass der Begriff die Kritik an einer Religion, mit der an ihren Anhängern vermischt. Andere kritisieren ihn unter Hinweis darauf, dass unter dem Begriff "Islam" sich äußerst vielfältige Realitäten (religiösen Dogmen, Geografie, Menschen, etc.) verbergen und befürchten, dass Islamophobie den Weg zu reinen Rassismus ebnen kann.
Als eindeutige religiöse Kritik verstanden, wird die Islamophobie jedoch in vielen Kreisen akzeptiert. „Atheisme.Org“ z. B., eine Organisation die in radikaler Opposition zu allen Religionen steht, erklärt sich öffentlich zur Islamophobie, um so eine öffentliche Kontestationsbewegung gegen diese Religion zu schaffen, die nicht besser ist als die andere: "Der Begriff Islamophobie drückt nichts als Ekel und Ablehnung des Islam als Religion, als totalitäres Gesamtsystem des Denkens aus. Islamophobie ist die Ablehnung des Islam, nicht die Ablehnung von Muslimen oder die Ablehnung der Nordafrikaner", sagt die Website atheisme.org: Pour le droit à la libre critique des religions.
Für die Bewahrer der französischen Tradition der Aufklärung ist die Kritik der Religion natürlich legitim und muss innerhalb eines rechtlichen Rahmens möglich sein. Einige lehnen jedoch aus diesem Grund die Verwendung des Begriffs Islamophobie ab. Sie könnte letztendlich eine Zensur als Folge haben, die, unter dem Deckmantel des Kampfes gegen Diskriminierung, jegliche Kritik am Islam verbietet. Der Kampf soll sich nicht so sehr am Islam, sondern an religiösem Fundamentalismus überhaupt orientieren, wodurch die Debatte „für oder gegen den Islam“ oder „Ist der Islam gefährlich?“ vermieden werden kann. Für Caroline Fourest ist die Welt, von der die fundamentalistischen Muslime träumen, mit denen der fundamentalistischen Christen und Juden gleich. Die Kritik des Begriffs Islamophobie ist also ein Kampf gegen die Tendenzen die diese Fundamentalisten haben, um ihre Religion frei von Kritik zu halten und die sich insbesondere auf die Bekämpfung der Gotteslästerung stützen. Für Fourest und Fiammetta Venner, Gründer der Zeitschrift Prochoix, wurde das Wort "Islamophobie" durch die Islamisten erdacht, um die antirassistische Debatte zugunsten ihres Kampfes gegen Gotteslästerung abzulenken. Es ist dringend notwendig, es nicht wieder zu verwenden, um erneut Rassismus und nicht die laizistische Kritik des Islams zu bekämpfen."
Redaktion und Übersetzung: R. Mondelaers (hpd)





