„Wissenschaft, Religion und Recht"

Hans Albert zum 85. Geburtstag.

Wenn ein großer Gelehrter mit weitreichender wissenschaftlicher Kompetenz geehrt wird, verwundert es nicht,

dass die Beiträger beinahe alle Bereiche, die der Geehrte bearbeitet hat, anzusprechen suchen. Zweiundzwanzig Freunde und Schüler des Jubilars ehren ihn in vierundzwanzig hochkarätigen Untersuchungen, die verständlicher Weise hier nicht einzeln vorgestellt werden können. Das Werk Hans Alberts wird in sechs großen Bereichen aufbereitet:
I. Seine Wissenschafts- und Rechtstheorie sowie seine religionskritischen Arbeiten ( A. Bühler, E. Hilgendorf, G. Kehrer.
II. Seine Arbeiten zur Philosophie der Sozialwissenschaften (K. Acham, A. Bühler, V. Gadenne, Z. Norkus, U. Steinvorth).
III. Die Anmerkungen zur Religionskritik ( G. Kehrer, H. Kliemt, A. Phahl-Traughber, H.J. Schmidt Und M. Schmidt-Salomon).
IV. Beiträge zur Praktischen Philosophie (M. Baurmann, W. Becker, A. Englän-der, H. Keuth, H.-J. Niemann).
V. Und schließlich Erwägungen zur Rechtstheorie (W. Brugger, E. Hilgendorf, St. Huster, U. Neumann, R. Thienel)
VI. Sowie zum Schluss zwei Beiträge die sich unter die genannten Kategorien nicht ohne Zwang subsumieren lassen, die gleichwohl in diesem Kontext nicht fehlen dürfen:
So R. Vaas, Das Münchhausen-Trilemma in der Erkenntnistheorie , Kosmologie und Metaphysik: Mit Fragen, „Wie kam es zum Urknall?" und „warum ist etwas und nicht vielmehr nichts?" Und schließlich die Erwägungen von G. Streminger über die Gärten in der Aufklärung, als „Mittel zur Kultivierung der menschlichen Natur."

Wenn ich aus dieser Fülle von bedenkenswerten Überlegungen und ausgezeichneten Darstellungen den Beitrag von Armin Phahl-Traughber über den „fundamentalistischen Charakter von Religionen und die Grenzen der Religionsfreiheit im säkularen Rechtsstaat" etwas ausführlicher eingehe, dann stellt das keine Wertung dar, sondern geschieht deshalb, weil er Hans Alberts Bedeutung im aktuellen Streit deutlich macht: Pfahl-Traughber geht von der Frage aus, ob nicht Religionen – wenigstens wohl den mono-theistischen – „grundsätzlich ein fundamentalistischer Charakter" innewohnt. Er sucht diese These auch damit zu belegen, dass gegenwärtig ein gegenläufiger Prozess zur Aufklärung zu beobachten ist, dass „Glaube" zunehmend die „Gestalt eines moralischen und politischen Machtfaktors annimmt." Deshalb stelle sich die Frage nach den „notwendigen Grenzen der Religionsfreiheit." An Hand der Grundschriften des Christentums (Bibel) und des Islam (Koran) zeigt er, dass der „Fundamentalismusbegriff" beiden Versionen des Monotheismus eigen ist: Bereits Hans Albert hat darauf hingewiesen, dass „Gewissheitsbedürfnis, Heilssuche und Katastrophendenken" ebenso wie die „Kritikimmunität fundamentaler Annahmen und ihre prinzipielle Nicht-Revidierbarkeit" wesentlich für fundamentalistische Verhaltensformen zu sein scheinen. „In erkenntnistheoretischer Hinsicht zeichnen sich solche Auffassungen dadurch aus, dass sie Erkenntnisprivilegien für ihre Anhänger und darüber hinaus für die Inhaber bestimmter sozialer Positionen in Anspruch zu nehmen pflegen." (ebenda 180) Pfahl-Traughber weist darauf hin, dass neben den erwähnten Erscheinungsformen in den Weltreligionen auch „die verschiedenen Ausprägungen des orthodoxen Marxismus, nationalistische und rassistische Gesellschaftsauffassungen, eschatologisch und esoterisch geprägte ökologische Heilslehren oder dogmatische Marktfixierungen als allein richtige Wirtschaftskonzepte" dazu gerechnet werden müssen.
In einem dritten Teil setzt er sich mit den Definitionen, den Erscheinungsebenen und sozialen und kulturellen Funktionen von Religionen ebenso auseinander wie mit der „Ambivalenz des Sakralen" (ebenda 181). In einem „Exkurs" zur „Religionsauffassung des Kritischen Rationalismus" (ebenda 182-184) zitiert er Hans Albert wonach „alle Sicherheiten der Erkenntnis ... selbstfabriziert und damit für die Erfassung der Wirklichkeit wertlos" seien" (ebenda 183). Die Folge des (christlichen) Offenbarungsmodells, „das von einer nicht mehr hinterfragbaren göttlichen Botschaft ausgeht und sie vor jeder kritischen Auseinandersetzung abschottet", sind für Albert „Deutungsmonopol, Gehorsamsanspruch und Glaubenspflicht." Dies wiederum führe zu Diskriminierung und Verfolgung Andersdenkender. Diese im IV. Abschnitt behandelten „Absolutheitsansprüche und Ausgrenzungstendenzen seien nicht belanglose Randerscheinungen sondern zentrale Aussagen: „Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden." (Mk 16,16) Solche Belege aus Neuem Testament und Koran - wobei er die kräftigen Zitate aus dem Alten Testament rücksichtsvoll auslässt - hat Franz Buggle, (Denn sie wissen nicht, was sie glauben) (1992) - sorgfältig in einer überzeugenden Dokumentation zusammengefasst.

Im V. Abschnitt schließlich zeigt der Autor wie stark - entgegen den wenigen Friedensbeteuerungen in den Hauptschriften - die Anschlussfähigkeit beider Religionen für Eroberungskriege und Unterdrückungspraktiken unterschiedlichster Art waren (und sind). Daher verwundert es nicht, dass die Entwicklung in Richtung Aufklärung und Demokratie, Grundrechte und Pluralismus nicht von den Vertretern beider Religionen vorangetrieben wurde, sie vielmehr gegen sie durchgesetzt werden musste (ebenda 187). Im Exkurs II wird das Verhältnis von Demokratie und Religion gestreift und festgestellt, dass beide Elemente enthalten die sowohl zur Rechtfertigung humaner wie inhumaner Praktiken genutzt werden könnten: Allerdings müsste zuvor die Absolutheitsansprüche aufgebrochen werden (ebenda 189).
Unabdingbare Voraussetzung dafür ist jedoch die Trennung von Politik und Religion (Abschnitt VI). Dies setzt die religiöse Neutralität des Staates ebenso voraus wie die Gleichstellung aller Religionsgemeinschaften und aller gesellschaftlich relevanten Körperschaften als privatrechtliche Organisationen. Eine solche Einordnung der religiösen Verbände in das allgemeine Verbandswesen impliziert auch eine klare Begrenzung der Religionsfreiheit durch den demokratischen Verfassungsstaat wobei die Freiheit des einen durch die Freiheit des anderen begrenzt wird. „Die Freiheit des Individuums, als Recht verstanden, findet demnach dort ihre Grenzen, wo die Freiheit des anderen beginnt." (ebenda 192)

Abschließend weist der Autor darauf hin, dass es ethische Alternativangebote zu religiösen Glaubensformen gibt und die Distanz zu ihnen keineswegs nihilistisch sein muss. Er kommt dabei den Ausführungen Michael Schmidt-Salomons in seinem „Manifest des evolutionären Humanismus" (2. Auflage 2006) und dessen Aufsatz in diesem Werk (S. 223-236) sehr nahe.

Alles in allem ein niveauvolles Werk das durch die Qualität der Beiträge Hans Albert wirklich ehrt und zugleich die Bedeutung des Jubilars für den Kritischen Rationalismus eindrucksvoll belegt.

 

Johannes Neumann, Tübingen/Oberkirch.

 

Eric Hilgendorf (Hrsg.) Wissenschaft, Religion und Recht - Hans Albert zum 85. Geburtstag. Logos Verlag, 2006, 505 Seiten, kartoniert, Euro 39.-

Erhältlich auch im <denkladen>.