(hpd) Die Frage “Dürfen wir Tiere ausbeuten, essen oder quälen?” bildet einen Kernpunkt der Debatte in Sachen “Tierethik”. Der von der Philosophin Friederike Schmitz herausgegebene Sammelband enthält Grundlagentexte zum Thema, welche einen guten Überblick zu den Kontroversen und Positionen geben.
Manchmal liegen ethischen Fragen direkt vor unseren Augen, z. B. auf dem Teller. Gemeint ist damit das Fleisch von einem Tier, das bei den meisten Menschen als zentraler Bestandteil des Mittagessens gilt. Doch wie legitim ist es, die eigene Ernährung auf die Tötung anderer Lebewesen zu eben diesem Zweck zu stützen? Da Menschen sehr wohl vegan oder vegetarisch leben können, stellt sich diese Frage sehr wohl als moralisches Problem.
Damit bildet sie indessen nur einen Aspekt von vielen Geschichtspunkten einer Debatte, die schon seit Jahren – genauer sogar sei einigen Jahrhunderten – unter dem Stichwort “Tierethik” läuft. So lautet auch der Haupttitel – versehen mit dem Untertitel “Grundlagentexte” – eines Readers von Friederike Schmitz. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Philosophischen Seminar der Universität Tübingen will damit den aktuellen Stand der Diskussion auch dem deutschen Lesepublikum nahe bringen, ist die Kontroverse um den moralischen Status von Tieren im englischsprachigen Raum doch schon viel weiter.
Am Beginn steht eine informative und kenntnisreiche Einführung der Herausgeberin, worin die grundlegenden Positionen wie Sachverhalte zum Thema präsentiert werden: Es geht zunächst um die gegenwärtige Praxis des menschlichen Umgangs mit Tieren und die Geschichte der Philosophie des Mensch-Tier-Verhältnisses.
Dabei unterscheidet Schmitz folgende Positionen, einen extremen Anthropozentrismus, einen gemäßigten Anthropozentrismus und die radikalere Kritik. Letzterer neigt Schmitz auch selbst zu, kritisiert sie doch die Auffassungen, wonach es um eine Verbesserung der Haltungsbedingungen von Tieren gehen solle, als “Käfigethik”. Darüber hinausgehende Positionen dominieren auch den Inhalt des Readers, wobei eben diese Sichtweisen der gegenwärtigen Tierethik von ihr inhaltlich näher vorgestellt werden. Und schließlich geht Schmitz auch noch auf die Konsequenzen für die Praxis, also die gesellschaftlichen und ökonomischen, politischen Folgen einer ethischen Einsicht, ein.
In den 17 Aufsätzen geht es zunächst im ersten Teil um “Eigenschaften und moralischer Status von Tieren” mit Beiträgen von Peter Singer zur Ausweitung der Ethik über unsere eigne Spezies hinaus auf Tiere, von Tom Reagan mit einer Begründung für die Herausbildung von Tierrechten oder von Eelyn Pluhar zur Frage nach einem moralischen Unterschied von menschlichen und tierlichen Nicht-Personen.
Unter der Rubrik “Einstellungen und moralische Beziehungen zu Tieren” relativiert Peter Carruthers die moralische Bedeutung von Tieren, Christine Korsgaard fragt aus kantianischer Perspektive nach den Prinzipien für ein Interagieren mit Tieren, und Lori Gruen widmet sich dem empathischen Umgang mit der mehr als menschlichen Welt. Im Teil “Gesellschaftlicher Kontext und politische Theorie” plädiert Brian Luke für eine nicht-patriarchalische Metaethik der Tierbefreiung, Ted Benton tritt für einen ökosozialistische Ansatz für Tierrechte ein, und Sue Donaldson und Willy Kymlicka widmen sich einem Konzept unterschiedler Grade von Tierrechten.
Die exemplarisch genannten Autoren und Themen geben einen guten Überblick über den Inhalt des Readers, der insbesondere den moralischen Status von Tieren ins Zentrum stellt. Indessen kann mit guten Gründen gefragt werden, ob dies die entscheidende Perspektive für die Debatte ist.
Schmitz bemerkt zutreffend, es folge “selbst aus der These, dass Tiere weniger zählen als Menschen, noch keineswegs, dass wir sie einsperren, quälen und töten dürfen” (S. 45). Und Christine Korsgaard hebt mit kantianischem Einschlag hervor: “Wir haben die Fähigkeit, unsere Überzeugungen und Handlungen an vernünftigen Normen auszurichten” (S. 269).
Gerade diese Besonderheit des Menschen erfordert die ethische Reflexion über den Umgang mit Tieren, abhängig von deren Status als leidendem und unabhängig von deren Status als moralischem Wesen. Möglicherweise hätte diese Perspektive bei der Auswahl von Texten noch eine besondere Rolle spielen können. Indessen liegt auch so ein gelungener Reader zu dem immer bedeutsamer werdenden Thema der Tierethik vor.
Friederike Schmitz (Hrsg.), Tierethik. Grundlagentexte, Berlin 2014 (Suhrkamp-Verlag), ISBN: 978–3–518–29682–0, 589 S., 24 Euro