Online-Abstimmung mit Schönheitsfehler

DÜSSELDORF. (hpd) Der Bund der Freien Waldorfschulen hat erfolgreich bei einer Online-Abstimmung interveniert - doch die Aktion ist aufgeflogen. Die Wirtschaftswoche zeigte sich „not amused" und hat in ihrer Internet-Ausgabe über den Vorgang berichtet. Die Waldörfler hingegen verstehen die ganze Aufregung nicht...

 

Mitte April startete wiwo.de eine Umfrage: „Soll der Staat Privatschulen genauso fördern wie öffentliche Schulen?" Als mögliche Antworten waren vorgegeben: „Ja, damit auch Kindern aus finanzschwachen Familien Privatschulen offenstehen" und „Nein, der Staat soll sich raushalten. Privatschulen sollen sich nur über Elternbeiträge und Spenden finanzieren". Die Umfrage mag ein wenig irreführend erscheinen, da bereits heute Privatschulen ihre Einnahmen zu einem hohen Prozentsatz aus staatlichen Zuschüssen bestreiten und eine Streichung aufgrund der sog. Liberalisierung des Bildungssektors im Zuge des GATS-Abkommens gar nicht zur Debatte steht. Auch sind Abstimmungen in der virtuellen Welt generell mit Vorsicht zu genießen, weil das Publikum nicht als repräsentative Stichprobe gelten kann. Trotzdem können sie einen Trend für Stimmungen im das Internet nutzenden Teil der Bevölkerung anzeigen.

Aufforderung zur Manipulation

Im betreffenden Fall war diese Stimmung eindeutig, sehr eindeutig: Über 90% der Teilnehmer votierte mit „ja". Das deutliche Ergebnis wunderte die Wirtschaftswoche-Redaktion zwar, doch erst der Hinweis eines Lesers eröffnete den Blick auf die Ursache des Phänomens.

Als am Montag, dem 21. April, sich abzeichnete, dass eine knappe Mehrheit der Wirtschaftswoche-Leser gegen die Aufstockung der Förderung für Privatschulen votieren würde, hatte der Bund der Freien Waldorfschulen eine eMail über seinen Verteiler verschickt und unverhohlen dazu aufgerufen, dies zu korrigieren: „In dieser für uns überaus wichtigen Frage zeichnet sich momentan ab [...], dass mehr Stimmen gegen eine gleiche Förderungen von Schulen in freier Trägerschaft sind als dafür. Daher bitten wir Sie, fleißig mitzustimmen, damit ein ‘anderes' Signal entsteht." Die Aufforderung war erfolgreich: Drei Tage später hatte es für den unbefangenen Betrachter den Anschein, als wäre fast die gesamte Bevölkerung dafür, Privatschulen völlig aus öffentlichen Kassen zu finanzieren.

Als die Redaktion der Wirtschaftswoche auf den Tipp hin beim Bund der Freien Waldorfschulen nachfragte, wiegelte Vorstandsmitglied Albrecht Hüttig ab. Sein „basisdemokratischer" Verband habe nur auf ein Anliegen aus der Elternschaft reagiert: „Von außen kann das seltsam erscheinen, aber das sind Eltern, die nach freiem Willen abstimmen", zitiert ihn wiwo.de. Den ganzen Vorgang, der auch als Versuch gewertet werden kann, die Leserschaft von wiwo.de über die tatsächliche Stimmung in der Bevölkerung zu täuschen, sehe er „mit großer Freude".

Lobbyarbeit in eigener Sache

Die Forderung nach höheren staatlichen Zuwendungen wird von Seiten der Waldorfschulen immer wieder erhoben und mit großem propagandistischen Aufwand in die Öffentlichkeit getragen. Ein Kernstück der Argumentation ist dabei, dass Privatschulen, insbesondere Waldorfschulen, Bildung effektiver organisieren und deshalb die öffentliche Hand finanziell entlasten würden. Kritiker halten dem entgegen, dass Waldorfschulen ohnehin von einigen Kommunen, zum Beispiel durch die kostengünstige Überlassung von Immobilien, über das gesetzlich festgelegte Maß hinaus gefördert werden. Zudem wird darauf verwiesen, dass die Konstruktion, dass Waldorfschulen in der Regel von einem Schul- und einem Bauverein getragen werden, nicht sonderlich transparent sei und als Möglichkeit einer „doppelten Buchführung" genutzt werden könne. Fragwürdig sei schließlich auch, dass dem Bund der Freien Waldorfschulen Geld aus Schulen zufließt (offiziell, um damit neugegründete Schulen, die noch nicht die volle Förderung erhalten, zu unterstützen). Neben diesen Punkten, die durch die bestehende Rechtslage abgedeckt sind, gibt es auch einzelne Fälle, in denen betrügerische Machenschaften aufgedeckt wurden, so etwa Mitte der 1990er Jahre in Augsburg.

Vielleicht ist der Aktionismus beim Bund der Freien Waldorfschulen auch dadurch zu erklären, dass für das laufende Schuljahr die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die eine Waldorfschule besuchen, ausgerechnet in Baden-Württemberg leicht gesunken ist. Spätestens wenn die Anmeldefrist für das kommende Schuljahr beginnt, ist damit zu rechnen, dass das Klagelied von der zu niedrigen Förderung erneut angestimmt wird. Wer dann auf eine breite Zustimmung in der Bevölkerung verweisen kann, könnte in Verhandlungen mit den politische Verantwortlichen bessere Karten haben. Da stimmt man halt auch mal sich selbst zu...

Gunnar Schedel